Am 26. September stimmen wir über die 99-Prozent-Initiative ab:

Mehr Geld für (fast) alle

Clemens Studer

Die 99 Prozent-Initiative fordert eine höhere Besteuerung von ­hohen Kapitaleinkommen. Schliesslich müssen wir Lohn­abhängige auch jeden Franken voll ver­steuern.

GOPF! Heute besitzt das reichste Prozent mehr als 43 Prozent der Gesamtvermögen. Deshalb will die 99-Prozent-Initiative Dividenden und Zinseinnahmen anderthalb Mal so stark besteuern wie Löhne. Die Juso und ihre damalige Präsidentin Tamara Funiciello (Mitte) haben die Initiative 2017 lanciert. (Foto: Keystone)

Die Lage ist ebenso klar wie beunruhigend: Die Reichen werden immer reicher, die Armen immer zahlreicher. Und die mit Einkommen dazwischen rutschen ökonomisch immer weiter ab. Die Mieten und die Krankenkassenprämien steigen. Viele Löhne stagnieren.

Steuerentlastungen gab es in den vergangenen Jahren faktisch nur für die Reichen und die Grossunternehmer. So werden zum Beispiel Dividenden von Grossaktionärinnen und -aktionären nur mit 60 Prozent besteuert, während Lohnabhängige ­jeden steuerbaren Franken zu 100 Prozent versteuern müssen. Eine Folge unter anderen: Selbst im ersten Co­ronajahr wurden die 300 reichsten Bewohnerinnen und Bewohner der Schweiz noch reicher: zusammen besassen sie 707 Milliarden Franken. 2010 waren es noch «nur» 470 Milliarden, 2015 waren es schon 595 Milliarden. Andersrum: Heute besitzt das reichste Prozent mehr als 43 Prozent der Gesamtvermögen.

Für Gewerbe und KMU wäre ein Ja zur Initiative ein Gewinn.

DAS WILL DIE INITIATIVE

Die 99-Prozent-Initiative wurde von den Juso lanciert und wird von den Gewerkschaften unterstützt. Sie will Dividenden und Zinseinnahmen anderthalb Mal so stark besteuern wie Löhne oder andere Arbeitseinkommen. Und zwar ab einem vom Parlament festzulegenden Schwellenwert. Die Initiantinnen und Initianten schlagen einen Freibetrag von 100’000 Franken für Alleinstehende vor. Der Mehrertrag aus der höheren Besteuerung von Kapitaleinkommen soll zur Senkung der Steuern für kleine und mittlere Einkommen verwendet werden. Oder zum Beispiel für Prämienverbilligungen und zahlbare Kita-Plätze.

WER IST DAGEGEN?

Das Grosskapital und ihre Wasserträger im Parlament. Parlamentarierinnen und Parlamentarier von SVP bis GLP haben sich zu gleich 5 Gegenkomitees gruppiert. Die Gegenkampagne ist massiv. Wer das alles finanziert, ist undurchsichtig – wie immer bei den Rechten. Doch das eine Prozent Superreiche wird sich nicht lumpen lassen. Wie immer in die rechte Propagandawalze eingespannt sind der Gewerbeverband und die Bauern, deren ideologiegetriebene Funktionäre auch bei der 99-Prozent-Initiative nicht die Interessen der Mehrheit ihrer Mitglieder vertreten. Gerade für Gewerbetreibende und KMU wäre ein Ja zur In­itiative ein Gewinn. Denn wenn Haushalte mit kleinen und mittleren Einkommen dank niedrigen Steuern und Prämienverbilligungen mehr frei verfügbares Einkommen haben, stärkt das die Kaufkraft. Davon profitiert in erster Linie das ­Gewerbe. Bereits heute gibt laut Erhebung des Bundesamtes für Statistik der einkommensschwächste Fünftel der Haushalte von jedem zusätzlichen Franken verfügbaren Einkommens 88 Rappen für den Konsum aus. Bei den reichsten Haushalten sind es nur 42 Rappen.

Und: Sollten – wie von den Gegnerinnen und Gegnern behauptet – tatsächlich viele Bauern ein Kapitaleinkommen von über 100’000 Franken erzielen, wäre das ein weiterer Grund, den von Steuerzahlern und Konsumentinnen finanzierten warmen Geldregen für die Schweizer Bauersame endlich auszumisten (siehe auch «Die Geldsäcke wollen wieder den Landsturm aufbieten»).

Dividenden sind vorenthaltene Löhne.

KAPITAL GEGEN LOHN

Die 99-Prozent-Initiative thematisiert, was auch vielen Lohnabhängigen nicht genug bewusst ist: Geld arbeitet nicht. Nie. Für niemanden. Mehrwert entsteht nur durch menschliche Arbeit. Durch die Hände und Hirne der 99 Prozent. Dividenden etwa können also nur ausbezahlt werden, wenn die Kapitalbesitzenden den Arbeitenden zu wenig Lohn für deren Leistung bezahlen. Verkürzt auf den Punkt gebracht: Dividenden sind vorenthaltene Löhne. Eine besondere Meisterschaft darin hat übrigens der Blocher-Clan entwickelt. Die Ems-Chemie, die grossmehrheitlich Blochers gehört, bezahlt an ihre Eignerinnen und Eigner mehr Dividenden, als alle Mitarbeitenden zusammen an Löhnen verdienen. Konkret: 468 Millionen Franken kassierten die Aktionärinnen und Aktionäre, die dafür keinen Finger krummmachen mussten. Allein SVP-Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher kassierte zusammen mit ihren beiden Schwestern 331,8 Millionen Franken. Jene, die den Gewinn erarbeitet haben, wurden mit 213 Millionen Franken abgespeist.

Stempelsteuer: Bschiss jetzt stoppen

In den letzten drei Jahrzehnten durften sich die Superreichen, die Finanzindustrie und die Bestverdienenden einer wahren Steuersenkungsorgie erfreuen. Dies hat die Einkommensschere weiter aufgehen lassen.

In konkreten Zahlen aus dem SGB-Verteilungsbericht für ein Paar mit 2 Kindern pro Monat:

  • Die untersten 10 Prozent der Einkommen bezahlen im Vergleich zum Jahr 2000 satte 260 Franken ­Steuern und Abgaben mehr.
  • Haushalte mit mittlerem Einkommen bezahlen 280 Franken mehr.
  • Die obersten 10 Prozent bezahlen 240 Franken mehr.
  • Das oberste Prozent bezahlt 30 Franken weniger.
  • Das oberste Promille sogar 610 Franken weniger.

Und jetzt soll diese unsoziale Politik noch weiter­getrieben werden: mit der Abschaffung der sogenannten Stempelsteuer.

WAS IST DIE STEMPELSTEUER? Stempelabgaben sind Steuern auf die Ausgabe und den Handel mit Wertschriften. Der Bund kennt drei Arten von Stempel­abgaben: die Emissionsabgabe, die Umsatzabgabe (auf Wert­papieren) und die Abgabe auf Versicherungsprämien. Zusammen tragen sie pro Jahr 2,2 Milliarden Franken an den Bundeshaushalt bei. Jetzt will die Finanz­industrie die Emissionsabgabe auf Eigenkapital von ­juristischen Gesellschaften abschaffen. Das würde die Allgemeinheit pro Jahr 250 Millionen Franken kosten. Die anderen sollen folgen.

WER DÜRFTE KASSIEREN? Einmal mehr die Finanz­industrie, die Superreichen und die Bestverdienenden. Die KMU haben davon nichts: es gilt nämlich eine Freigrenze bei Neugründungen und Kapitalerhöhungen von einer Million Franken.

WER MÜSSTE BEZAHLEN? Alle anderen. Entweder mit höheren Steuern für untere und mittlere Einkommen, mit höheren Abgaben oder durch weiter abgebaute Leistungen beim Service public. Deshalb hat die SP da­gegen das Referendum ergriffen. Die Gewerkschaften unterstützen es.

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