FlaM-Kontrolle deckt extremes Lohndumping auf

Fabrikrückbau zum Zweifränkler-Lohn

Jonas Komposch

Mit der ­Konkursmasse einer­ ­Chemiefabrik in Pratteln BL ­machen drei Firmen den grossen Reibach – auf dem Rücken von 130 Metallbauern aus Osteuropa und des heimischen Gewerbes.

ABBRUCH: Hier wird das alte Rohner-Areal dem Erdboden
gleichgemacht. Auf der Baustelle schufteten Arbeitet später für einen Hungerlohn. (Foto: ZVG)

Es ist der blanke Wahnsinn! 2 Franken und 16 Rappen. So «viel» verdiente Metallbauer Pjotr Miroslaw * (50) pro Stunde. Aber nicht etwa in seiner Heimat in Polen, sondern in Pratteln im Baselbiet. Dort war Miroslaw Anfang 2021 mehrere Monate im Einsatz – zusammen mit bis zu 130 weiteren Arbeitern aus ­Litauen, Lettland und Polen. Ihre Aufgabe: Zerlegung der gesamten Produktionsstätte der konkursgegangenen Chemiefabrik Rohner. Das Werkgelände an bester Lage hatte sich die Basler Hiag unter den Nagel gerissen. Der Immobilienentwicklerin gehören schweizweit schon über 40 ehemalige Industrieareale. Und ihre «Aufwertung» erweist sich als wahre Goldgrube: Mit einem Vermögen von 500 bis 600 Millionen Franken rangiert die Hiag-Besitzerfamilie Grisard auf der «Bilanz»-Liste der 300 Reichsten. Doch auch die deutsche KD Pharma mit Sitz in Lugano hatte in Pratteln ein grosses Geschäft gewittert.

DREIVIERTELMILLION ZU WENIG

Sie krallte sich an die komplette Produktionsanlage von Pleite-Rohner. Dies mit dem Ziel, die Anlage eins zu eins in England wieder aufzubauen. Kosten sollte die Fabrik-Züglete aber möglichst nichts. Das zeigt jetzt ein druckfrischer Prüfbericht der Arbeitsmarktkontrollstelle für das Basler Baugewerbe (AMKB). Über diesen berichtete zuerst die KMU-Zeitung «Standpunkt der Wirtschaft». Das Fazit daraus: Alle kontrollierten Arbeiter erhielten illegale Dumpinglöhne. Im Schnitt keine 9 Franken. Arbeiten mussten sie 10 Stunden am Tag, auch an Feiertagen und teils sogar am Sonntag. Ferien oder einen 13. Monatslohn gab es nicht. Genauso wenig Spesen für Verpflegung und Unterkunft, obwohl all das der GAV für das Basler Metallbaugewerbe vorschreibt. Insgesamt zockten die Chefs ihre Büezer um mindestens 738 000 Franken ab.

Aufgeflogen ist der Fall wegen einer Entsendekontrolle im Rahmen der flankierenden Massnahmen (FlaM). Solche Kontrollen führen die paritätischen Kommissionen ­(Arbeitgeber und Gewerkschaften) durch, wenn ein meldepflichtiger ausländischer Entsendebetrieb verdächtige Angaben macht. Und das war in Pratteln durchaus der Fall.

Die Baufirmen werden in der Schweiz nicht mehr wirken können.

SPERREN UND BUSSEN

Im Visier hatten die Kontrolleure vier osteuropäische Sub- und Subsubunternehmen. Diese waren von der holländischen Gerritsen Group angeheuert worden, einer laut Eigenwerbung global tätigen «Expertin für sorgenfreie Industrieumzüge». Gerritsen wiederum stand in Diensten der KD Pharma. Die Bau­buden jedenfalls arbeiteten unter Hochdruck, denn der Terminplan war eng. Zudem beschränkt das Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU die Entsendedauer auf 90 Tage. Das erhöhte den Zeitdruck zusätzlich. Trotzdem behaupteten die Subunternehmer gegenüber der AMKB, ihre Arbeiter hätten bloss 4 bis 6 Stunden pro Tag gearbeitet. Die Kontrolleure aber dokumentierten wiederholt, wie die Arbeiter jeweils vor 7 Uhr morgens auf der Baustelle eintrafen und diese meistens erst gegen 19 Uhr verliessen. Ausserdem: Die Arbeiter übernachteten in einer Selbstversorgerunterkunft im ­deutschen Grenzgebiet und wurden jeweils in Kleinbussen nach Pratteln gebracht. Für die AMKB ist daher klar: Hier wurden nicht nur der Gesamtarbeitsvertrag, das Arbeitsgesetz und das Entsendegesetz gebrochen. Vielmehr ver­stosse das gesamte Modell auch gegen das Verbot von Personalverleih aus dem Ausland in die Schweiz. Künftig werden die beschuldigten Baufirmen hier jedenfalls nicht mehr wirken können.

Noch haben sie zwar Gelegenheit auf Widerspruch. Doch schon im Januar wird die paritätische Kommission voraussichtlich hohe Konventionalstrafen verhängen und beim Kanton Dienstleistungssperren beantragen. Das Entsendegesetz sieht ausserdem Bussen von bis zu 40 000 Franken vor. work bleibt dran.

*Name geändert


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1 Kommentar

  1. Goran Trujic

    Solche Firmen sollten für lange, lange Zeit gesperrt werden.
    Dieser Fall zeigt einmal mehr, dass es weiterhin einen Lohnschutz braucht und Kontrollen ausgebaut und nicht abgebaut werden müssen.

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