Lohngleichheitsprüfungen für Firmen:

Der ganz faule Trick

Dore Heim

Seit dem 1. Juli 2020 sind alle Unternehmen in der Schweiz mit 100 und mehr Mitarbeitenden verpflichtet, ihre Löhne auf Lohndiskriminierung hin zu prüfen. Nur: Den Frauen bringt’s nichts.

ENDLICH LOHNGLEICHHEIT? Nach wie vor verdienen Frauen rund 20 Prozent weniger als Männer. Die Lohnprüfungen in den Unternehmen drüften daran wenig ändern. (Foto: Freshfocus)

Die Überprüfungspflicht betrifft gerade mal 0,9 Prozent aller Unternehmen und damit nur die Hälfte aller Beschäftigten. Und das ausgerechnet in ­einem Land der Kleinunternehmen! Der Bundesrat wollte ­eigentlich alle Betriebe ab 50 Mitarbeitenden in die Pflicht nehmen, aber die rechte Mehrheit im Parlament sagte Nö. Aber seien wir mal nicht kleinlich. Bringt diese Gesetzesrevision trotzdem was? Hat sie sich gelohnt? Für die Frauen?

Dore Heim (62) ist Historikerin und Gewerkschafterin. Von 2012 bis 2020 war sie SGB-Zentralsekretärin. (Foto: Nicolas Zonvi)

GUGUS. DADA.

Schauen wir den gesetzlich vorgegebenen Ablauf mal an: Die betroffenen 0,9 Prozent Betriebe bekamen ein Jahr Zeit, bis zum 1. Juli 2021, ihre Löhne selbst oder durch von ihnen bestimmte Fachleute prüfen zu lassen. Danach ein weiteres Jahr, bis zum 1. Juli 2022, um die korrekte Durchführung der Analyse durch eine externe Stelle begutachten zu lassen. Und ab jetzt haben die Betriebe nochmals ein Jahr Zeit, bis zum 1. Juli 2023, um die Mitarbeitenden über die Resultate der Lohnanalyse zu informieren.

Die Analyse dürfen die ­Betriebe mit dem Instrument «Logib» machen, einer Regres­sionsanalyse, die eine 5-Prozent-Toleranzschwelle vorsieht, um allfällige Ausreisser bei den Löhnen zu glätten. Konkret heisst das, dass eine Lohndifferenz zwischen den angestellten Männern und Frauen, die unter diesen 5 Prozent liegt, ignoriert werden darf. Das gilt als «unauffälliges Resultat». Und der Betrieb ist dann ab sofort aus der Pflicht. Keine weitere Analyse. Alles reibt sich die Hände. Toll!

Aber was ist, wenn sich eine Differenz von über 5 Prozent ergibt? Erhalten die Frauen dann mehr Lohn? Gibt es Sanktionen für den Betrieb? Eine Kontrolle der Lohnkorrekturen? Nö, sagte das Parlament: Der Betrieb muss in diesem Fall einfach die Analyse vier Jahre später wiederholen. Und nochmals vier Jahre später, falls die Firma noch immer über den 5 Prozent ist. Und da endet die Überprüfungspflicht. Gugus. Dada. Kein Rappen mehr für die betroffenen Frauen.

Die Gewerkschaften wollten Sanktionen und schwarze Listen.

AHA. UND AUTSCH!

Bei einem grossen Lebensmittelproduzenten kam es kürzlich zur ersten Information der Gewerkschaft über die Resultate der Lohngleichheitsanalyse in den Betriebseinheiten. Kurz und bündig wurde anhand von drei Folien verkündet, dass die 5prozentige Toleranzschwelle nirgends geritzt werde, man aber bei näherem Hinsehen ­tatsächlich eine unerklärliche Lohndifferenz zwischen Frauen und Männern festgestellt habe. Die Frauen würden tatsächlich weniger verdienen als die Männer, aber das sei sicher wegen der Erwerbsunterbrüche bei den Frauen. Die hätten eben andere Erwerbsbiographien als die Männer. Das Unerklärliche sei also erklärbar. Aha! Und autsch! Denn schon ist der Betrieb ab sofort nicht mehr in der Pflicht, je wieder eine Analyse machen zu müssen.

Was, so fragt frau sich, meinten eigentlich die beiden grossen Dachverbände Travail Suisse und SGB zu dieser Gesetzesrevision? Schliesslich hatten sie mal grosse Forderungen: Sie wollten den Kündigungsschutz für Lohngleichheits-Klägerinnen ausbauen, sie wollten volle Transparenz zu den Lohndaten, sie wollten Sanktionen für Unternehmen, die Frauen diskriminieren, und sie wollten schwarze Listen. Nun war der SGB über das Ergebnis zwar furchtbar enttäuscht, aber alles in allem sei es «ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung». Auch Travail Suisse war sehr frustriert, aber die Revision sei doch «ein grosser gewerkschaftlicher, sozialpartnerschaftlicher und politischer Erfolg». Fragt sich, warum sich die Dachverbände rhetorisch so verrenkten? Weil es ein gewerkschaftspolitisches Prinzip gibt, das heisst, dass man nie, nie, aber auch gar nie ein Scheitern eingestehen darf? Für die Frauen jedenfalls sind diese Lohngleichheitsprüfungen ein ganz fauler Trick. Mehr Lohn? Fehlanzeige! Und noch schlimmer: Mit diesem faulen Trick ist der Druck für echte und dringende Verbesserungen am Gleichstellungsgesetz auf Jahre hinaus weg.


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