Editorial

Wie wild wiederholen

Anne-Sophie Zbinden

Anne-Sophie Zbinden, Chefredaktorin

«Und im übrigen bin ich der Meinung, Karthago müsse zerstört werden.» Dieser berühmte Satz wird Cato dem Älteren zugeschrieben, einem erzkonservativen Politiker im alten Rom. Er fühlte sich bedroht durch den Reichtum Karthagos, der antiken Stadt nahe dem heutigen Tunis. Und sagte den Satz bei jeder noch so unpassenden Gelegenheit. Seine unsinnige Wiederholung zeigte aber Wirkung, die Römer zerstörten die stolze Stadt am Mittelmeer.

GROTESK. «Und im übrigen bin ich der Meinung, die Ausländer seien schuld.» Dieser zerstörerische Satz ertönt sinngemäss von SVP-Exponenten zu allen noch so unpassenden Gelegen­heiten, und die stupide Wiederholung verfehlt ihre Wirkung nicht, wie die Wahlen gezeigt haben. Die ­catoeske Posse hat SVP-Fraktionspräsident Thomas Aeschi zuletzt in der Arena vorgeführt: Schuld an den Energieproblemen? Die Migration. Schuld am Fachkräftemangel? Die Migration. Schuld an der Wohnungsknappheit? Die Migration. Müssten wir die Schuldigen für Nieselregen finden, die SVP wäre mit der Lösung sofort zur Stelle. Unbequeme Statistiken interpretiert sie als linkes Gewäsch.

Müssten wir die Schuldigen für Nieselregen finden, die SVP wäre mit der Lösung sofort zur Stelle.

ENG. Zum Beispiel die «Wohnungsnot». Das Bundesamt für Statistik hat jüngst die Gebäude- und Wohnungsstatistik 2022 veröffentlicht. Im Kanton Thurgau beträgt die durchschnittliche Wohnfläche pro Person in einem Schweizer Haushalt 50,5 Quadratmeter. Einem migrantischen Haushalt stehen nur 34,3 Quadratmeter zur Verfügung, also 32 Prozent weniger. Im Schweizer Durchschnitt beträgt der Unterschied 31 Prozent (44,7 Quadratmeter für Schweizer, 30,9 für migrantische Haushalte). Eng ist also vor allem das SVP-Weltbild und die Wohnung vieler Migrantinnen und Migranten.

Enge Wohnverhältnisse reihen sich ein in die Migrationsgeschichte der Schweiz. Erst Anfang der 1990er Jahre gelang es den Gewerkschaften, einigermassen anständige Zustände in den Saisonnierunterkünften zu verankern: höchstens zwei Personen pro Zimmer, hygienische Minimalstandards, korrekter Kantinenservice. In der gleichen Zeit gelangen erfolgreiche Schritte zur Abschaffung des menschenunwürdigen Saisonnier­statuts. So erfolgreich, dass der ­damalige Direktor des Schweizerischen Arbeit­geberverbandes, Heinz Allenspach, die Gewerkschaften als «fünfte Kolonne der Schweiz», als Landesverräterinnen, betitelte.

FLANKIEREND. Saisonniers verdienten 1996 fast 14 Prozent weniger als gleich qualifizierte Einheimische. Diese Tieflöhne setzten generell die Löhne unter Druck und spalteten die einheimische und die migrantische Arbeiterschaft. Der Lohndruck verhalf dem Ruf nach der Abschaffung des Saisonnierstatuts zu mehr Nachdruck. Mit der Einführung der Personenfreizügigkeit 2002 wurde es schliesslich abgeschafft. Im neuen Abkommen hatten drei wesentliche Merkmale des Saisonnierstatuts keinen Platz mehr: Verbot des Familiennachzuges, keine berufliche und geographische Mobilität, Zwang zur Rückkehr. Gleichzeitig mit der Personenfreizügigkeit diskutierten die Gewerkschaften die flankierenden Massnahmen. Denn sie erkannten die Gefahr von Lohndumping und forderten Schweizer Arbeitsbedingungen für alle Arbeitenden in der Schweiz. Und mehr Kontrollen. Gegen Lohnschutz und Kontrollen sträubten sich die Arbeitgeber damals, und sie tun es auch heute wieder. In den aktuellen Verhandlungen mit der EU.

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