Exklusiv: Das grosse work-Interview mit Revolutionär Lenin

«Jetzt rede ich!»

Ralph Hug

Zum hundertsten Jahrestag der russischen Revolution 1917 gelang es work, ein Interview mit  Wladimir Iljitsch Uljanow zu führen. Exklusiv! Das war möglich, weil wir seine Schriften studierten und das Interview gleich selber schrieben.* Von Ralph Hug und Marie-Josée Kuhn

Lenin über Trump: «Schwindler machen immer viel Aufhebens und Lärm.» (Foto: Vietnamesische Briefmarke / iStock)

work: Wladimir Iljitsch Uljanow, wir dachten, Sie seien schon lange tot?!
Wladimir Iljitsch Uljanow: Machen wir uns keine Illusionen.

Wie meinen Sie das?
Ja, machen wir uns keine Illusionen. Ein einziger blutiger Knäuel – das ist das gesellschaftliche und politische Leben im gegenwärtigen geschichtlichen Zeitpunkt.

Moment, Moment: Könnten Sie sich zuerst kurz vorstellen? Viele Junge wissen doch gar nicht, wer Sie sind.
Ich lebte von 1870 bis 1924, stamme aus Simbirsk an der Wolga, war Chef der bolschewistischen Partei in Russland und dann 1917 der Anführer der grossen sozialistischen Oktoberrevolution. Genügt Ihnen das?

Sie heissen Uljanow, aber alle nennen Sie nur Lenin. Wie das?
Diesen Spitznamen erhielt ich, weil ich ein Oppositioneller war. 1897 verhaftete mich die zaristische Polizei und schickte mich drei Jahre in die Verbannung. An den sibirischen Fluss Lena. Daher mein Name.

«Der Monopolkapitalismus
erzeugt unweigerlich
imperialistische Kriege.»

Zurück zur Weltlage. Warum sehen Sie so schwarz?
Das Kapital wird durch die Arbeit der Werktätigen erschaffen, doch es zerstört den Arbeiter, ruiniert die kleinen Handwerker und schafft ein Heer von Arbeitslosen. Und: Der moderne, globale Monopolkapitalismus erzeugt unweigerlich imperialistische Kriege. Das wird so bleiben, solange es das Privateigentum an den Produktionsmitteln gibt.

Aber die Sowjetunion ist gescheitert, und der Kapitalismus hat überlebt.
Die Kapitalisten werden uns noch den Strick verkaufen, mit dem wir sie aufknüpfen.

Schon möglich. Doch was sollen wir tun?
Die Menschen waren in der Politik stets die einfältigen Opfer von Betrug und Selbstbetrug, und das wird so bleiben, bis sie lernen, hinter allen moralischen, religiösen, politischen und so­zialen Phrasen und Versprechungen die Interessen dieser oder jener Klasse zu erkennen.

Lenin (1870-1924): Agitator und Staatschef

Wladimir Iljitsch Uljanow war der Sohn eines Schulinspektors. 1893 arbei­tete er als Rechtsanwalt in St. Petersburg. Wegen Agitation verbannte ihn die zaristische Polizei drei Jahre nach Sibirien. 1903 emigrierte er erstmals nach Genf. Geld verdiente er als Journalist, Autor und mit Vorträgen. 1904 stieg er in die Führung des bolschewistischen (linken) Flügels der russischen Sozialdemokratie auf.

SCHWEIZER JAHRE. Von 1914 bis 1917 lebte Lenin in Bern und Zürich. An der Konferenz in Zimmerwald 1915 führte er die radikale Minderheit an. Nach der Oktoberrevolution 1917 ­wurde er Staatschef des ersten sozialistischen Landes der Welt. Lenin starb 1924 im Alter von 54 Jahren an einem Schlaganfall. Sein Leichnam wurde einbalsamiert. Er liegt heute ­in einem Mausoleum am Roten Platz in Moskau.

Was sollen wir zum Beispiel hinter den Phrasen von US-Präsident ­Donald Trump sehen?
Schwindler machen immer viel Aufhebens und Lärm, und gewisse einfältige Leute halten das für Energie.

Und wie sehen Sie Russlands Präsidenten Wladimir Putin?
Der Grosse erscheint nur gross, wenn wir vor ihm auf den Knien rutschen.

Sie sind also noch immer recht aufmüpfig drauf?
Wird das Proletariat etwa nicht fordern und durchsetzen, dass jede Familie Brot hat? Dass jedes Kind eine Flasche guter Milch bekommt und …

Sie reden wie SP-Präsident Christian Levrat. Dabei mögen Sie die Sozis gar nicht, oder?
Schlimmer, als blind zu sein, ist, nicht sehen zu wollen.

Geht es ein wenig konkreter?
Die Wahrheit ist immer konkret.

Herr Uljanow, bitte, was halten Sie von den Sozialdemokraten im Jahr 2017?
Als ich in Zürich war, habe ich den Stadtrat mit seinen Sozialdemokraten erlebt. Das sind keineswegs gewöhnliche Überläufer in das Lager des Feindes, sie sind einfach friedliche Spiesser, Opportunisten, die sich an den parlamentarischen Kleinkram gewöhnt haben und mit konstitutionell-demokratischen Illusionen belastet sind.

Hören wir da einen antidemokratischen Unterton heraus?
Demokratie ist die Vorstufe des Sozia­lismus.

Die direkte Demokratie der Schweiz beeindruckt Sie also gar nicht?
Bah! Zwar freier als andere Staaten, aber doch ein kleinbürgerlicher demokratischer Käfig, wie meine Frau Nadeschda Krupskaja treffend sagt.

Dann würde Ihnen die SVP gefallen. Sie ist zwar reaktionär, aber hierzulande die einzige leninistisch organisierte Kaderpartei. Straff geführt, Chef Blocher befiehlt, seine Getreuen folgen.
Ein Sprichwort lautet: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Das habe übrigens nicht ich erfunden, wie man mir immer unterstellt. Aber es gefällt mir gut.

Sie sind doch aber Internationalist! Warum verteidigen Sie jetzt indirekt den Nationalisten und Europahasser Blocher?
Man redet jetzt viel über Nationalität und Vaterland. Alle beweihräuchern auf tausenderlei Art die Freiheit und Unabhängigkeit des «Vaterlands», die Erhabenheit des Prinzips nationaler Selbständigkeit. Man kann nicht unterscheiden, wo hier der käufliche Barde endet und wo der Durchschnittsspiesser anfängt, der aus Stumpfsinn oder Charakterlosigkeit mit dem Strom schwimmt. Es hat auch keinen Wert, da Unterschiede zu machen. Wir haben es mit einer sehr breiten und tiefen Geistesströmung zu tun, deren Wurzeln mit den Interessen der Herren Gutsbesitzer und Kapitalisten der Grossmächte sehr fest verwachsen sind.

Das haben Sie jetzt schön gesagt. Doch zurück zu Ihrem Kontrollzwang: Ohne Vertrauen gibt es doch keine Freiheit, oder?
Freiheit in den kapitalistischen Gesellschaften ist nach wie vor mehr oder weniger das, was es auch in den griechischen Demokratien war: Freiheit für die Eigentümer von Sklaven.

Heute sind viele Menschen Sklavinnen und Sklaven ihres Handys. Finden Sie das gut?
Meine Losung lautet: Kommunismus ist Sowjetmacht plus Elektrifizierung des ganzen Landes.

Ja, schon. Aber finden Sie es denn nicht schlimm, dass die heutige ­Jugend kaum mehr Bücher liest?
Sicher ist das schlimm, denn die Bibliotheken in der Schweiz sind gut. Ich war viel im Sozialarchiv sowie in der Zentralbibliothek in Zürich. Sie werden es nicht glauben: Ich las alles, sogar Abhandlungen über die Fleischversorgung des Deutschen Reiches oder über das Höhenklima und seine Wirkungen auf den Menschen.

Jetzt reden Sie schon wieder nur von sich …
… hier liegt der Hund begraben!

Welcher Hund?
Tolstoi.

Wieso kommen Sie jetzt ausgerechnet auf Tolstoi?
Tolstoi gestaltete in seinen Werken – als Dichter wie als Denker und Künder – mit erstaunlicher Prägnanz die Züge der historischen Eigenart der gesamten ersten russischen Revolution, ihre Stärke und ihre Schwäche.

Ok, Tolstoi ist aber auch schon ein Weilchen tot. Glauben Sie eigentlich an die Wiedergeburt?
Die Religion ist eine Art geistiger Fusel, in dem die Sklaven des Kapitals ihr Menschenantlitz und ihre Ansprüche auf ein halbwegs menschenwürdiges Leben ersäufen.

Sie sind also gegen die Liberalisierung von Drogen?
Ich bin wirklich strikte gegen Smirnows Vorschlag, dass wir die Bauern für ihre Kartoffeln mit Alkohol zahlen sollen.

* Die Antworten sind Zitate von Lenin oder beruhen auf seinen Texten.


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