Editorial

Lilafarbene Frische

Anne-Sophie Zbinden

Anne-Sophie Zbinden, Chefredaktorin

Was bleibt, ist frischer Mut. Frauenstreikduft liegt in der Luft! Das Datum steht, save the date: am 14. Juni 2023 sind wir bereit! Vor drei Jahren gingen an diesem Tag eine halbe Million Menschen auf die Strasse und tauchten die Schweiz in ein lila Farbenmeer. Der feministische Streik 2019 war kraftvoll und laut. Aber offensichtlich haben gewisse gutbetuchte Herren und Damen diesen Tag der Tage bereits wieder vergessen, wie das Ja zur AHV-Abbau-Vorlage auf dem Buckel der Frauen gezeigt hat («Wir sind gekommen, um zu bleiben!», AHV 21 am 25. September: Oben gegen unten). Vielleicht braucht es nach der lila Welle jetzt eine lila Flut, für Lohngleichheit, für eine faire Aufteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit, für frauenfreundliche Arbeitsplätze … Das Abstimmungsresultat gibt dem Mut Schub für die Flut.

Frauenstreikduft liegt in der Luft.

ZUVOR WAR DIE WUT. Wieder haben die Männer die Frauen überstimmt. Schon wieder müssen jene bezahlen, die ohnehin schon wenig haben: Frauen mit Tieflohnjobs. Frauen, die dazu noch den Löwen­anteil der unbezahlten Care-Arbeit leisten. Und wieder haben privilegierte Männer und Frauen über Büezer und Chrampferinnen bestimmt. Jene, die sich dank bequemen finanziellen Pölsterchen früh­zeitig in die Pensionierung verabschieden können. Wieder verfügen die, welche Teuerung, Energiepreis-Explosion und jetzt auch die exorbitanten Krankenkassen­prämien aus der Portokasse bezahlen, über jene, die jeden Rappen zweimal umdrehen müssen. Diejenigen Haushalte, denen bereits 100 bis 200 Franken schmerzlich fehlen und sich jetzt über­legen müssen, ob sie heizen oder essen sollen. Für 20 bis 30 Prozent der Schweizer Bevölkerung besteht die Gefahr, dass sie sich verschulden müssen. Eine «sozialpolitische Zeitbombe!», wie Caritas-Schuldenberater Lorenz Bertsch sagt . Die oben haben auch über die zwei Millionen Migrantinnen und Migranten entschieden, ohne die die Schweiz sozial, gesellschaftlich und vor allem auch wirtschaftlich einiges ärmer wäre. Die aber gar nicht mitentscheiden durften, weil sie politisch nichts zu sagen haben. Weil sie keinen Schweizer Pass besitzen («Wir wollen endlich mitentscheiden!»).

AM ANFANG WAR DIE ENTTÄUSCHUNG: Ein Jahr länger arbeiten, echt jetzt? Und damit den Frauen auch noch die Renten kürzen. Dabei fehlten nur gut 30 000 Stimmen, und das Abstimmungsresultat wäre Grund zur Freude gewesen. Wäre die Abstimmung doch nur eine Woche später gewesen – kurz vor der Abstimmung hatte der Wind doch leicht gedreht. Aber nein, schon wieder macht die Schweiz einen Schritt in die gleichstellungspolitisch falsche Richtung. Dabei steht die Gleichstellung seit 40 Jahren in der Verfassung. Wie lange müssen wir noch warten? Wieso, himmelherrgottnochmal, geht es bei der Gleichstellung einfach nicht vorwärts in diesem Land?

Aber jetzt, ein paar Tage und eine Spontandemo auf dem Berner Bahnhofplatz («Wir sind putzhässig!) später, wurde aus der Enttäuschung Wut – und aus der Wut fliesst frischer Mut.

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