Kita-Alarm: Branche steuert auf riesige Probleme zu

«Der dauernde Personalmangel macht kaputt»

Patricia D'Incau

Kita-Mitarbeiterin Lara Wüst (27) hat bereits in 7 Kitas gearbeitet. Und immer war massiver Personalmangel das Problem. Aber nicht das einzige. Wüst erzählt von ihrem Frust.

KITA-FRAU LARA WÜST: «Oft war ich alleine mit einer Lernenden und einer Praktikantin. Zuständig für 16 Kinder!» (Foto: Nicolas Zonvi)

«Seit zehn Jahren arbeite ich in einer Kita. Mit 16 habe ich ein Praktikum gemacht, danach die Lehre. Von denen, die damals mit mir angefangen haben, ist fast niemand mehr im Beruf. Die meisten steigen bis Mitte zwanzig aus. Der dauernde Personalmangel, der Druck: Das macht dich kaputt.

Auch mir ist das schon passiert. Ich hatte fast ein Burnout. In der Kita, in der ich damals arbeitete, waren wir immer zu wenig Betreuerinnen. Und die Leitung nahm immer mehr Kinder auf, obwohl sie das gar nicht gedurft hätte. Oft war ich alleine mit ­einer Lernenden und einer Prakti­kantin. Zuständig für 16 Kinder! Die jüngsten waren zwei Jahre alt, die ältesten kurz vor dem Kindergarteneintritt. Das sind komplett verschiedene Bedürfnisse. Ihnen allen gerecht zu werden, war einfach unmöglich. Und wenn die Lernende Berufsschule hatte oder im Kurs war, dann waren wir sogar nur noch zu zweit.

Ich habe einfach geschaut, dass die Kinder irgendwie beschäftigt waren, während ich mich um alles andere kümmerte. Wickeln, Essen vor­bereiten, Wäsche waschen, das Bad putzen: In unserem Job macht man tausend Sachen auch noch nebenbei. Am Abend zu Hause habe ich dann noch die Büroarbeit erledigt, die tagsüber liegen geblieben ist. Berichte für die Eltern schreiben zum Beispiel. Es gab einfach keine ruhige Minute.

«Mittlerweile ist es schwierig, überhaupt noch Mitarbeitende zu finden.»

DAUERSTRESS. Wir haben versucht, mit der Leitung zu sprechen. Aber die hatte kein Verständnis. Irgendwann hatte ich genug. Ich konnte einfach nicht mehr. Ich sagte mir: «Das ist es nicht wert.» Und kündigte.

Ich war nicht die Einzige. Das ist ein riesiges Problem: Die Leute gehen, wenn sie nicht gehört und ernst genommen werden. Und darunter leiden alle: die verbleibenden Mitarbeitenden, die Kinder, die Qualität der Arbeit.

Ich habe bisher in sieben Kitas ­gearbeitet. Der Personalmangel war immer ein Problem. Eigentlich gibt es in der Stadt Zürich Regeln, wie viele Betreuerinnen es für eine bestimmte ­Anzahl Kinder braucht. Nur: Dieser Betreuungsschlüssel wird oft nicht eingehalten. Konsequenzen hat das kaum. Wenn sich die Krippenaufsicht zu einer Kontrolle anmeldet, dann werden einfach die Arbeitspläne umgeschrieben, damit dann genug Personal anwesend ist – und es so aussieht, als sei alles in Ordnung. Das habe ich selbst schon erlebt.

MIESER LOHN. Mittlerweile ist es schwierig, überhaupt noch Mitarbeitende zu finden. Früher kamen auf eine Stellenausschreibung 30 Bewerbungen. Heute sind es gerade noch eine oder zwei. Wenn überhaupt. Unsere Branche steuert da auf ein riesiges Problem zu.

Der Grund sind ganz einfach die schlechten Arbeitsbedingungen. Für das, was wir jeden Tag leisten, verdienen wir viel zu wenig. Je nach Position verdienen wir zwischen 4600 und 5300 Franken brutto für ein 100-Prozent-Pensum. Und ich habe auch schon von Kolleginnen gehört, die nach der Lehre gerade mal 4200 Franken verdienten. Brutto! Und das bei nur vier Wochen ­Ferien. Und unzäh­ligen Überstunden, die wir ansammeln, aber nie abbauen können. Das machen viele einfach nicht mehr mit.

MEHR WERTSCHÄTZUNG! Das hat auch mit der fehlenden Wertschätzung zu tun. Die Öffentlichkeit sieht nicht, was wir alles leisten müssen. Das haben wir auch während der Corona­krise gesehen. Horte, Kindergarten, Schulen: Alles ging zu. Die Kitas nicht. Wir arbeiteten durch. Und sind wir ehrlich: Wenn die Kitas streiken würden, wenn wir einfach einmal nicht zur Arbeit gehen würden, dann stün­­de alles still!

Gerade arbeite ich in einer Kita, in der wir genug Betreuerinnen sind und wirklich Zeit haben für die Kinder. Und wenn jemand vom Team krank wird, dann springt die Kita-Leitung auch einmal selbst ein. Ich habe endlich das Gefühl, meine Arbeit richtig machen zu können.

Das muss Normalität werden in unserer Branche. Die Kitas müssen ins Bildungssystem aufgenommen werden, der Staat muss seine Beiträge ­erhöhen, die Löhne müssen steigen, und wir brauchen endlich verbindliche Vorschriften. Und: Bei Verstössen muss es Konsequenzen geben.»


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