Editorial

Lenin hin, Lenin her

Marie-Josée Kuhn

Marie-Josée Kuhn, Chefredaktorin work

Was würde wohl Napoleon dazu sagen, wenn er noch lebte? Oder Kleopatra? Shakespeare? Rosa Luxemburg? Oder Gott, wenn es ihn denn gibt? So fragen wir Nachgeborene uns manchmal. Ein amüsantes Gedankenspiel, weil es uns zeitreisen lässt. Unterschiedlichste Welten prallen da aufeinander. Zum Beispiel die Ewigkeit und der Spätkapitalismus im Song «Interview mit Gott» von Altrocker Udo Lindenberg. Da sprechsingt der Udo: «Gleich nach dem Werbeblock mach ich das Interview mit Gott. Gleich nach dem Werbespot der liebe Gott. Seine Herrlichkeit zur besten Sendezeit. Einschaltquote: 100 Prozent.» Und dann donnert der Gott: «Ihr wisst doch, ich habe eure Welt so schön für euch erschaffen. Doch ihr, ihr habt sie vollgeknallt mit Waffen.»

FRISCH UND FRIVOL. Gespräche mit Jenseitigen haben ihren eigenen Charme, denn die Interviewten können sich nicht wehren. Deshalb freuen wir uns ganz besonders, Ihnen in dieser Ausgabe ein Exklusivinterview mit Wladimir Iljitsch Uljanow präsentieren zu können. Das ist möglich, weil wir Lenins Schriften studierten und das Gespräch gleich selber schrieben. Und siehe da: Der Mann nimmt auch 2017 kein Blatt vor den Mund. Er fährt SP-Chef Christian Levrat an den Karren, nimmt Donald Trump auseinander und gibt’s Christoph Blocher. Ok, sein Jargon ist nicht grad twittertauglich. Aber dafür, dass er schon so lange unter Glas liegt, wirkt er ziemlich frisch und frivol.

Die russische Revolution war eine Revolution von unten.

RICHTIGE REVOLUTION. 100 Jahre russische Revolution – und immer noch wogt der Antikommunismus. Lenin als Dämon, dieses Schreckensbild wird auch heute gerne befeuert. Zum Beispiel von der «NZZ am Sonntag»: Für sie stiess der Bolschewikenführer das «Tor zur Hölle» auf. Blutorgien und Terror sieht auch der deutsche Ex-Maoist, Wendehals und Historiker Gerd Koenen, wenn er über Lenin spricht. Er zieht eine gerade Linie von Lenin zu Stalin – rettet Marx aber für die Nachwelt. Nur unfruchtbar findet solchen «Ideologiestreit» der Lausanner Historiker Hans Ulrich Jost. Er verweist auf die interessanten Erkenntnisse der neueren sozialgeschichtlichen Forschung. Diese zeigt, dass die russische Revolution eine richtige Revolution gewesen ist, nämlich eine von unten. Ein Volksaufstand aus Hunger, Armut und Kriegsmüdigkeit. Angeführt von den Petrograder Arbeiterinnen. Lenin hin, Lenin her: Nicht die «gros­sen» Männer haben die russische Revo­lution also ins Rollen gebracht, sondern die «kleinen» Frauen.


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