Steuer ist nicht Steuer, und längst nicht alle bezahlen, was sie sollten

Wer schnallt hier wem den Gürtel enger?

Clemens Studer

Mit Steuern finanziert der Staat seine Ausgaben. Doch mit welchen Steuern für wen welche Ausgaben wofür? Das ist die entscheidende Frage. Und hier ­übervorteilen die Besitzenden die Arbeitenden immer aufs neue.

Prominent: Ob der Träger dieses Gürtels ihn auch enger schnallen muss? Eher nicht. Es handelt sich um jenen des Multimillionärs Arnold Schwarzenegger. (Foto: Keystone)

Um seine Aufgabe zu erfüllen, braucht das Gemeinwesen Geld. Darum erhebt der Staat unterschiedlichste Steuern. Es gibt direkte Steuern auf Einkommen, Vermögen und teilweise auf Kapitalertrag. Und es gibt indirekte Steuern, die den Verbrauch, Bezug oder Besitz von Gütern und Dienstleistungen belasten. Oder eine staatliche Dienstleistung «weiterverrechnen». Zum Beispiel die Abfallentsorgung. Und dann gibt es viele Ausnahmen und Sonderregelungen.

RABATTE FÜR DIE REICHEN

Wer mehr als 9,99 Prozent an einer Firma besitzt, bekommt einen massiven Steuerrabatt auf ausbezahlte Dividenden. Bei den Bundessteuern sind es 30 Prozent, bei den Kantonen bis 50 Prozent. Das führt dazu, dass es sich für Firmenbesitzende lohnt, sich statt eines entsprechenden Lohns die Firmenprofite als Dividenden auszuzahlen. Denn die Beiträge an die AHV sparen sie dabei auch gleich noch. Auf die Spitze treibt dieses System zum Beispiel SVP-Nationalrätin und EMS-Mit­eigentümerin Magdalena Martullo-Blocher. Sie bezahlt sich einen verhältnismässig «bescheidenen Lohn» von rund einer Million Franken im Jahr aus. Zusammen mit ihren Schwestern kassiert sie allerdings mehr an Dividenden, als alle EMS-Mitarbeitenden zusammen verdienen.

FALLE KOPFSTEUERN

Das Gegenteil direkter und progressiver Steuern sind Kopfsteuern und Gebühren. Denn diese sind für alle gleich hoch: Die sogenannten Personalsteuern zum Beispiel, die Gemeinden erheben, müssen auch jene bezahlen, die über keinerlei steuerbares Einkommen verfügen. Die grösste und ungerechteste Kopfsteuer sind jedoch die Krankenkassenprämien. Denn während in anderen Ländern die Gesundheitskosten aus Steuereinnahmen oder aus Lohnprozenten finanziert werden, drückten die Schweizer Bürgerlichen zur Einführung des Krankenkassenobligatoriums 1996 die Kopfprämien durch. Das bedeutet: UBS-CEO Sergio Ermotti, der für 9 Monate Arbeit 14 Millionen Franken einsackt, bezahlt gleich viel Prämie wie der Vorarbeiter auf dem Bau, der für ein Jahr Arbeit weniger Lohn erhält als Ermotti in einem Tag. Offiziell sollte die Belastung der Haushaltsbudgets durch Krankenkassenprämien mit indivi­duellen Prämienverbilligungen auf einem halbwegs erträglichen Niveau gehalten werden. Doch die bürgerlichen Mehrheiten in den Kantonen drücken sich um ihre Verantwortung (siehe ganz unten).

FALLE «VERURSACHERPRINZIP»!

Ähnlich wie Kopfsteuern können «verursachergerechte Gebühren» wirken. Grundsätzlich ist nichts dagegen zu sagen, wenn Teile der Bevölkerung, die eine staatliche Dienstleistung ganz besonders beanspruchen, diese auch bezahlen.

Gegen Grundbuch- und Handelsregistergebühren ist aus dieser Optik wenig einzuwenden. Schon schwieriger wird es bei den Entsorgungsgebühren für Haushaltsabfälle. Denn eigentlich ist die Müllabfuhr ein Service public, der aus Steuergeldern finanziert werden sollte. Hingegen ist Abfallvermeidung und Abfalltrennung gesellschaftlich erwünscht. Eine «Sackgebühr» kann also eine positive Verhaltensänderung bewirken. Das Problem: Gebührensäcke kosten für alle gleich viel. Während diese Ausgabe für eine alleinerziehende Verkäuferin mit Teilzeitpensum spürbar ist, kann der Abzocker-Manager weiterhin Kraut und Rüben samt Batterien und Altglas in seinen Gebührensack werfen, weil er die Ausgaben dafür kaum spürt. Ähnliches gilt für andere sogenannte Lenkungsabgaben wie jene auf den CO2-Ausstoss. Wenn sie nicht vollständig zurückerstattet werden, belasten sie weniger Kaufkräftige stärker als Reiche.

REICH BESCHENKT: Seit 1984 müssen die Supperreichen in der Schweiz immer weniger von ihrem
Einkommen für die Allgemeinheit abgeben.

FALLE «STEUERPARADIES»

So regelmässig wie Ostern und Weihnachten berichten die Medien über «Steuerparadiese» und «Steuerhöllen». Und das schon so lange und so hartnäckig, dass die Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer schon selber glaubt, im Kanton Schwyz sei das Paradies und in der Westschweiz wohne der Steuerteufel. Dabei hätten diese Ranglisten ganz andere Reihenfolgen, würden zum Beispiel nach dem verbleibenden Anteil des Einkommens für die Mehrheit gefragt. Wo also auch Mieten, Kita-Gebühren und Krankenkassenverbilligungen eine Rolle spielen. Oder ganz einfach die Steuereintrittsschwelle und die Ausgestaltung der Steuerprogression. Ein kleines Beispiel: In der vermeintlichen Steuerhölle Genf bezahlt eine Witwe mit 20 000 Franken steuerbarem Einkommen 96 Franken Steuern. Im Schwyzer Steuerparadies Freienbach aber 693 Franken. Ein Witwer mit 120 000 Franken steuerbarem Einkommen bezahlt in Genf rund 30 000 Franken Steuern und kommt in Freienbach mit 12 722 Franken davon.

FALLE «KONSUMSTEUERN»

Rauchen ist ungesund. Darum werden Tabak­erzeugnisse zusätzlich besteuert (warum gleichzeitig auch der Tabakanbau subventioniert wird, ist ein anderes Rätsel helvetischer Finanzpolitik). Rauchen ist für Arme wie Reiche gleich ungesund, doch dieses ungesunde Verhalten wird bei Ärmeren mit der Tabaksteuer im Verhältnis zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit härter bestraft als bei Reichen. Das Gleiche gilt für die Alkoholabgabe. Am deutlichsten wird diese Ungleichheit bei der Mehrwertsteuer. Weil Haushalte mit kleinen und mittleren Einkommen ­einen grösseren Teil ihrer Einkünfte unmittelbar wieder verkonsumieren (müssen), ist ein grösserer prozentualer Anteil ihres verfügbaren Einkommens der Mehrwertsteuer unterworfen als bei Best- und Superverdienern. Das ist auch der Grund dafür, dass die bürgerlichen Parteien zusätzliches Geld für die AHV über die Mehrwertsteuer generieren wollen und nicht über Lohnbeiträge. Denn da müssen Abzocker-Manager mehr bezahlen, als sie herausbekommen. Bei über 90 Prozent der Menschen ist es genau umgekehrt.

WENN SCHON DIREKT

Die Stossrichtung fortschrittlicher Steuerpolitik ist deshalb klar:

  • Steuern sind auf alle Art von Einkommen zu erheben, und zwar mit einer eher hohen Eintrittsschwelle, dafür einer steilen Progression.
  • Bei Kopf-, Konsumsteuern und Lenkungssteuern ist Vorsicht geboten. Und die ungerechteste Kopfsteuer «Krankenkassenprämie» muss ge­deckelt werden.
  • Kapitaleinkommen sollten in der Tendenz stärker besteuert werden als Arbeitseinkommen. Aktuell ist es umgekehrt.
  • Erbschaften über einer gewissen Grösse erst recht. Aktuell wird pro Jahr mehr steuerfrei vererbt, als an AHV-Renten ausbezahlt wird. 75 Prozent dieser Milliarden kassieren 10 Prozent der Erbenden.

Was die Rechten wollen, ist ebenfalls klar: Sie wollen einzig noch Löhne, Renten und Konsum besteuern. Kapital und Einkünfte daraus sollen steuerfrei sein (oder bleiben).

HÄNDE WEG VON UNSEREM GÜRTEL!

Mit Steuern finanziert der Staat seine Ausgaben. Das ist die Binsenweisheit. Mit welchen Steuern für wen welche Ausgaben wofür bleibt die entscheidende politische Frage. Man sollte sie nie vergessen, wenn die bürgerlichen Mehrheiten in Regierungen, Parlamenten und Medien wieder unsere Gürtel enger schnallen wollen, um die der Konzerne und Superverdienenden um weitere zwei Löcher weiten zu können.


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