Lohnlücke wächst, das zeigen work-Berechnungen:

Jede Berufsfrau wird pro Jahr um 8300 Franken geprellt

Patricia D'Incau

Der Lohnbschiss an den Frauen geht ungestraft ­weiter. Und wächst neuerdings sogar wieder! Das ­zeigen Berechnungen, die work beim Berner Büro Bass in Auftrag gegeben hat.

DER FRAUENSTREIK MACHTE KLAR: Es braucht endlich Lohngleichheit! (Foto: Freshfocus)

Seit 40 Jahren ist die Lohngleichheit zwischen Mann und Frau in der Verfassung verankert. Genauso lange verstossen Arbeitgeber dagegen. Heute wird jede erwerbstätige Frau in der Schweiz pro Jahr im Schnitt um 8300 Franken geprellt. Einzig und alleine, weil sie eine Frau ist und kein Mann. 2016 waren es noch 7800 Franken.

DER BSCHISS IN ZAHLEN

Das zeigen die neuen Berechnungen vom Berner Büro für arbeits- und sozialpolitische Studien (Bass) *. Sie stützen sich auf die ­Daten der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung (LSE). work wollte wissen: Wie viel Lohn fehlt berufstätigen Frauen in der Schweiz, schlicht und einfach aufgrund ihres Geschlechts? Herausgekommen sind diese ziemlich unfassbaren Zahlen:

  • Jeder Berufsfrau werden monatlich 690 Franken vorenthalten.
  • Das sind ganze 8300 Franken pro Jahr.
  • Auf ein ganzes Frauenerwerbs­leben von 43 Jahren umgerechnet, beträgt die Lohnlücke im Minimum 357’000 Franken.
  • Alle berufstätigen Frauen zusammen werden in der Schweiz jährlich um mehr als 10 Milliarden Franken geprellt.

Pikant: Diese Zahlen zeigen nur jenen Teil des Lohnunterschieds, der nicht durch Faktoren wie Ausbildung, Erfahrung oder Verantwortung erklärbar ist. Sondern rein durch Diskriminierung. Also weil eine Frau eine Frau ist und kein Mann. Und es geht nicht vorwärts.

Im Gegenteil! Nicht nur ist jener Anteil am Lohngraben gestiegen, der alleine durch Diskriminierung zu erklären ist (von 42,3 Prozent im Jahr 2014 auf heute 45,4 Prozent). Sondern auch der gesamte Lohnunterscheid zwischen Frauen und Männern hat wieder zugenommen, von 18,3 auf 19 Prozent.

Dieses Geld fehlt den Frauen nicht nur am Ende des Monats auf ihrem Lohnkonto. Sondern auch im Alter in der Rente (siehe Artikel unten). Oder wenn der Betrieb Kurzarbeit anmeldet wie in der aktuellen Coronakrise. Denn: Sobald nur noch 80 Prozent Lohn fliessen, wird je nach Beruf jeder Franken existentiell, wie drei Frauen mit Kurzarbeit vorrechnen. Etwa im Detailhandel, wo eine Frau im Schnitt insgesamt 1087 Franken pro Monat weniger verdient als ein Mann. Oder in der Gastrobranche, wo der gesamte Lohngraben 402 Franken pro Monat beträgt.

Der Lohnunterschied zwischen Frauen und Männern hat zugenommen: von 18,3 auf 19 Prozent.

KONTROLLEN NÖTIG

Zu den aktuellen Zahlen sagt Bass-Expertin Silvia Strub: «Es gibt gegenläufige Trends. Während sich der Lohngraben in der Privatwirtschaft jüngst leicht geschlossen hat, ist er im öffentlichen Sektor wieder gewachsen. Alles in allem lässt sich nur sagen: Die Lohnunterschiede stagnieren auf hohem Niveau.» Woran das genau liegt, kann Strub nicht beantworten. «Dafür sind die aktuellsten Zahlen zu wenig aussagekräftig.»

Interessant wird allerdings die nächste Erhebung, die in zwei Jahren veröffentlicht wird. Dort wird sich zeigen, ob der Druck des letzten Frauenstreiks 2019 gewirkt hat. Und ob das neue Gleichstellungsgesetz etwas nützt, obwohl es keine Sanktionen gegen lohndiskriminierende Firmen vorsieht. Es ist letztes Jahr in Kraft getreten und verpflichtet alle Unternehmen ab 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Lohnanalysen durchzuführen.

Die Unia appelliert auch an kleinere Unternehmen, diesen gleichstellungspolitischen Schritt zu machen. Die Möglichkeit dazu gibt es! Das nötige Instrument ist online verfügbar. Gratis, anonym – und seit kurzem auch auf Kleinstbetriebe ab zwei Mitarbeitenden ausgelegt (mehr dazu: rebrand.ly/logib). Eigentlich gäbe es also keine Ausreden mehr: Lohnanalysen sind machbar – und zwar für alle.

* Die Berechnungen des Büros BASS stützen sich auf die Daten der Schweizerischen Lohnstruktur­erhebung (LSE) 2018, publiziert vom Bundesamt für Statistik (BfS): rebrand.ly/lohnunterschied


Tiefe Löhne, kleine Renten, unbezahlte Arbeit: Auch hier gibt es einen Geschlechtergraben

JEDER RAPPEN ZÄHLT: Bei Teilzeitarbeit droht die Rente mager auszufallen. (Foto: iStock)

DIE PK-RENTENLÜCKE

Im Alter geht die Diskriminierung der Frauen weiter: vor allem bei der Pensionskasse (PK). Frauen haben 63 Prozent weniger Rente aus der zweiten Säule als Männer. Ein Drittel der Frauen hat überhaupt keine Pensionskasse. Die Gründe für die krasse Frauen­rentenlücke: Ehe und Kinder. Denn hier­zulande rutschen Mütter und Väter noch ­immer rasch in die klassischen Rollen. Oft nicht freiwillig. Doch das rächt sich in der Pensionskasse: Sie bestraft für jede Erwerbslücke und jede Reduktion des Pensums.

Der BVG-Kompromiss, der gerade im Parlament verhandelt wird, würde den Frauen und Geringverdienenden deshalb nützen. Unter anderem soll ein neuer Rentenzuschlag, durch den hohe Löhne mehr zahlen, einen leichten Ausgleich zwischen Mehr- und Geringverdienenden schaffen (die Vorlage im Detail: rebrand.ly/bvg-kompromiss).

DIE AHV-REFORM

Ob Frau oder Mann: da macht die AHV kaum einen Unterschied. Sie ist die diskriminierungsfreie Altersvorsorge. Und für viele Frauen auch die einzige. Weil ihr Verdienst zu gering ist für eine zweite Säule (siehe Diskriminierung II). Trotzdem will der Bundesrat jetzt ausgerechnet bei den Frauenrenten «sparen» – und das Frauenrentenalter erhöhen. Für die Gewerkschaften kommt das nicht in Frage. Sie haben einen entsprechenden Appell lanciert, den innert kürzester Zeit mehr als 300’000 Menschen unterschrieben haben (appell.frauenrenten.ch/unterschreiben). Und sowieso: Statt einen Abbau braucht es einen Ausbau der AHV. Das würde den Frauen am meisten nützen. Einen solchen Ausbau würde die Volksinitiative für eine 13. AHV-Rente garantieren. Die Sammelfrist läuft noch (www.ahvx13.ch).

DIE UNBEZAHLTE CARE-ARBEIT

Die Lohndiskriminierung ist enorm. Aber sie zeigt nur einen Bruchteil des gesamten Geschlechtergrabens. Tatsächlich sind es nämlich nicht «nur» 10 Milliarden Franken, die die Frauen in der Schweiz weniger an Einkommen haben als die Männer (siehe oben). Sondern 100 Milliarden. Jedes Jahr! So viel wert ist nämlich die Haus-, Betreuungs- und Familienarbeit (Care-Arbeit), die Frauen mehr leisten als Männer, wenn man sie kapitalisiert. Immer noch sind die meisten Männer in Vollzeit erwerbstätig, während die meisten Frauen nur eine Teilzeitstelle haben. Weil sie daneben den Monsteranteil an unbezahlter Care-Arbeit übernehmen, arbeiten sie unter dem Strich aber ziemlich genau gleich viele Stunden wie Männer! Aber eben: ohne Lohn. Dafür werden sie abgestraft. Etwa mit happigen Renteneinbussen im Alter.

1 Kommentar

  1. Urs Zeder

    https://www.workzeitung.ch/2021/03/jede-berufsfrau-wird-pro-jahr-um-8300-franken-geprellt/

    Wenig zielführender Kampf gegen den Lohnbschiss

    Ohne die Lohnungleichheit infrage zu stellen, ist die blosse Verallgemeinerung, dass jede Berufsfrau vom Lohnbschiss betroffen ist, nicht wirklich zielführend.

    1. Es ist doch anzunehmen, dass zum Beispiel die Autorin des Artikels als Redaktorin der work-Zeitung, wie hoffentlich alle bei den Gewerkschaften angestellten Berufsfrauen, von diesem Lohnbschiss ausgenommen sind. Angenommen werden darf auch, dass Berufsfrauen an der Spitze von Grossunternehmen wie der EMS-Chemie nicht unter dem Lohnbschiss zu leiden haben. 


    2. Wieso dann jede Berufsfrau und nur Frauen?
    Nutzniesser von diesem Lohnbschiss dürften am wenigsten, die ebenfalls in dieser Ausgabe des work erwähnten und um ihren Lohn geprellten Gerüstbauer oder dpd-Fahrer sein. Im Gegensatz zum verallgemeinernden Lohnbschiss bei den Frauen, weiss man bei diesen Berufskategorien konkret um ihre Benachteiligung. 


    3. Um denen vom Lohnbschiss betroffenen Berufsfrauen gerecht zu werden, wäre es folgerichtig zielführender, wenn konkret aufgezeigt würde, wo genau denn diese, im besseren Fall, durchschnittlich 19 Prozent Lohndifferenz liegen. Relativ einfach zu überprüfen wäre der Lohnbschiss bei wenig schwer vergleichbaren Berufen wie Bus- und TramführerInnen, ZugbegleiterInnen, LehrerInnen, im Gastrobetrieb, bei den Coiffeuren und in der Pflege. 


    4. Wenig zielführend ist auch die blosse Feststellung der „100 Milliarden unbezahlter Haus-, Betreuungs- und Familienarbeit (Care-Arbeit), die Frauen mehr leisten als Männer“. Konkretisiert werden müsste, als Beispiel, die Forderung nach der Abgeltung für die unentgeltliche Betreuungsarbeit einer Tochter für ihre betagte und verwitwete Mutter, die von der Pension ihres verstorbenen Mannes lebt.

    Die Pauschalisierung vom Lohnbischiss bestärkt den allgemeinen Unmut über diesen Umstand, bringt in der Sache, ohne konkrete Analyse des Missstandes im Detail, keinen wirklichen Fortschritt. Dazu braucht es den Willen und die Geschlossenheit der Interessierten Frauen und vor allem die Solidarität unter den benachteiligten Berufsrauen, sowie die Unterstützung der Männer (Väter und Brüder), die schon vor 50 Jahren für die Gleichberechtigung der Frauen (Mütter, Schwester und Töchter) eingestanden sind.

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