Rentnerin Alexandra Pirovino (74) kauft im Caritas-Markt ein:

«Heute gibt’s nur ein Gipfeli, Salat und Nektarinen für mich»

Darija Knežević

Der Caritas-Markt in Bern verkauft günstige Lebensmittel und ­entlastet so knappe Haushaltsbudgets. Täglich bilden sich Warteschlangen vor dem Laden.

Um 9.30 Uhr herrscht im Caritas-Markt in Bern Hochbetrieb. Obwohl der Markt erst in einer halben Stunde öffnet, haben die vier Mitarbeitenden schon alle Hände voll zu tun. Sie füllen die Regale mit Fruchtsäften, Reis und Eiern auf. Ein Mitarbeiter packt älteres Obst und Gemüse ab, das nochmals um 50 Prozent reduziert wird. Die Schale Erdbeeren von gestern verkauft der Markt heute für 90 Rappen. Im Eiltempo richten die Mitarbeitenden alles her, damit bei Ladenöffnung alles pünktlich an Ort und Stelle steht.

Draussen warten 15 Personen, bis die Uhr 10.00 Uhr anzeigt. Zuvorderst in der Schlange steht Adelina Gashi* (64) mit ihrem Einkaufswägeli. Sie ist frisch pensioniert und hat vorher ihr Leben lang als Pflegerin gearbeitet. Immer in einem Teilzeitpensum, um sich zu Hause noch um ihre Kinder zu kümmern. «Ich habe viel gearbeitet, zu Hause und am Arbeitsplatz. Doch von der vielen Arbeit habe ich jetzt Rückenschmerzen statt eine solide Rente», so Gashi. Sie kommt wöchentlich zum Caritas-Markt. Heute stehen auf ihrem Einkaufszettel Brot, Zwiebeln, Tomaten und Waschmittel.

Die Wartenden halten alle einen Einkaufszettel in den Händen, Spontan­einkäufe liegen nicht drin. Sobald der Laden öffnet, füllen sie zielstrebig ihre Einkaufskörbe. Beliebte Artikel sind bis am Mittag ausverkauft, etwa das frische Brot für vierzig Rappen pro 500 Gramm. Alexandra Pirovino (74) hat heute für knapp drei Franken eingekauft. Sie ist schon viele Jahre Kundin beim Caritas-Markt. Denn mit ihrer Rente kommt sie nicht über die Runden, obwohl sie in ihrem Job als Büroangestellte nicht schlecht verdiente. «Ich musste lernen, mit sehr wenig zu leben. Deshalb gab es heute nur ein Gipfeli, Salat und Nektarinen für mich. Die Nussstengeli sind für meine Enkel.»

ARMUTSBETROFFENE FAMILIEN

Dass hier viele Menschen für ihre Familien einkaufen, sieht man auch auf dem Förderband an der Kasse. «Cornflakes und Milch für meine Tochter, das ist ihr Lieblingsfrühstück», so eine Kundin. Ihre vierköpfige Familie muss mit wenig Geld klarkommen. Für den Einkauf kommt sie mit dem Bus aus Ostermundigen. Betriebsleiter Daniel Lauper: «Das Einzugsgebiet unseres Markts ist sehr gross. Teilweise reist die Kundschaft sogar aus Burgdorf an.»

Pavlo Somka (40) hat keinen weiten Anreiseweg, er wohnt gleich im Quartier. Doch erst seit knapp einem Jahr. Mit seiner Frau und dem gemeinsamen Sohn sind sie aus der Ukraine geflüchtet. «Zurzeit lerne ich Deutsch und suche einen Job», sagt er. Gekauft hat er heute Kartoffeln, ein Duschgel, Kaffee, Tiefkühlprodukte und weiteres. Für seinen Wocheneinkauf hatte er 25 Franken zur Verfügung.

Beliebte Artikel sind bereits am Mittag ausverkauft.

EINE KRISE JAGT DIE NÄCHSTE

Nach 11.00 Uhr kehrt etwas Ruhe im Markt ein. «So läuft es eigentlich jeden Tag ab. Besonders stressig ist es zum Monatsanfang oder an den Wochenenden», sagt Leiter Lauper. In sechs Jahren bei Caritas hat er schon mehrere Krisen miterlebt. Auch jetzt spürt er eine höhere Nachfrage: «Mit der Teuerung kommt die Armut bis in die Mitte der Gesellschaft. Weil sich aber viele für ihre finanziellen Nöte schämen, brauchen sie viel Überwindung, bis sie bei uns im Laden stehen.» (Siehe Interview unten.)

Wer beim Caritas-Markt einkaufen möchte, braucht eine Kulturlegi. Dieser Ausweis ist für Menschen, die mit einem knappen Budget leben müssen (siehe Seite 15, «Kennen Sie die Kulturlegi?»). Einen solchen Ausweis hat auch Brigitta Roth (67) im Portemonnaie. Sie ist selbständig mit einer kleinen Boutique in Bern, ihr Einkommen ist tief und unregelmässig. Heute ist ihr beim Einkauf ein Glücksgriff gelungen: «Eine Tiefkühlpizza und ein Butterzopf, ich freue mich auf das feine Essen!»

*Name geändert


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