Editorial

Bügle, schaffe, chrampfe

Anne-Sophie Zbinden

Anne-Sophie Zbinden, Chefredaktorin

Auf der Büez, im Stollen, in der Bude, im Gschäft, im Job. Bügle, schaffe, chrampfe, malochen, schuften oder Brötli verdienen – arbeiten halt. Doch wie gross sind die Brötli, und hat’s noch Speck drin? Das ist hier die Frage. Manche behaupten, die Brötli-Grösse hänge von der Leistung ab. Doch wer leistet mehr, die Reinigerin, die in vier Jobs an sieben Tagen pro Woche arbeitet, für 3400 Franken im Monat? Oder der Credit-Suisse-Manager, der vom stets frisch geputzen Büro aus Milliarden verlocht und dafür Boni kassiert?

Die Kinder ins Bett bringen und dann nochmals arbeiten, so hätte es der Arbeitgeberverband gerne.

LOCH. Schaufeln, pflegen, backen. Schrauben, putzen, metzgen. Regale einräumen, Kinder betreuen, Ware verpacken – arbeiten halt. Leistungen, deren Systemrelevanz viele schon wieder vergessen haben. Zumindest manche Firmenchefs, als es darum ging, die Löhne zu erhöhen oder schon nur die Teuerung auszugleichen. Im letzten Jahr sind die Löhne in der Schweiz um gerade mal 0,9 Prozent gestiegen, schreibt das Bundesamt für Statistik. Bei einer Teuerung von 2,8 Prozent bedeutet dies: im Schnitt 1,9 Prozent weniger Geld im Portemonnaie der Büezer. Und noch weniger im Handtäschli der Büezerinnen: Denn im Branchenvergleich schneiden diejenigen Jobs am schlechtesten ab, in denen am meisten Frauen chrampfen: Gastgewerbe, Detailhandel, oder Postdienste. Fürs Jahr 2023 sieht es etwas rosiger aus: Im Schnitt haben die Lohnabhängigen gemeinsam mit den Gewerkschaften Lohnerhöhungen von 2,5 Prozent ausgehandelt.

ALARM. Gleichzeitig schlagen die Arbeitgeber Alarm: 120 000 Stellen nicht besetzt! Fachkräftemangel bremst Schweizer Wirtschaft! Aha. Man nehme also zu tiefe Löhne und fehlende Mitarbeitende und schliesse daraus – mehr arbeiten. Wie bitte? Tatsächlich schafft es der Arbeitgeberverband, auf 13 Seiten und in 8 Lösungsansätzen den Lohn vollständig auszublenden. Wie auch den zunehmenden Stress und den mangelnden Respekt in vielen Branchen. Stattdessen zaubern die Arbeitgeber arg verstaubte Rezepte aus dem Hut. Zum Beispiel: mehr Stunden pro Tag arbeiten. Konkret: zuerst die Kinder ins Bett bringen, dann nochmals arbeiten. Das hiesse für den Baubüezer: Gute-Nacht-Geschichte erzählen und dann zurück in den Stollen, um 22 Uhr den Presslufthammer anwerfen. Oder: bis 70+ arbeiten. Oder: weniger Frei- und Ferientage.

BAREGG. Kommt Ihnen das bekannt vor? Ja, das hatten wir alles schon – erkämpft: zum Beispiel am 4. November 2002 am Baregg, als sich die Baubüezer das Rentenalter 60 sicherten. Oder 1920, als die Transportarbeiter und -arbeiterinnen in der Schweiz ein Arbeitszeit­gesetz durchsetzten, das auch Ferienbestimmungen umfasste. Oder am 1. Mai 1886 in den USA, als sich Tausende Arbeiterinnen und Arbeiter den Achtstundentag erstreikten.

Doch anscheinend ist nichts für immer errungen. Deshalb braucht es starke Gewerkschaften, mutige Büezer und standhafte Frauen. Am 1. Mai und am 14. Juni müssen wir klar­machen, dass die wahren Leistungsträgerinnen und -träger mehr Lohn, Respekt und weniger Stress verdienen. Wir wollen ja nicht den Fünfer und das Weggli, sondern nur Speckbrötli für alle.

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