Am Abend des 9. Juni wird klar sein, ob die Prämienlast für die riesige Mehrheit in der Schweiz endlich erträglicher wird. Noch ist nichts entschieden, aber ein Ja zur Prämienentlastung ist in Griffweite. Es geht um jede Stimme!
Wenn es nur eine Grafik gäbe, die zeigen würde, wie zentral ein Ja zur Prämienentlastungsinitiative der SP und der Gewerkschaften ist, dann wäre es diese oben: In den letzten zwei Jahrzehnten haben sich die Krankenkassenprämien mehr als verdoppelt, Löhne und Renten jedoch stagnierten. In den vergangenen Jahren ist zudem die Teuerung stark angestiegen, Mieten und Energie sind massiv teurer geworden. Diese Entwicklung treibt immer mehr Haushalte an den Rand ihrer finanziellen Möglichkeiten oder darüber hinaus.
Die letzten Umfragen sind draussen: sowohl jene im Auftrag der TX-Zeitungen wie jene der SRG sagen ein Ja zum Prämiendeckel voraus. Allerdings ein sehr knappes: mit je gerundeten 50 Prozent Ja zu gerundeten 48 Prozent Nein. Bei Fehlerquoten von ±2 (TX) und ± 2.8 Prozentpunkte (SRG).
DIE FRANCHISEN-FALLE
Auf 2024 hin war der Prämienanstieg besonders hoch: Auf das ganze Jahr gerechnet, beträgt der Prämienaufschlag für eine vierköpfige Familie über 1000 Franken. Durchschnittlich zahlt eine vierköpfige Familie heute 15 000 Franken für Prämien pro Jahr. Die hohen Prämien führen dazu, dass viele Menschen aus dem Mittelstand die höchste Franchise wählen, um Geld zu sparen. Das ist ein Teufelskreis. Denn weil sie die 2500 Franken pro Person und das zusätzlich anfallende Geld für den Selbstbehalt nicht haben, gehen sie nicht zum Arzt oder zur Ärztin. Mittlerweile verzichten rund 20 Prozent der Menschen aus finanziellen Gründen auf Arztbesuche – mit zum Teil fatalen Folgen.
DER VERBILLIGUNGS-BSCHISS
Dabei hatte es einmal ganz anders getönt: Niemand soll mehr als acht Prozent des Lohnes für Krankenkassenprämien ausgeben müssen. Das versprachen Bundesrat und Parlament bei der Einführung des Krankenversicherungsgesetzes Anfang der 1990er Jahre. Seitdem sind die Prämien explodiert, und die bürgerlichen Parteien im Bund und in den Kantonen haben ihr Versprechen gebrochen. Denn die in Sachen Prämienverbilligungen zuständigen Kantone knausern. Angeblich ist dafür kein Geld da. Dabei schreiben die Kantone seit Jahren massive Überschüsse. Obwohl sie sich konsequent arm budgetieren und für Reiche und Konzerne die Steuern senken. Wenn das Prämienwachstum und die Bevölkerungsentwicklung berücksichtigt werden – was eigentlich auf der Hand liegt –, haben 17 der 26 Kantone die Prämienverbilligungen im letzten Jahrzehnt zusammengestrichen. 10 Kantone haben die Beiträge sogar nominal gekürzt. Das heisst: Sie bezahlen heute auch in Franken weniger an Prämienverbilligungen als vor zehn Jahren. Besonders dreist: Nicht einmal das Geld, das sie für Prämienverbilligungen vom Bund bekommen, geben alle Kantone vollständig weiter.
UNSOZIALE KOPFSTEUER
Das Schweizer Gesundheitswesen gehört zu den besten der Welt. Dabei kostet es im Vergleich zu anderen Ländern nicht übertrieben viel. Die Schweiz gibt zwischen 11 und 12 Prozent ihres Bruttoinlandprodukts für die Gesundheit aus. Das ist ähnlich viel wie unsere Nachbarländer. Manche liegen ein bisschen höher, andere ein bisschen tiefer. Wenn die Gesundheitskosten besonders stark die Haushalte mit geringen und mittleren Einkommen plagen, hat das wenig mit den steigenden Kosten zu tun. Sondern mit der extrem unsozialen Finanzierung via Kopfprämien.
Im EU-Durchschnitt werden mehr als drei Viertel aller Gesundheitsausgaben über Steuer- und Lohnbeiträge finanziert. In Norwegen, Schweden und Luxemburg sind es gar über 85 Prozent. In der Schweiz sind es gerade mal 36 Prozent. Zusätzlich sind die Kosten, die von den Kranken direkt übernommen werden, in der Schweiz besonders hoch. Zu den explodierenden Prämien kommen noch Franchise, Selbstbehalt, rezeptfreie Medikamente und Zahnbehandlungen.
DAS ÄNDERT EIN JA
Kein Haushalt muss mehr als 10 Prozent des verfügbaren Einkommens für die Krankenkassenprämien ausgeben. Zwei Drittel der Gesamtausgaben für die Prämiendeckelung soll der Bund übernehmen, einen Drittel die Kantone. Den Versicherten, die die Verbilligung nötig haben, wird diese garantiert. Weil die Initiative verhindert, dass sie gestrichen wird, wenn die bürgerlichen Kantone wieder einmal eine Abbaurunde planen.
Mit einem Ja zur Prämieninitiative sinken zwar nicht die Gesundheitskosten. Steigende Kosten können aber nicht mehr einfach auf die Prämienzahlerinnen und -zahler abgewälzt werden. Seit Jahrzehnten versprechen Bundesrat und Bürgerliche Lösungen gegen die steigende Prämienlast. Ein Ja am 9. Juni macht ihnen Beine.
Foto: Keystone
Alt Bundesrätin Ruth Dreifuss erinnert an 1994 und sagt Ja
«Das Versprechen an die Bevölkerung war klar: Wenn die Prämien steigen – und davon ging man aus –, wird auch die Prämienverbilligung erhöht werden. Mit dem Ziel, dass kein Haushalt mehr als 8 Prozent des verfügbaren Einkommens für die Krankenkasse aufwenden muss. (…) Heute sind wir von diesem Ziel weit entfernt. Allein in den letzten 20 Jahren haben sich die Prämien mehr als verdoppelt. Gleichzeitig sparen viele Kantone bei der Prämienverbilligung. (…)
Am 9. Juni haben wir die Möglichkeit, diese Entwicklung zu korrigieren. Was wir in den 90er Jahren bereits hätten machen müssen, können wir nun nachholen: die Deckelung der Krankenkassenprämien. Es wäre ein Meilenstein auf dem Weg zu einer solidarischen Schweiz.»
Die Abstimmung über das Krankenversicherungsgesetz im Dezember 1994 ist eine der präsentesten Erinnerungen von Ruth Dreifuss. Die Gewerkschafterin war damals SP-Bundesrätin und für das Dossier verantwortlich. In einem Newsletter und in einem ausführlichen und eindrücklichen Gespräch mit SP-Präsident Cédric Wermuth ruft sie «ein paar Dinge in Erinnerung». (Nachzuschauen hier.)
Foto: ZVG Caritas
Darum sagt Caritas-Präsident Peter Lack Ja
«Die individuelle Prämienverbilligung unterstützt jene Menschen, die finanziell nur knapp über die Runden kommen. Ein Ausbau dieses Instruments trägt demnach dazu bei, das Armutsrisiko dieser Menschen zu senken.»
Foto: ZVG Medinside
Darum sagt Hausarzt-Präsident Philippe Luchsinger Ja
«Wenn Sie wissen, dass Sie die ersten 2500 Franken plus die Anteile des Selbstbehalts – also nochmals bis 700 Franken – schlicht nicht haben, werden Sie nicht zum Arzt gehen. Sie gehen nicht auf den Notfall und werden die benötigten Medikamente nicht kaufen. (…) Bei einem Ja zur Prämienentlastungsinitiative können die Menschen wieder eine tiefe Franchise wählen (…). Sie werden nicht mehr jeden Franken umdrehen müssen, um zu entscheiden, ob sie sich abklären und behandeln lassen können.»
Ein ausführliches Interview mit Philippe Luchsinger, Hausarzt und Präsident des Berufsverbands der Schweizer Haus- und Kinderärzte, gibt’s über diesen Link.
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