Die oberste Mieterin im grossen work-Interview

«Missbrauch des Mietrechts muss aufhören»

Iwan Schauwecker

Linda Rosenkranz (44) kämpft als Generalsekretärin des ­Mieterinnen- und Mieterverbands Schweiz gegen explodierende Mieten und ­unverschämte Profite der Immobilienkonzerne. Mit einer Volksinitiative will sie für eine bessere Kontrolle der Mietpreise sorgen.

FÜR DIE MIETERINNEN UND MIETER: Linda Rosenkranz hat den Grosskonzernen den Kampf angesagt. (Foto: Marco Zanoni)

work: Am 1. April sind die ­Mieten für viele Menschen in der Schweiz erneut gestiegen. ­Wehren sich Ihre Mitglieder gegen diese Entwicklung?
Linda Rosenkranz: Die Mieterinnen und Mieter haben in der zweiten Jahreshälfte 2023 fast 46 Prozent mehr Mietzinserhöhungen angefochten als in der ersten Jahreshälfte, das sind gut 25 000 neue Verfahren. In über 90 Prozent dieser Fälle waren sie bei der Schlichtung erfolgreich, das heisst, die Dunkelziffer der missbräuchlichen Mietzinserhöhungen muss sehr hoch sein. Beim Anfechten des Anfangsmietzinses sind die Neumieterinnen und -mieter allerdings immer noch zurückhaltend, im letzten Jahr haben das nur 1000 Haushalte gemacht.

Was tut der Mieterinnenverband gegen diesen Missbrauch?
Eine Wohnung darf bei einem Mieterinnenwechsel nicht grundlos teurer vermietet werden. Aber viele Neumieter kennen weder das Mietrecht noch den Vormietzins. Wir wollten hier mit einer sogenannten Formularpflicht – also der Pflicht zur Offenlegung des Vormietzinses – mehr Transparenz schaffen, aber die bürgerliche Mehrheit im Parlament hat diesen Vorschlag gerade in der Frühlingssession hochkant versenkt! ­Gemäss dem schweizerischen Mietrecht dürfen Immobilienbesitzerinnen und -besitzer aktuell nicht mehr als 3,75 Prozent Rendite mit Wohnungen erzielen, aber das wird nicht kontrolliert, und die Immobilienfirmen nutzen das schamlos aus.

Dazu gibt es jetzt die neusten Zahlen …
Im Jahr 2023 hat jeder Miethaushalt in der Schweiz im Durchschnitt 360 Franken pro Monat zu viel bezahlt. Das macht für die Hausbesitzer und Immobilienkonzerne einen überhöhten Profit von 10,4 Milliarden Franken. Und das geht schon seit vielen Jahre so (work berichtete). Diese übersetzten Renditen kommen vor allem Firmen wie zum Beispiel Swiss Life, Mobimo oder Allreal zugute, die das über Dividenden ans Aktionariat ausschütten. Eine gigantische Umverteilung.

Wann hat diese Umverteilung von unten nach oben begonnen?
Es gab Zeiten, da wurde in der Schweiz jeder neue Mietvertrag vom Bundesamt für Wohnungswesen abgestempelt. In den Jahrzehnten von 1918 bis 1971 galt oft ein Mietnotrecht. Mit Hausbesitz sollten weder Gewinne noch Verluste gemacht werden, das war damals ein Konsens in der Schweizer Politik. Deshalb haben wir auch das beste Mietrecht in Europa, das übersetzte Renditen verbietet und Wohnungen zur Kostenmiete plus gedeckelter Rendite garantieren sollte. Aber seit 20 Jahren dominierte eine andere Logik: Seit der Aushöhlung der Lex Koller im Jahr 2005 und der Finanzkrise im Jahr 2008 ist der Schweizer Wohnungsmarkt zu einer Profitmaschine geworden, der auch die Mieten und vor allem die Bodenpreise massiv verteuert.

Der Mieterinnen- und Mieterverband will jetzt mit einer Initia­tive gegen die zu hohen Renditen vorgehen. Was will diese Initiative?
Die Idee ist klar: Überhöhte Mietzinse und Renditen sind missbräuchlich, und wir wollen, dass es in der Schweiz eine Instanz gibt, welche die Durchsetzung des Mietgesetzes garantiert. Wir werden den Initiativtext voraussichtlich diesen Sommer an unserer Generalversammlung be-schliessen und anschliessend mit der Unterschriftensammlung starten.

Menschen ohne Schweizer Pass können diese Initiative nicht unterschreiben, sind aber besonders von überhöhten Mieten betroffen, im Schnitt zahlen sie 10 Prozent mehr Miete. Die Woh-nungen sind oft auch kleiner und lärmiger. In welcher Weise vertritt der Mieterverband ihre Interessen?
Der Wohnraum in der Schweiz muss für alle Menschen aller Einkommensklassen bezahlbar sein und auch qualitativ stimmen – schon lange ächzt auch der Mittelstand unter den explodierenden Mieten. Aktuell will die bürgerliche Mehrheit im Parlament bei der Revision des Umweltschutzgesetzes den Lärmschutz lockern. Wir setzen uns gegen diese Verschlechterung des Gesetzes ein. Gerade wenn verdichtet gebaut wird, ist es wichtig, dass der Wohnraum qualitativ hochwertig ist.

Wo ist diese qualitative Ver­dichtung mit bezahlbarem Wohnraum in den letzten Jahren besonders gut geglückt?
Die Siedlung Stöckacker Süd in Bern finde ich ein gutes Beispiel. Es wurde zwar günstiger Wohnraum abgerissen, aber die Gebäude waren in einem sehr schlechten Zustand und asbestbelastet. Der Boden gehört der Stadt, die jetzt eine fröhliche, bunte und lebenswerte Siedlung mit 146 Wohneinheiten, einschliesslich Kita und Beiz gebaut hat. Die Siedlung ist auch sehr gut an den öffentlichen Verkehr angebunden, und Schulen sind ganz in der Nähe. Es hat Alters- wie auch behindertengerechte Wohnungen und WGs. Sehr viele private Neubauprojekte vernachlässigen den öffentlichen Raum und verhindern damit nachbarschaftliche Begegnungen und gute Beziehungen.

Und der Hauseigentümerverband? Gibt es da Hoffnung auf eine Art sozialen Frieden für das Wohnungswesen?
Der Hauseigentümerverband (HEV) vertritt Privatpersonen, die ein Haus besitzen. Doch die gegenwärtige Politik des HEV dient vor allem den Konzernen, die auf dem Wohnungsmarkt immer mächtiger werden und auch Private als Besitzer verdrängen. Eigentlich müssten wir zu-sammen mit dem HEV auf einen Wohnfrieden hinarbeiten, wo wir die Probleme des aktuellen Wohnungsmarktes erkennen und gemeinsam Lösungen suchen. Aber solange der Missbrauch des Mietrechts und die Dominanz der Konzerne nicht anerkannt werden, sind wir leider noch weit von einer solchen Zusammenarbeit entfernt.

Aktionsplan: Ein reiner Papiertiger

Ende Februar präsentierte Bundesrat Guy Parmelin den «Aktionsplan Wohnungsknappheit». Der Mieterverband Schweiz ist enttäuscht. Der Aktionsplan ist ein Papiertiger mit Massnahmen ohne Verbindlichkeit.

EINFLUSS. Bei der Ausarbeitung des Aktionsplans sei es lediglich um die Förderung der Bautätigkeit gegangen. Eine Recherche des Onlineportals Watson zeigt im Detail auf, wie die Immobilienlobby und Baufirmen den Aktionsplan beeinflussten.


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