Schweizer Politiker und Militärs

Welcher Mann wusste wann was?

Clemens Studer

In den CIA-Papieren zur Zuger Crypto AG tauchen bekannte Figuren als Mit­wisser, Mitschweiger und Mitvertuscher auf. Eine Geisterbahn der jüngeren Schweizer Geschichte.

CRYPTO AHOI! Ex-Bundesrat Kaspar Villiger am Steuer des Dampfschiffs «Stadt Luzern», 1989. (Foto: Keystone)

Männer, Militär, Macht und Milliarden: die Cryptoleaks sind auch ein Sittengemälde aus dem Innersten des militärisch-industriellen Komplexes der Schweiz. Also der engen Verflechtung von Militärapparat, Rüstungsindustrie, staatlicher Verwaltung und Politik.

«Villiger wusste, wem die Firma gehörte.» (CIA-Bericht)

Zum Beispiel Kaspar Villiger (79): In den Cryptoleaks-Papieren taucht der ehemalige Bundesrat prominent auf. «Zu dem Zeitpunkt [der Spionage-Operation «Rubikon», die Red.] war mindestens ein Mitglied des Bundesrats an der Vertuschung beteiligt.» Und: «Villiger wusste, wem die Firma gehörte, und er dachte, er sei moralisch verpflichtet, dies offenzulegen … Offenkundig hielt Villiger den Mund.» Das Dementi Villigers kam schnell – und rätselhaft: «Wer und was auch immer hinter den CIA-Notizen zu meiner Person stecken mag: sie stimmen in dieser Form nicht, denn eine detaillierte Information über die Übungsanlage hätte mich sofort alarmiert.» Die Fragen «In welcher Form stimmen sie denn?» und «Waren Sie undetailliert informiert?» sind bis jetzt offen.

Villiger war von 1989 bis 1995 Vorsteher des Militärdepartements (damals noch
EMD). Er wird eventuell schon bald gute Ausreden und Hintertürchen brauchen. Denn bereits am vergangenen 17. Dezember lag dem Bundesrat ein vertrauliches Aussprachepapier der aktuellen VBS-Chefin vor. Viola Amherd informierte darin ihre Kolleginnen und Kollegen, ihr Departement habe in einem ­alten Archiv Unterlagen zur Crypto AG gefunden. Diese wiesen darauf hin, «dass der ehemalige EMD-Vorsteher K. Villiger informiert war».

Georg Stucky. (Foto: Keystone)

Zum Beispiel Georg Stucky (89): Der Ex-FDP-Nationalrat und ehemalige Zuger Finanzdirektor sass seit Anfang der 1990er Jahre im Verwaltungsrat der Crypto AG, ab 2002 bis 2016 präsidierte er ihn. Laut den CIA-Papieren wusste Stucky bis 1994 nicht, wer die wahren Besitzer der Crypto AG waren. Dann wurde er informiert. Und informierte seinerseits Bundesrat Kaspar Villiger, der sich aber schon informiert zeigte.

Stucky war Multiverwaltungsrat. Zum Beispiel auch beim skandalträchtigen Rohstoffhändler Marc Rich, der in Zug geschäftete, geschützt vor der US-Justiz. In seiner Zeit als Finanzdirektor hatte Stucky wesentlich dazu beigetragen, den Kanton Zug zu dem Steuerfluchthafen und Briefkastenfirmen­paradies zu machen, was er heute noch ist. Er war 16 Jahre im Amt und brachte 9 Steuersenkungsvorlagen für Firmen und Reiche durch. Stucky wollte 1989 ebenfalls Bundesrat werden, die FDP-Fraktion und das Parlament zogen ihm Kaspar Villiger vor. Das scheint der Männerfreundschaft keinen Abbruch getan zu haben. Heute will sich Stucky an nichts mehr in Sachen CIA erinnern.

Peter Regli. (Foto: Keystone)

Zum Beispiel Peter Regli (76): Über Regli schreibt die CIA: «Hohe Beamte der Organisation [militärischer Nachrichtendienst, die Red.] hatten generell Kenntnis von der Rolle Deutschlands und der USA im Zusammenhang mit der Crypto AG und trugen dazu bei, diese Beziehung zu schützen.» Chef des militärischen Nachrichtendienstes war damals Peter Regli. Dieser verbrachte seine ganze berufliche Karriere im Dunstkreis von Militär und Geheimdiensten. In den 1980er Jahren ­arbeitete er als Chef des Luftwaffengeheimdiensts eng mit dem südafrikanischen Apartheid-Regime zusammen. Die Schweiz und Südafrika tauschten Piloten aus. Und arbeiteten auch bei biologischen und chemischen Waffen zusammen. Daran waren die Apartheid-Militärs interessiert, weil sie einen perfiden Plan verfolgten. Sie wollten Proteste der schwarzen Mehrheit mit biologischen und chemischen Waffen niederschlagen.

Kurz vor seinem erzwungenen Abgang im Jahr 2000 vernichtete Regli eigenhändig eine riesige Menge Akten zur Apartheid-Connection. Eigentlich hatte er den Auftrag, sie im Bundesarchiv abzuliefern. Trotzdem rehabilitierte der rechte «Blocher-Bundesrat» Regli im Jahr 2007. Noch heute ist er dick im Geschäft als Berater von Rüstungsfirmen. Regli weibelte unter anderem auch für den vom Volk 2013 dann abgelehnten Gripen-Kampfjet. Regli – auch er ein FDP-Mann – äussert sich öffentlich nicht zu den Vorgängen.

NEUE GESICHTER

Trotz den vielen alten Männern, der mili­tärisch-industrielle Komplex ist nicht Geschichte. Er hat nur sein Gesicht ein bisschen gewandelt. Schönes Beispiel: FDP-Nationalrätin Doris Fiala veröffentlichte zu Cryptoleaks einen Beitrag. Darin spielt sie die Vorgänge her­unter («absolut im Bereich der normalen Üblichkeiten»). Und erklärte, nicht die Vorgänge seien der Skandal, sondern ihre Skandalisierung. Ähnlich äusserte sich Fiala auch in Interviews. «Angeregt» hatte den Text Professor Bernhard Hämmerli. Er leitet den Studiengang «Information und Cyber Security» an der Hochschule Luzern. Dessen Eröffnungsfeier wurde von der InfoGuard AG, einer Schwesterfirma der 2018 aufgelösten Crypto AG, und der Crypto Schweiz AG gesponsert. Das machte der «Tages-Anzeiger» öffentlich. Und auch der gesamte Standort Rotkreuz, wo sich das Informatikdepartement der Hochschule Luzern befindet, darf auf die grosszügige Unterstützung der beiden Firmen zählen.

So geht das! Auch 2020 noch.


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