Rechte Parlamentsmehrheit aus SVP, FDP, GLP und Mitte drückt milliardenteure Abbauvorlage stur durch

BVG-Pfusch: Jetzt das Referendum unterschreiben!

Clemens Studer

Sie waren gewarnt, doch sie wollen es wissen: Die rechte Parlamentsmehrheit verabschiedet eine mil­liardenteure BVG-Abbauvorlage. Diese «Reform» ist inhaltlich eine Unverschämtheit und technisch ein Pfusch. Alle sollen noch mehr bezahlen und noch weniger dafür bekommen. Das Referendum läuft.

BVG-Revision

Das Pensionskassensystem ist ein bröckelnder Problemfall, aber noch kein Scherbenhaufen. Die von der bürgerlichen Parlamentsmehrheit durchgedrückte BVG-Revision dagegen schon. Sie löst keines der vielen tatsächlichen Probleme des Pensionskassensystems. Und nicht einmal jene von der Finanzindus­trie herbeigeredeten. Wie konnte es so weit kommen? Zuerst strichen SVP, FDP und GLP alle sozialen Komponenten aus der Vorlage. Dann erfüllten sie zusammen mit einer Mitte-Mehrheit die weiteren Wünsche der Finanzindus­trie. Und zu schlechter Letzt begangen sie auch noch zu schludern.

EIN BRAUCHBARER ANFANG

Seit Jahren wird immer deutlicher, dass die sogenannte 3. Säule der Altersvorsorge bröckelt. Für immer höhere Pensionskassenabzüge gibt es immer weniger Rente. Besonders stossend ist die Situation für Teilzeitarbeitende und Geringverdienende. Frauen sind besonders betroffen. Weil die Probleme bekannt sind, doch das bürgerlich dominierte Parlament nicht vorwärtsmachte, beziehungsweise mit einseitigen Abbauvorlagen vor dem Volk scheiterte, beauftragte der Bundesrat die Gewerkschaften und die Arbeit­geber damit, die Möglichkeiten einer BVG-­Revision auszuloten. Diese fanden sich im Sommer 2019.

WILD GEWORDEN

Der Kompromiss der Gewerkschaften und des Arbeitgeberverbandes war zwar keine Gewerkschaftsvorlage, aber immerhin halbwegs sozialverträglich. Er hätte das BVG modernisiert, die Renten stabilisiert und vor allem jene der Teilzeitarbeitenden und Geringverdienenden quasi sofort verbessert. Und auch eine soziale Umlage-Komponente beinhaltet. Dagegen lief zuerst der Gewerbeverband Sturm. Und danach – nachdem der Bundesrat den «Sozialpartner-Kompromiss» zu seiner Vorlage gemacht hatte – vor und vor allem hinter den Kulissen die Lobbyisten der Finanz­industrie. Mit Erfolg. Vor allem SVP, FDP und GLP veränderten den sogenannten Sozialpartner-Kompromiss während der parlamentarischen Behandlung bis zur Unkenntlichkeit. Am Schluss stand statt einer halbwegs sozialverträglichen Revision eine 3 Milliarden Franken teure Abbauvorlage. Tritt sie in Kraft, bezahlen praktisch alle noch höhere Beiträge für noch schlechtere Leistungen. Die einzigen, die ihre Prvofite sicher in der Tasche haben, sind die Banken und Versicherungen.

AHV 21: Noch knausriger

AHV 21 war eine Abbauvorlage auf dem Buckel der Frauen. Nach dem Mini-Ja zur Rentenalterserhöhung für die Frauen will der rechtsbürgerlich beherrschte Bundesrat jetzt sogar noch beim völlig ungenügenden Rentenzuschlag für die Übergangsjahrgänge geizen. Denn dieser soll nicht an die Lohn- und Teuerungsentwicklung angepasst werden.

WERT HALBIERT. Das heisst: Der «Misch­index», nach dem alle zwei Jahre die AHV-Renten angepasst wird, soll nicht für den Rentenzuschlag gelten. Das bedeutet konkret: Bei gleichbleibender Teuerung sind die Zuschläge bis ans Lebensende der betroffenen Frauen in rund zwanzig Jahren nur noch knapp halb so viel wert wie heute. Noch ein gebrochenes Versprechen der Rechten aus dem AHV-21-Abstimmungskampf. Der Gewerkschaftsbund hat deutlich reagiert: «Wir fordern den Bundesrat mit Nachdruck dazu auf, seinen Spielraum so zu nutzen, dass zumindest die im Abstimmungskampf gemachten Versprechen eingehalten werden.» (cs)

Bei dieser Vorlage bezahlen praktisch alle noch höhere Beiträge für noch schlechtere Leistungen.

AUS DEM RUDER GELAUFEN

So weit, so schlecht – einfach die ganz übliche Rentenpolitik. Oder vielleicht doch nicht ganz. Denn die Parlamentarierinnen und Parlamentarier von SVP bis Mitte stürzten sich so ungestüm auf die leicht unterschiedlichen ­Interessen der verschiedenen Akteure der Finanzindustrie und der Wirtschaftsverbände, dass sie sich in der Summe heillos verhedderten. Am Ende warnten neben den Fachleuten vom Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) auch Pensionskassen-Experten vor der unausgegorenen Vorlage. Weil sie auch rein handwerklich Pfusch ist. Und Gewerbler und Bauern sind plötzlich nicht mehr so sicher, ob sie dafür sein sollen. Im Parlament drückte sich dies bei der Schlussabstimmung durch diverse Enthaltungen aus. Geschlossen Ja stimmten nur die Fraktionen der FDP und der GLP. Bei der SVP-Fraktion enthielt sich fast ein Fünftel.

DIE FRAUEN-LÜGE

Besonders übel ist die Rentensituation für die Frauen. Sie haben 37 Prozent weniger Rente als Männer. Hauptverantwortlich für diese Rentenlücke ist das Pensionskassensystem. Im Vorfeld der Abstimmung über die Er­höhung des Frauenrentenalters versprachen darum bürgerliche Frauen, die Rentensituation der Frauen werde bei der BVG-Revision verbessert. Aber zuerst müssten die Frauen aus Gründen der «Gleichstellung» eben noch mal eine faktische Rentensenkung bei der AHV akzeptieren. Diese Argumentation war damals schon durchsichtig, aber dürfte entscheidend zum Mini-Ja zum höheren Frauenrentenalter beigetragen haben. Und erwartungsgemäss waren die FDP- und GLP-Frauen danach ganz ruhig und trugen das Abbau­programm brav mit. Folge: Die vorliegende Reform verbessert die Rentensituation der Frauen nicht nur nicht, sie verschlechtert sie weiter. Auch weil gleichzeitig beim mickrigen AHV-Rentenzuschlag geknausert werden soll (siehe Box).

VOLK MUSS ENTSCHEIDEN

Die Gewerkschaften und die fortschrittlichen Parteien haben das Referendum gegen die BVG-Revision schon angedroht, als sich die massiven Verschlechterungen abzeichneten. Die bürgerliche Parlamentsmehrheit wollte nicht hören. Und stimmte danach sogar noch weiteren Verschlechterungen zu und lehnte die kleinesten Verbesserungsvorschläge ab. Darum sammeln die Gewerkschaften ab dem Erscheinungstag dieser work-Ausgabe Unterschriften für das Referendum (siehe Text links). Damit das Volk das letzte Wort hat.


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