Schnüffelstaat III: Und das Fichieren geht weiter

«Wetten, dass der Geheimdienst die Klima­bewegung überwacht!»

Patricia D'Incau

Nach dem Fichenskandal von 1989 fichiert der Geheimdienst munter weiter. Catherine Weber vom Verein Grundrechte Schweiz weiss auch, wie.

NEUE FICHEN. Catherine Weber wurde bis 1989 illegal vom Schweizer Geheimdienst überwacht. Und wird es heute wieder. (Foto: Severin Nowacki)

work: Catherine Weber, warum ­haben Sie kein Handy?
Catherine Weber: Ich kann und will nicht immer und überall erreichbar sein. Und es lebt sich hervorragend so.

Es hat nicht etwa damit zu tun, dass 1989 der Fichenskandal aufflog und Sie erfuhren, dass Sie vom Geheimdienst illegal überwacht wurden?
Natürlich hat mich diese Erfahrung geprägt. Ich habe keine Lust, meine Daten freiwillig und unfreiwillig zu hinterlassen. Und ja: Nach 1989 wussten wir, dass der Geheimdienst Telefone abhört. Damals sogar noch ganz ohne gesetzliche Grundlage. Das hat mich schon sensibilisiert, auf all die Fragen: Was für Daten hinterlasse ich eigentlich? Wer hat Zugang dazu, und was passiert damit?

Sie wollten kürzlich vom Geheimdienst wissen, ob er Ihren Verein Grundrechte Schweiz überwacht. Was haben Sie als Antwort erhalten?
Ein dickes Couvert mit vielen ungeschwärzten und geschwärzten Papieren. Der Geheimdienst hat in seinen Datenbanken seitenweise Informationen über uns gespeichert. Das hat mich richtig hässig gemacht. Denn sie machen wieder genau das, was sie gar nicht dürften.

Es wird also schon wieder illegal fichiert?
Im Gesetz heisst es ganz klar: Der Geheimdienst darf nur Daten sammeln, die etwa mit möglichem Gewaltextremismus, mit Terrorismus oder mit Spio­nage in Verbindung stehen. Nicht gespeichert werden darf, was mit legalen politischen Tätigkeiten zu tun hat. In unserem Dossier sind aber reihenweise Medienmitteilungen von uns und Medienberichte über uns abgelegt. Ausserdem Schreiben, mit denen wir an der Vernehmlassung von Gesetzen teilgenommen haben. Das ist eine demokratische Mitwirkung und hat in einer Geheimdienst-Datenbank nichts zu ­suchen. Im Couvert waren auch Dokumente, bei denen wir keine Ahnung ­haben, warum sie in unserem Dossier sind. Sie heissen «Lagebericht» oder ­«Tageslage», sind als geheim deklariert und grösstenteils geschwärzt. Da ist aber die Rede von «allgemeiner Bedrohungslage», und unser Verein ist vermerkt. Wie das passieren konnte, wissen wir nicht.

«Sogar Ex-Bundesrätin Micheline Calmy-Rey wurde fichiert.»

Überwacht denn niemand die Überwacher?
Die oberste Aufsicht hat die Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel). Dort sitzen Vertreterinnen aus dem National- und Ständerat. Ihre Aufgabe ist es zu kontrollieren, dass sich der Geheimdienst an die gesetzlichen Vorgaben hält. Nur: Die GPDel hat wenig Zeit und auch keine IT-Spezialisten zur Seite, die es brauchte, um diese Datenbanken wirklich zu durchblicken. Der Nachrichtendienst hat zwar auch eigene, interne Kontrollmechanismen. Aber: 2012 hat ein Geheimdienstler problemlos tonnenweise Daten nach Hause genommen und wollte sie verkaufen.

Es gibt auch kantonale Geheimdienstabteilungen und Aufsichts­behörden. In Basel sass dort zuletzt Ex-SP-Ständerätin Anita Fetz. Sie erfuhr im Frühling, dass der Geheimdienst sie fichiert hat, weil sie an einem Anlass in einem kurdischen Vereinslokal war. Die Schnüffler machen offenbar nicht einmal vor ihren Kontrolleurinnen Halt …
So ist es. Neben Fetz traf es SP-Nationalrätin Margret Kiener-Nellen und SP-­Nationalrat Cédric Wermuth. Sie alle sind in den Datenbanken des Geheimdienstes gelandet. Auch über die Grüne Partei, die Juso und die Alternative Liste gibt es Fichen. Jede Wette, dass auch die Klimabewegung überwacht wird! Und: 2003 traf es sogar die damalige Bundesrätin Micheline Calmy-Rey. Als Aussenministerin war sie an einer internationalen Konferenz in Lausanne. Dort wurde sie von einem Kurden angesprochen. Der türkische Geheimdienst meldete darauf dem Schweizer Nachrichtendienst, Calmy-Rey habe mögliche Verbindungen zu «Terroristen». Und der hat das tatsächlich fichiert.

1989 hatte der Geheimdienst vor allem Linke, Gewerkschafter und Ausländerinnen im Visier. Ist das heute noch so?
Genau wissen wir das nicht. Bei den Migrantinnen und Migranten bin ich mir aber sicher. Sie standen auf der Feindesliste schon immer ganz oben. Klar ist auch: Der Geheimdienst hat viele Menschen auf dem Radar. 2010 hatte er schon wieder 200 000 Personen fichiert. Dass so viele mit gewalttätigem Extremismus oder Terrorismus in Verbindung stehen sollen – das ist einfach nicht möglich. Die GPDel befahl dem Nachrichtendienst dann auch, Daten zu löschen. Wie viele heute noch registriert sind, ist nicht bekannt.

Warum hat der Fichenskandal die Schnüffelei eigentlich nicht gestoppt?
Die Empörung in der Bevölkerung war damals gross. Unter anderem, weil ­ohne gesetzliche Grundlage fichiert wurde. Das Parlament hat deshalb dann das sogenannte Staatsschutzgesetz aufgegleist. Immerhin haben sie sich da noch nicht getraut, die Telefonüberwachung zuzulassen. Als dann 2001 die Anschläge in New York geschahen, dachte man wohl: Jetzt hat sicher niemand mehr etwas dagegen. Und so kam es, dass der Nachrichtendienst immer mehr ausgestattet wurde.

Der letzte grosse Ausbau passierte 2016 mit dem Nachrichtendienst­gesetz (NDG).
Damit hat der Geheimdienst alle Kompetenzen bekommen, die er sich ­erträumen konnte. Jetzt darf er in Wohnungen einbrechen und Wanzen in­stallieren. Er kann Trojaner in Computer einschleusen und mitlesen, was wir da so schreiben. Die Geheimdienstler können meinen ganzen Internetverkehr von aussen kontrollieren. Und mit sogenannten IMSI-Catchern Handys orten. Je nachdem werden da Hunderte Menschen, die per Zufall in der Nähe sind, mitregistriert. Und: All diese ­Daten kommen in einen Topf, und niemand weiss, was mit diesem Topf passiert. Zwar braucht es je nach Massnahme einen richterlichen Beschluss. Aber es gibt wohl keinen Richter, der den Mut hat zu sagen: Das kommt nicht in Frage. Der sagt eher: Macht mal. Und wenn nichts ist, können die Daten ja immer noch gelöscht werden. Ob das dann passiert, ist die andere Frage.

Trotzdem sagen viele: «Soll mich der Geheimdienst doch ausspionieren, ich habe ja nichts zu verbergen.» Was antworten Sie da?
Das ist der alte Spruch. Den kehre ich um und sage: Wenn ich nichts zu verbergen habe, dann hat mich der Geheimdienst auch nicht zu überwachen.

Catherine Weber: «Madame Fichen»

Kaum eine hat den Fichenskandal 1989 so eng mitverfolgt wie sie: Catherine Weber war ab 1990 Sekretärin des Komitees «Schluss mit dem Schnüffelstaat», das auch die «Fichen-Fritz»-Zeitung (fichenfritz.ch) herausgab. Das Komitee beobachtete die politische Auf­arbeitung des Fichenskandals, erstritt das Einsichtsrecht und forderte die Abschaffung des Schnüffelstaats. Die Volksinitiative «S. o. S. – Schweiz ohne Schnüffelpolizei» scheiterte 1998 an der Urne, nachdem der Bundesrat die Abstimmung sieben Jahre hinausgezögert hatte. Seit 2006 ist Catherine Weber ehrenamt­liche Geschäftsführerin des Vereins Grundrechte Schweiz, der sich gegen staatliche und private Über­wachung einsetzt. Sie ist seit 22 Jahren Gewerkschaftssekretärin bei der Sektion NGO des VPOD.


Die eigene Fiche sehen: So geht’s

Möchten Sie wissen, ob Sie fichiert sind? Dann schreiben Sie einen Brief an den Nachrichtendienst des Bundes (NDB) (­rebrand.ly/musterbrief-1). Bei einem Einsichts­gesuch muss der NDB Auskunft geben, ob Sie in sechs der zwölf von ihm betriebenen Informations­systemen registriert sind. Er kann Ihr Gesuch aber auch aufschieben, wenn er der Meinung ist, dass ein Interesse an Geheimhaltung bestehe.

GEDULD. In diesem Fall schicken Sie einen Brief an den Datenschutzbeauftragten (rebrand.ly/musterbrief-2). Dieser überprüft, ob Ihr Antrag recht­mässig bearbeitet wird. Über den Inhalt der Fiche oder dar­über, ob Sie überhaupt eine Fiche haben, darf er aber keine Auskunft ­geben. Spätestens nach drei Jahren muss der NDB Sie informieren, wenn er keine Fiche über Sie angelegt hat.


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