Die Klimabewegung ist wieder da. Und mischt die Schweiz auf:

«Unsere Anliegen kann man nicht wegräumen»

Johannes Supe

Wer sie sind und was sie ­wollen: Die work-Reportage von der Klimastreik-Front.

ÜBERRASCHENDE ÜBERNAHME: Während 48 Stunden besetzten Klimaaktivistinnen und -aktivisten den Bundesplatz in Bern. Sie haben diskutiert, gespielt, musiziert (Sängerin Mira Gemperle oben rechts) und mit Journalisten und Politikerinnen gesprochen (Mediensprecherin Meret Schefer unten, zweites Foto von rechts). (Fotos: Severin Nowacki, MJK (2))

Sie sind laut, sie sind entschlossen, und vor allem: sie sind zurück. Gut 2000 Klimaaktivistinnen und -aktivisten stehen auf dem Berner Helvetiaplatz. Stehen und warten darauf, dass die Demonstration durch die Stadt beginnt. Hören geduldig den Reden zu, in denen jede einzelne Forderung der Klimabewegung erklärt wird. Immer wieder rufen die­Jugendlichen ihren Slogan: «What do we want? ­Climate justice! When do we want it? Now!»: Was wollen wir? Klimagerechtigkeit! Und wann wollen wir sie? Jetzt!

Eine, die im Skandieren bereits geübt ist, ist die 15jährige Schülerin Hanna aus Köniz bei Bern. Ihren richtigen Namen möchte sie lieber nicht veröffentlicht sehen. Ihre blonden Haare trägt sie im Irokesenschnitt, hat die Spitzen grün gefärbt; auf ihrer mit Nieten versehenen Lederjacke hängen Kleber und Buttons gegen Nazis, aber auch für Frauenstreik und Klimastreik. Trophäen von früheren und jetzigen politischen Engagements. Warum sie sich nun wieder einsetzt? «Ich möchte für die Zukunft kämpfen», sagt sie und: es müsse viel weniger CO2 ausgestossen werden. Weniger sicher ist sie sich, wie das geschehen könnte. Aber um das Ziel zu erreichen, ist sie bereit, etwas beizusteuern. Das kleinere: Schon seit zwanzig Minuten steht sie hier im Regen, ohne Schirm. Das grössere: Bewusst verzichtet Hanna auf ein Handy und meint: «Ist sowieso nicht mein Ding.»

Meret Schefer hingegen weiss genau, wie sich der Klimaschutz vorantreiben liesse. Als Sprecherin des «Rise up for Change»-Bündnisses kennt sie die Forderungen des Zusammenschlusses im Detail: bis 2030 ein CO2-Ausstoss von netto null, etwa durch die Bevorzugung natürlicher Produkte in der Landwirtschaft. Den Finanzplatz endlich an die Kette legen und die Demokratie der Schweiz ausbauen. An normalen Tagen geht die 16jährige ans Gymi in Burgdorf. Doch heute spricht sie, das Mikrophon in der Hand, zu den vielen Versammelten: «Die Politik hat in ihrer Verantwortung versagt.» Darum müsse nun wieder die Jugend auf die Strasse gehen.

Bereits um 15 Uhr versammelten sich die ersten zur Demonstration. In Bewegung setzt sich der über Stunden anwachsende Zug aber erst knapp vor 17 Uhr. Es wird ein kurzer Marsch durch Bern, rasch hinüber zum Waisenhausplatz, wo man abermals Forderungen erläutern wird. Zufrieden sind die Organisatoren allemal: In nur zwei Tagen haben sie es geschafft, wieder Tausende für ihr Anliegen zu mobilisieren. Noch dazu zu einer unbewilligten Demonstration. Tatsächlich stellt diese Demonstration den Abschluss einer Woche dar, in der die Klimajugend die ganze Schweiz in Aufruhr versetzt hat.

«Wir wollten dorthingehen, wo Politik und Finanz sitzen, und sie konfrontieren.»

BUNDESPLATZ IN BUNT

Morgens um 4 Uhr 40 Uhr geht es los: In der montäglichen Dunkelheit stürmen Dutzende auf den Berner Bundesplatz, bauen in beeindruckender Geschwindigkeit Schlaf- und Versammlungszelte auf, richten eine Bühne ein, schaffen Koch- und Putzmaterial heran. Ihr Plan: Bleiben!

Ein halbes Jahr Diskussion und Vorbereitung stecken in der Besetzung, erklärt Leandra Breu. Die junge Frau absolviert gerade ihre Lehre zur Betriebsinformatikerin, ist darüber hinaus ebenfalls Sprecherin für «Rise up for Change». Hinter dem Bündnis steht nicht nur die Bewegung «Klima­streik», sondern auch die Gruppen «Collective Breakfree», «Collective Climate Justice», «Extinction Rebellion» sowie die Umweltorganisation Greenpeace. Es habe in der Klimajugend das grosse Bedürfnis gegeben, sich zusammenzuschliessen, so Breu. Nach vielen Debatten habe man sich dann auf die Besetzung einigen können.

Bis zum Abend sind bereits Hunderte auf den Bundesplatz geströmt. Da die Strassen blockiert wurden, spielen hier nun Kinder und schieben fröhlich einen zur gewaltigen Erdkugel aufgeblasenen Ball herum. In diversen Kleingrüppchen diskutieren Jugendliche – oder spielen Karten. Andere stehen in der langen Schlange, an deren Ende es zu essen gibt: veganes Linsencurry.

Auch Hanna sitzt auf dem Bundesplatz – und hat ihre Mutter mitgebracht. Die findet es vor allem «richtig, dass sich die Jugendlichen endlich auf die Hinterbeine stellen». Denn seit den Nationalratswahlen im letzten Oktober sei fast nichts passiert. Erfahren hat Hanna von der Besetzung durch Zufall: Einem Nachbarn sei ein Flyer in die Hand gedrückt worden, und der habe die Information dann weitergegeben. Sie selbst sei nicht in einer Gruppe. Ob die beiden die Nacht über auf dem Bundesplatz bleiben werden? «Eher nicht. Aber den Abend schon. Die Stimmung ist ja toll», sagt Hanna.

Als es bereits dunkel wird, beginnen die Konzerte. Zwischen Rock und eher langsamen Balladen gibt es durchaus tanzbare Sounds – und ein auf Bewegung hungriges Publikum. Eine, die jetzt ihre Songs spielt, ist Mira Gemperle. Sie sagt: «Die Kraft, die man hier spüren kann, ist so wunderschön!» Tatsächlich hat die Klimabewegung die 25jährige Baslerin motiviert, zum ersten Mal vor einer grösseren Gruppe aufzutreten. Gemperle hatte unter dem Einfluss der früheren Streiks Songs wie «Earthlings», Erdlinge, verfasst. Als sie dann sah, dass «Rise up for Change» etwas Grösseres plant, kontaktierte sie die Gruppe übers Netz – und wurde prompt zum Konzert eingeladen.

ÜBERRASCHENDE ÜBERNAHME: Während des Klimacamps wurde diskutiert, gespielt, musiziert (Sängerin Mira Gemperle oben rechts) und mit Journalisten und Politikerinnen gesprochen (Mediensprecherin Meret Schefer unten, zweites Foto von rechts). (Fotos: Severin Nowacki, MJK (2))

UNGEHIRSAM JA, GEWALT NEIN

Aber warum halten sie gerade den Bundesplatz besetzt? Man habe sich bewusst für diesen Ort entschieden, erklärt Sprecherin Schefer, obwohl man dort während der Session ja nicht demonstrieren dürfte: «Wir wollten dorthingehen, wo Politik und Finanz sitzen, und sie konfrontieren.» Ausserdem rechtfertige die Klimakatastrophe den zivilen Ungehorsam. Bei dem wird es dann auch bleiben, denn die Protestierenden sind vor allem eines: friedlich. Ihren Unrat entsorgen sie diszipliniert, ihre Notdurft verrichten sie in Komposttoiletten, und sogar unfreundliche Passanten werden nicht beschimpft. Grosse Mühe geben sich die Organisatorinnen damit, die neuesten Informationen an alle auf dem Platz weiterzugeben. Als die Stadt Bern den Leuten ein Ultimatum stellt, den Platz bis Dienstagmittag zu räumen, wird gleich eine grosse Versammlung aller Anwesenden einberufen. Doch die Klimajugend ist gewieft: der Entscheid über das weitere Vorgehen liegt nicht hier, sondern bei einem ausgeklügelten Delegiertensystem. Idealerweise soll so wirklich die Meinung aller abgebildet werden; in der Praxis entscheidet der entschlossenste Teil der Bewegung. Und er bestimmt mitten in der Nacht, dass die Besetzung weitergeht. Man gibt dem Ultimatum der Stadt nicht nach. Als die Polizei – deutlich nach Ablauf der Frist – schliesslich doch räumt, kommt es zu keinem Gerangel. Denn auch für den Fall hatten sich die Jugendlichen vorbereitet.

Allerdings wird in den zwei Tagen auch klar, wie kräftezehrend die Mischung aus konstanter Politik und kurzen Nächten war. Einige Besetzende kommen an den Rand der Erschöpfung. Doch all die Handwerker, die rund um den Bundesplatz bauen, die Maurer, Gipser, Heizungsin­stallateure, bleiben dem Camp fern, obwohl das Klima-Camp auch ihnen Gratisessen anbietet. Nur einmal treibt die Neugier drei Dachdecker kurz auf den Platz. Auf dem Rückweg fragt der eine seine Kollegen: «Hat denn die Polizei keine Wasserwerfer mehr?» Eine schnellere Räumung des Platzes hätten die drei begrüsst.

Dabei leiden gerade auch die Baubüezer in ihrem Job unter der Klimaerwärmung. Als Pierre-Yves Maillard, der oberste Gewerkschafter, am Rande des Camps vorbeikommt, hat er eine Botschaft: «Von den Auswirkungen der Klimakrise sind auch die Beschäftigten in vielen Branchen ­betroffen», sagt er. Und oft hätten gerade die Arbeitenden Ideen, wie ihre Betriebe ökologischer werden könnten. Maillard: «Ihnen müssen wir zuhören!» Auch wenn sich dann vielleicht nicht alles so schnell verändere, wie es sich die Klimaleute vorstellten.

LEBENSWERTE ZUKUNFT

Aktivistin Meret Schefer zieht Bilanz. Sie ist sehr zufrieden und sagt: «Für 48 Stunden haben wir einen Platz besetzt, um für eine lebenswerte Zukunft zu kämpfen. Und wir haben viele neue Menschen zum Handeln bewegen können.» Schefer: «Mit einer Räumung kann man unsere Anliegen jedenfalls nicht wegräumen.»


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