Nationalrat macht Sonntag zum «ganz normalen Arbeitstag»
Neues von den Turbo-Lädelern. Der Nationalrat macht ihnen eine grosse Freude. Und Bundesrat Parmelin nimmt sie beim Wort und wird zum Dank von ihnen ausgeschimpft. Die neusten Volten um die Ladenöffnungszeiten wären zum Lachen, wenn es nicht um die Gesundheit der Arbeitenden ginge.
Während 7 Tagen je 24 Stunden sollen die Läden offen sein. In Fabriken und Büros sollen 50 Stunden pro Woche gearbeitet werden. Wenns dem Arbeitgeber passt, auch gestückelt rund um die Uhr, nachts und am Wochenende und an Feiertagen, selbstverständlich ohne Zuschläge. Das sind die Wünsche der Arbeitgeberverbände und ihrer Parteien SVP, FDP, GLP und teilweise der Mitte (Ex-CVP). Jetzt sind diese, so auf den Punkt gebracht, natürlich in keiner Weise mehrheitsfähig. Darum versuchen bürgerliche Politikerinnen und Politiker es immer wieder mit immer neuen «Argumenten». Sowohl beim Arbeitsgesetz als auch bei den Ladenöffnungszeiten. Ganz so, wie sie umgekehrt auf allen Ebenen mit sich widersprechenden «Argumenten» Mindestlöhne verhindern wollen.
AM VOLK VORBEI
Blöd für die Arbeitsschutz-Schleiferinnen und -Schleifer: Das Volk wollte in den letzten beiden Jahrzehnten in über 70 Prozent der jeweiligen Abstimmungen nichts von längeren Ladenöffnungszeiten wissen. Und auch dort, wo «Liberalisierungs»-Vorlagen durchkamen, scheint das von den Turbo-Lädelern herbeifabulierte «überwältigende Bedürfnis der Bevölkerung» nur sehr begrenzt real zu sein. Vielerorts verzichten die Lädenbetreibenden auf längere Öffnungszeiten, weil es nicht rentiert. Doch «Liberalisierung» ist keine Bedürfnisbefriedigung, sondern marktradikale Ideologie. Darum kommt es zu immer neuen Vorstössen – und vor allem zu immer neuen Versuchen, Ausweitungsvorlagen am Volk vorbeizuschmuggeln.
PARMELIN NIMMT’S (ZU) WÖRTLICH
Zum Beispiel mit der Ausweitung der «Tourismuszonen». Auf Wunsch rechter Kantonsregierungen sollen via Verordnung – zu denen das Volks nichts zu sagen hat – absurd grosse «städtische Tourismusquartiere» definiert und damit zum Beispiel die Kernstädte zum 7-Tage-Shoppingcenter werden. Die «Argumente»: Touristinnen und Touristen erwarten einfach offene Läden an jedem Tag. Bundesrat Guy Parmelin leuchtete das ein. Blöderweise für die Zürcher FDP-Regierungsrätin Carmen Walker Späh und ihre Brüder und Schwestern im Geiste nahm der SVP-Volkswirtschaftsminister sie wörtlich und schickte eilfertig eine Verordnung auf die Schiene, die es «Verkaufsgeschäften mit entsprechendem Angebot in städtischen Quartieren mit internationalem Tourismus ermöglicht, während des ganzen Jahres ohne Bewilligung Arbeitnehmende an Sonntagen zu beschäftigen». Heisst: Luxuswaren und Souvenirs. Und für Sonntagseinsätze soll es Zuschläge geben.
Was der wackere Waadtländer Weinbauer nicht bedachte: Der Tourismus ist nur der Vorwand, Walker Späh & Co. wollen alle Läden öffnen und Sonntagsarbeit ohne Lohnzuschläge. Darum gabs jetzt Schimpfis. An einer eigens einberufenen Medienkonferenz sprachen sie von einem «bürokratischen Monster» und «untauglichen und komplizierten Sonderlösungen».
SONNTAG = ARBEITSTAG
Mehr Freude als am zwar folgsamen, aber wenig gmerkigen Parmelin hatten die Turbo-Lädelerinnen und -Lädeler gewiss an der Nationalratsmehrheit. Diese stimmte einer Motion des Walliser FDPlers Philippe Nantermod zu. Der will nichts weniger, als das «Arbeitsrecht so ändern, dass lokale Geschäfte im ganzen Land sonntags öffnen dürfen». Das ist immerhin ein ehrlicher Angriff auf den Gesundheitsschutz der Arbeitenden. Und zeigt, wie wenig bürgerliche Volksvertreter auf die Volksmeinung geben: Nantermods Landsleute hatten am 3. März eine Ausweitung der Ladenöffnungszeiten deutlich versenkt.
SONNTAGSARBEIT MACHT KRANK
Unzählige Studien zeigen: Fällt der Sonntag als arbeitsfreier Tag weg, leidet die Gesundheit der Lohnabhängigen. Regelmässige Sonntagsarbeit führt zu Schlafstörungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Magen-Darm-Störungen und Problemen bei der Schwangerschaft. Darum wehren sich nicht nur die Gewerkschaften und kirchliche Organisationen gegen ausufernde Sonntagsarbeit, sondern auch die Schweizerische Gesellschaft für Arbeitsmedizin.
Leena Schmitter ist Mitglied der Unia-Sektorleitung Tertiär. Sie sagt zum Entscheid des Nationalrates: «Die Arbeitszeiten im Verkauf sind jetzt schon sehr dereguliert und belastend – von den Beschäftigten wird ein Maximum an Flexibilität verlangt. Zerstückelte Einsätze, Abendarbeit und kurzfristige Änderungen der Dienstpläne gehören zu ihrem Arbeitsalltag. Noch mehr Sonntagsarbeit verschärft diese Entwicklung.»
NÄCHSTES REFERENDUM?
Die Gewerkschaften, Kirchen und Arbeitsmedizinerinnen und -mediziner erwarten vom Ständerat eine Korrektur des nationalrätlichen Fehlentscheides. Sonst kommt’s zum Referendum. Denn im Unterschied zu einer allfälligen bundesrätlichen Verordnungsänderung hätte bei einer Änderung des Arbeitsgesetzes das Volk das letzte Wort.
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, — Und wieder greifen die Arbeitgeberparteien den Gesundheitsschutz der Arbeitenden an. Diesmal haben sich die Bürgerlichen nicht einmal die Mühe eines neuen Vorstosses gemacht. Sondern einfach einen alten ausgegraben.