Firmen und bürgerliche Parteien ignorieren Kaufkraft-Krise

Das Geld ist da – aber am ­falschen Ort

Clemens Studer

Klemmen bei den Löhnen, knausern bei den Prämienverbilligungen: Arbeitgebern und bürgerlichen Parteien sind die Kaufkraft-Nöte der Mehrheit in diesem Land egal. Die Schweiz wird immer reicher, die Ungleichheit immer grösser.

IM MINUS: Seit vier Jahren in Folge sinken die Reallöhne. (Foto: Adobe)

Die Zahlen sind so klar wie erschreckend: Die Löhne und Renten der Lohnabhängigen und der Pensionierten sind immer weniger wert. Seit vier Jahren in Folge sinken die ­Reallöhne. Die Teuerung, der Krankenkassen­prämien-Schock und die höheren Mieten belasten die Haushalte stark. Dazu kommen der Anstieg der Mehrwertsteuer um 0,4 Prozent auf Anfang 2024 sowie die Strompreiserhöhungen. Ein Paar mit zwei Kindern wird im nächsten Jahr real rund 3000 Franken weniger Geld zur Verfügung haben als im Jahr 2020. Ausser es gibt endlich substantielle Lohnerhöhungen und die bürgerlichen Mehrheiten in Bund und Kantonen hören auf, wirksame Gegenmassnahmen zu verweigern.

An einer Medienkonferenz haben die Gewerkschaften aktualisierte Zahlen zur Lage der Lohnabhängigen vorgestellt. SGB-Chefökonom Daniel Lampart bringt sie so auf den Punkt: «Haushalte mit unteren und mittleren Einkommen haben real weniger Lohn. Die obersten 50 000 – also Personen mit mindestens 300 000 Franken Lohn – und die Aktionärinnen und Aktionäre dagegen wurden von den Arbeitgebern vergoldet.»

«Es gibt genug Hebel, um die Preissteigerungen zu bremsen.»

90 PROZENT LEIDEN

Unia-Chefin Vania Alleva sagt: «Der statistische Befund entspricht dem, was wir in unserem gewerkschaftlichen Alltag erleben, wenn wir in Läden, in Betrieben oder auf Baustellen unterwegs sind.» Und sie konkretisiert: «90 Prozent der Arbeitnehmenden spüren deutlich die steigenden Krankenkassenprämien sowie Energie- und Verkehrspreise, teurere Nahrungsmittel und neu auch noch steigende Mieten: Diese Angestellten können sich immer weniger leisten beziehungsweise kommen gar nicht mehr über die Runden. Und dennoch verweigern die Arbeitgeber weitherum die überfälligen Lohnerhöhungen.»

WAS NÖTIG IST

Die Gewerkschaften fordern Lohnerhöhungen in der Grössenordnung von 5 Prozent. Wer eine Berufslehre abgeschlossen hat, soll mindestens 5000 Franken im Monat verdienen. Der Teuerungsausgleich muss in den Gesamt- und übrigen Arbeitsverträgen wieder selbstverständlich sein.
Der volle Teuerungsausgleich und ein anständiger Anteil an den Produktivitätsgewinnen sind die eine Seite des Kampfes gegen die zusammenbrechende Kaufkraft der Lohnabhängigen. Weitere Massnahmen könnten Bund und Kantone ergreifen. Aber die bürgerlichen Mehrheiten weigern sich, die Kaufkraft-Krise zu bekämpfen. SGB-Chef Pierre-Yves Maillard sagt es so: «Geld ist genug da. Die öffentliche Hand verfügt über milliardenschwere Spielräume, die es ihr ermöglichen würden, die Prämienerhöhungen und Preissteigerungen beim öffentlichen Verkehr abzumildern. Und schliesslich gibt es genug Hebel, um die Preissteigerungen zu bremsen wie zum Beispiel beim Strom.»

LAUTER WECKRUF

Das Geld ist da, die Schweiz produziert dank ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern eine immer grössere Menge an Reichtum. Aber dieser ist ungerechter verteilt als je zuvor. Unia-Chefin Vania Alleva: «Die 37 Topkonzerne schütteten 2022 Kapitalgewinne an die Aktionärinnen und Aktionäre aus, die mit fast 76 Milliarden Franken dem ganzen Bundeshaushalt entsprechen. Und gleichzeitig sanken dort die tiefsten Löhne real.»

Darum mobilisieren die Gewerkschaften zur nationalen Kaufkraft-Demo. SGB-Präsident Maillard: «Es liegt nun an uns, laut und deutlich zu sagen, dass es so nicht weitergehen kann. Wir erheben unsere Stimme, und wir tun dies insbesondere mit unserer Demonstration vom 16. September in Bern. Und die Demo ist erst der Anfang. Weiter geht es an der Urne, bis zur Reihe von sehr wichtigen Abstimmungen zu Renten und Krankenkassenprämien im Frühling 2024.»

 

Schreibe einen Kommentar

Bitte fülle alle mit * gekennzeichneten Felder aus.