Ohne Friedrich Engels kein Marxismus:

Die zweite Violine war die frühere

Clemens Studer

Er hatte Geld, er hatte Zeit, er hatte Bildung: Friedrich Engels’ Rolle für die Entwicklung des Marxismus ist zentral. Auch wenn er unterdessen immer nach Karl Marx genannt wird.

FEIERABEND! Ausflug im Rahmen des Internationalen Sozialistischen Arbeiterkongresses, 1893.
Simon Ferdinand (Schwiegersohn August Bebels), Frieda Simon, Clara Zetkin, Friedrich Engels, Julie Bebel, August Bebel, Ernst Schaffer, Regine Bernstein (von links). (Foto: Schweizerisches Sozialarchiv)

In Berlins Mitte steht er neben Karl Marx im Marx-Engels-Forum. Überragt ihn. Fast wie ein Vater, aber zumindest wie ein grosser Bruder steht er neben Marx. Und trotzdem bleibt er der sprachlich Ewig-Nachgestellte: Friedrich Engels. Und das hat nicht nur damit zu tun, dass er zwei Jahre jünger ist als sein Genosse Marx. Während der kleinbürgerliche Marx zweifellos den besseren öffentlichen Auftritt hinlegte und eine lebende politisch-ökonomisch-journalistische Schreibmaschine war, blieb der grossbürgerliche Engels ein klassischer Intellektueller, der so ­«nebenbei» noch in 12 Sprachen parlierte und 20 weitere verstand. Dennoch sagte er über sich: «Ich spielte mein ganzes Leben lang die zweite Violine» (siehe Interview).

Doch Engels war früher als Marx, was die Kritik der politischen Ökonomie angeht. Bereits 1844 – vier Jahre vor den europaweit aufflackernden bürgerlichen Revolutionen – veröffentlichte er seine «Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie». Diese waren für Marx ­zentral für seine späteren ökonomischen Arbeiten. Im Erscheinungsjahr lernten sich Friedrich Engels und Karl Marx in Paris persönlich kennen, bereits zuvor waren sie in regem Briefkontakt gestanden. Und hatten sich einmal kurz gesehen bei einem Besuch von Engels auf der Redaktion der «Rheinischen Zeitung».

Marx – Engels: Keine Beziehung zwischen Koch und Kellner.

BRANDAKTUELL

Sie schrieben gemeinsam die Forderungen der Kommunistischen Partei in Deutschland. Es war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft, die die Welt veränderte. Nach dem Beginn der Märzrevolution in Wien und den bürgerlichen Aufständen in Berlin reisten die beiden nach Köln. Sie nutzten die neu eingeführte Pressefreiheit zur Gründung der «Neuen Rheinischen Zeitung». Marx wurde Chefredaktor, Engels sein Stellvertreter. Eine Kon­stellation, die sie ihr Leben lang in der öffentlichen Wahrnehmung begleiten wird. Und auch heute noch das Erscheinungsbild der beiden sozialistischen Klassiker prägt. Die legendären «blauen Bände» der Gesamt­ausgabe heissen MEGA für «Marx-Engels-Gesamtausgabe». Doch trotzdem war es keine ­Beziehung zwischen Koch und Kellner.

Engels wurde am 28. November 1820 in Barmen (heute Wuppertal) im deutschen Ruhrgebiet geboren. Als Sohn eines Textilfabrikanten. Das Ruhrgebiet war früh industrialisiert, was Engels’ spätere Arbeiten prägte. Er besuchte das Gymnasium, bis ihn sein Vater ein Jahr vor der Matura aus der Schule nahm. Wegen zu vieler eigenständiger und aufrührerischer Ideen. Friedrich junior musste eine kaufmännische Ausbildung machen. Das Verhältnis zu seinem Vater, einem protestantischen Frömmler, blieb auf ewig angespannt.

In einem Brief an Marx bezeichnete Engels ihn als «fanatischen und despotischen Alten». Immerhin hatte Engels im Unterschied zu Marx ein nicht selbst erarbeitetes Auskommen, auch wenn ihm sein Vater manchmal die Unterstützung strich, weil er die politischen Ansichten seines Sohnes überhaupt nicht schätzte. Aber Blut ist dicker als Wasser. Was kaum einer so gut wusste wie Friedrich Engels. Seine Untersuchung «Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats» ­(erschienen 1884 in der Schweiz) ist ein grosser Wurf und Klassiker der Soziologie. Die Analyse der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft. Engels’ Feststellungen insbesondere auch zur Stellung der Frau in der bürgerlichen Gesellschaft sind auch heute noch brandaktuell.

S FÜR SOZIALISMUS

Engels und Marx entwickelten sich zu geistigen Zwillingen – mit einer relativ klaren Arbeitsteilung. Marx beschäftigte sich im Laufe der Zusammenarbeit mit der Ökonomie. Engels mit dem «Rest», der zur Entwicklung des wissenschaftlichen Sozialismus nötig war: von der Philosophie über die Staatstheo­rie zur Wissenschaftstheorie. Unter wissenschaftlichem So­zialismus verstanden Marx und Engels das analytische Rüstzeug, um die nötigen gesellschaftlichen Veränderungen und Möglichkeiten im Sinne der Arbeiterinnen und Arbeiter konkret beurteilen zu können.

Ohne Engels kein Marxismus. Und wohl auch keinen Marx, wie es ihn gab. Denn der stets klamme Marx war von den finanziellen Zuwendungen von Engels abhängig, um seine Arbeit machen zu können. Und auch im privatesten Raum rettete Engels Marx die Haut: er erkannte den Sohn, den Marx mit seiner Haushälterin gezeugt hatte, als seinen eigenen an.

Und Engels kümmerte sich um den Nachlass von Marx. Nach dessen Tod stellte Engels «Das Kapital» auf der Grundlage von Marx’ Vorarbeiten und Notizen fertig. Engels hat sowohl eigenständig sozialistische Klassiker geschrieben, aber auch die Arbeiten von Marx geprägt. Trotzdem ist er auch heute noch immer der Nachgenannte. Aber in Berlins Mitte steht er neben dem sitzenden Marx. Und hat so auch den Sturm auf sozialistische Denkmäler nach dem Ende der DDR überlebt. Einzig ein bisschen rumgerückt wurde er zusammen mit Genosse Karl vor 10 Jahren – wegen einer S-Bahn-Linie. Dort steht das S für «schnell». Die S-Bahn dagegen, bei der das S für Sozialismus steht, hat Engels massgeblich und energisch auf die Schiene geschoben.


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