Das offene Ohr

Auswärts arbeiten: Wird mir der Weg angerechnet?

Myriam Muff  von der Unia-Rechtsabteilung beantwortet Fragen aus der Arbeitswelt.

Gemäss meinem Arbeitsvertrag ist mein Arbeitsort in der Stadt Zürich. Ich ­wohne in der Agglomeration von Zürich. ­Bisher war es für mich klar, dass mein Arbeitsweg nicht als Arbeitszeit angerechnet wird. Meine Arbeitgeberin hat aber noch eine Zweigstelle in Bern. Weil es dort akuten Personalmangel gibt, muss ich nächsten Monat in Bern arbeiten. Wird mir der längere Arbeitsweg als Arbeitszeit angerechnet?

PENDELN: Der Weg zur Arbeit zählt nur selten zur Arbeitszeit. (Foto: Keystone)

Myriam Muff: Ja. Zwar gilt der Arbeitsweg grundsätzlich nicht als Arbeitszeit. Eine Ausnahme liegt aber dann vor, wenn Sie Ihre Arbeit ausserhalb des eigent­lichen Arbeitsortes zu leisten haben und dadurch die Wegzeit länger als üblich ausfällt. In Ihrem Fall heisst dies, dass Ihnen die Differenz zwischen Ihrer bis­herigen Wegzeit und der Wegzeit, die ­Ihnen im nächsten Monat aufgrund Ihres ausser­ordentlichen Einsatzes in der Zweigstelle Bern entsteht, als Arbeitszeit angerechnet werden muss. Darüber hinaus hat die Arbeitgeberin Ihnen gestützt auf das Obligationenrecht die zusätzlich entstehenden Auslagen zu vergüten (zum Beispiel das Zugticket).

Versprochen: Darf mein Chef mir die Gratifikation kürzen?

Vor gut zwei Jahren habe ich meine derzeitige Stelle angetreten. Aufgrund des Fachkräftemangels hat mir meine Arbeitgeberin eine Gratifikation von 5000 Franken in Aussicht gestellt, wenn ich bis am 31. Dezember 2023 nicht kündige. Dies wurde schriftlich so vereinbart. Ende 2023 habe ich jedoch nur 4000 Franken erhalten, obwohl das Arbeits­verhältnis nach wie vor ungekündigt ist. Als ich meinen Chef darauf ansprach, sagte er mir, dass eine Gratifikation abhängig vom Ermessen des ­Arbeitgebers sei und es aufgrund des schlechten ­Geschäftsgangs nicht möglich gewesen sei, mir einen zusätzlichen Monatslohn zu bezahlen. Hat er recht?

Myriam Muff: Nein. Es stimmt zwar, dass eine Gratifikation in einem gewissen Masse vom Willen des Arbeitgebers abhängt. Eine Gratifikation ist eine Sondervergütung, welche die Arbeitgeberin bei bestimmten Anlässen wie Weihnachten oder Abschluss des Geschäftsjahres ausrichtet. Sie zeichnet sich gegenüber dem Lohn dadurch aus, dass sie zusätzlich zum Lohn ausgezahlt und vom ­Arbeitgeber freiwillig ausgerichtet wird. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn die Höhe der Gratifikation von der Qualität der Arbeitsleistung, dem Geschäftsgang oder von weiteren von der Arbeitgeberin frei bestimmbaren Krite­rien abhängig gemacht wird. In Ihrem Fall wurde Ihnen für Ihre Firmentreue ein klares Versprechen über einen zum voraus festgesetzten und fest vereinbarten Betrag gemacht – und zwar unabhängig vom Geschäftsgang. Ein im voraus festgesetzter und fest vereinbarter Betrag kann gemäss der Rechtsprechung des Bundesgerichts keine Gratifikation sein. Ihre Arbeitgeberin schuldet Ihnen damit die vereinbarten 5000 Franken bedingungslos. Es handelt sich dabei also um Lohn und nicht um eine Gratifikation im Ermessen der Arbeitgeberin.


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