Anne-Sophie Zbinden, Chefredaktorin

Anne-Sophie Zbinden, Chefredaktorin

Primitivo starb am 6. Dezember 1982 im Spital Langenthal. Ein Schalungselement hatte den 61jährigen Maurer erschlagen. Doch im lokalen Anzeiger erschien keine Todesanzeige. Niemand schien den Saisonnier Juan José Pérez Martínez aus Spanien zu vermissen. Ausser einer. Damals Maurerlehrling, selbst mit spanischen Wurzeln. Jahre später schrieb der inzwischen Schriftsteller gewordene Pedro Lenz ein Buch über den Baubüezer «Primitivo», wie ihn alle nannten. Der Stift und der Saisonnier verbringen viel Zeit miteinander, auf der Baustelle, aber vor allem in Primitivos einfachem Zimmer, das dieser im wirklichen Leben auf dem Firmengelände der Willy Bösiger AG bewohnte (work berichtete).

Die vergebliche Suche

Der Stift, im Buch heisst er Charly, weiss auch von der Abneigung von Primitivo gegenüber den Banken. Weil der weitgereiste Spanier in Uruguay einen Banken-Crash erlebt und sein ganzes Vermögen ver­loren habe. Deshalb das Geld unter Primitivos Matratze, im Buch sind es 70 000 Franken, in Wirklichkeit wohl deutlich weniger, verteilt auf zwei Konten. Aber dennoch der Grund, wieso sich ein anderer Mann aus einer ganz anderen Branche an Primitivo erinnert: ein Notar. ­

Seit über 40 Jahren sucht er nach José Pérez’ Verwandten. Um ihnen das von Primitivo ­
auf dem Bau erchrampfte Geld zu übergeben. Doch bisher vergeblich, wie der «Beobachter» ­jüngst berichtet.

Das letzte Inserat

Dabei hat der Notar unzählige Briefe geschrieben, die Schweizer Botschaft in Madrid kontaktiert, sogar Recherchen vor Ort angestellt. Doch nun ist Schluss, der Notar geht in Pension. Und deshalb hat es jetzt doch noch eine Anzeige über Saisonnier José Pérez in den lokalen Anzeiger geschafft. Der finale Erbaufruf: «Der Verstorbene ist ledig und kinderlos verstorben», steht darin. «Er hat keine Verfügung von Todes wegen hinterlassen, so dass die gesetzliche Erbfolge gilt. Es sind keine gesetzlichen Erben des Verstorbenen bekannt.»

Der tragische Unfall

Die Welt hat sich seit Primitivos tödlichem Unfall vor über 40 Jahren verändert, gewiss. Doch noch immer ist die Arbeit auf dem Bau gefährliche Knochenarbeit. Noch immer sterben in der Schweiz fast jeden Monat zwei Baubüezer. So auch Djavid Veliu (1969 – 2025). Seine Familie ist erschüttert. Und wütend. Auf die Baufirma, die so tut, als wäre nichts gewesen. Die keinerlei Mitgefühl zeigt, keine Hilfe anbietet. Und auf Teufel komm raus weiterchrampfen lässt. Hier geht es zum Beitrag.

Der SVP-Wahn

Das Saisonnierstatut, das Menschen zu Arbeitstieren degradierte, ­Familien auseinanderriss und Büezer wie ­Primitivo vereinsamen liess, ist zwar inzwischen abgeschafft. Doch es geistert in SVP­Köpfen noch immer rum – aktuell mit der ­gefährlichen «10-Millionen-Schweiz-Initia­tive» – zusammen mit weiteren Scheinrezepten ­gegen die Zuwanderung (zum Artikel). Denn die Zuwanderung muss aus ihrer Sicht um jeden Preis beschränkt werden, da die «Ausländer» schuld sein sollen an überteuerten Wohnungen (zum Artikel), verstopften Trams und explodierenden Krankenkassenprämien. Unklar bleibt dabei: Wer baut die Schweiz, damals und heute, wenn nicht Menschen aus Portugal, Italien, vom Balkan und aus Spanien?

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