work-Kommentar:

Frauenrente: Der kleine Unterschied

Marie-Josée Kuhn

work-Chefredaktorin Marie-Josée Kuhn über das Frauenrentenalter und die Gleichstellung.

Marie-Josée Kuhn, Chefredaktorin work

Gleichheit ist nicht gleich Gerechtigkeit. Und der kleine Unterschied hat grosse Folgen. Zum Beispiel bei der Diskussion ums gleiche ­Rentenalter für Frau und Mann. Das möchten mehr und mehr Linke bis Linksliberale aber lieber ignorieren. Wie sonst könnten sie Ja sagen zur Heraufsetzung des Frauenrenten­alters? Und sich dabei erst noch fortschrittlich oder gar feministisch fühlen?

Tatsache ist: Eine Gleichstellung von nicht Gleichgestellten hat noch nie zu mehr Gerechtigkeit geführt. Ganz im Gegenteil. Nehmen Sie zwei Bébés, das eine unterernährt, das andere mehr als gut genährt. Und Sie geben denen gleich viel Brei. Sie behandeln sie also genau gleich. Und denken, das sei gerecht. Ist es aber nicht. Denn das unterernährte Kind bräuchte mehr Essen, es muss schliesslich an Gewicht zulegen. Es muss Entbehrungen auf­holen. Während das andere, das überernährte, mal etwas weniger reinziehen sollte. Schon nur aus gesundheitlichen Gründen! Gerecht wäre hier also eine ausgleichende Gerechtigkeit. Und nicht die Gleichbehandlung. Weil diese die Ungleichheit noch vergrössert.

Gleichheit ist nicht gleich Gerechtigkeit.

LOHN- UND RENTENLÜCKE. Und so ist das auch mit der Gleichbehandlung von Mann und Frau. Zum Beispiel bei der Angleichung des Renten­alters. Auch sie ist ungerecht und ungesund und führt zur Fortschreibung der Ungerechtigkeit. Denn die Frauen in der Schweiz sind in der Erwerbs- und Care-Arbeit immer noch massiv diskriminiert (siehe «Die Ungleichheit in Zahlen»).

Immer noch verdienen wir rund 20 Prozent weniger als die Männer. Aufs ganze Erwerbsleben von 43 Jahren hoch­gerechnet, beträgt dieser Lohnbschiss für jede Berufsfrau im Schnitt 357’000 Franken. Diese Zahlen zeigen nur jenen Teil des Lohnunterschieds, der nicht durch Faktoren wie Ausbildung, Erfahrung oder Verantwortung erklärbar ist. Sondern rein durch Diskriminierung. Also weil eine Frau eine Frau ist und kein Mann.

Kleiner Unterschied und grosse Folgen auch bei den Renten. Frauen haben 37 Prozent weniger Rente als Männer. Ein Drittel der Frauen hat überhaupt keine Pensionskasse. Die Gründe für diese krasse Frauenrentenlücke: Ehe und Kinder! Denn hierzulande rutschen Mütter und Väter noch immer rasch in die klassische Rollen­verteilung. Oft nicht freiwillig. Doch das rächt sich in der Pensionskasse: Sie bestraft für jede Erwerbslücke und jede Reduktion des Pensums.

GRATIS-ARBEIT. Und dann wäre da auch noch die ganze Gratisarbeit, die die Frauen zu Hause mehr leisten als die Männer. Die Ökonomin Mascha Madörin hat sie berechnet und kommt auf einen Betrag von 100 Milliarden Franken. Pro Jahr! So viel wert ist die Haus-, Betreuungs- und Familienarbeit, die Frauen mehr leisten als Männer, wenn man sie kapitalisiert. Immer noch sind die meisten Männer in Vollzeit erwerbs­tätig, während die meisten Frauen nur eine Teilzeitstelle haben. Weil sie daneben den ­Monsteranteil an unbezahlter Care-Arbeit übernehmen, arbeiten sie unter dem Strich aber ziemlich genau gleich viele Stunden wie Männer! Aber eben: mit viel weniger Lohn und Rente.

Also bitte, liebe vernünftige Leute: Solange solch krasse Gräben zwischen den Geschlechtern klaffen, hilft nur ein entschiedenes Nein. Nein zur Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65! Denn das ist nur gerecht.


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