Cryptoleaks:

Das müssen Sie wissen

Clemens Studer

Die Zuger Crypto AG verkaufte während Jahrzehnten an über ­hundert Staaten Chiffriergeräte mit einer Hintertür. US-Geheimdienste und der Bundesnachrichtendienst (BND) horchten mit. Und besassen die Firma gar – über eine Briefkastenfirma.

BORIS HAGELIN: Der schwedische Ingenieur gründete die Crypto AG. (Foto: Hauszeitung Crypto AG)

1952
Der schwedische ­Ingenieur Boris ­Hagelin wandert nach vielen Jahren in den USA nach Zug ein und gründet dort die Crypto AG. Er wählt die Schweiz, weil sie neutral ist und – im Vergleich zum ebenfalls neu­tralen Schweden – eine weniger regulierte Ausfuhrpraxis hat.

1958
Seit Beginn mischen US-Dienste bei der Crypto mit. Erst die NSA über ihren Kryptologen William Friedman. Sechs Jahre nach der Gründung übernimmt die CIA.

1970
Boris Hagelin, der Sohn des Firmengründers, stirbt bei einem nie wirklich aufgeklärten Auto­unfall in der US-Hauptstadt Washington. Ehe­malige Crypto-Mitarbeiter sind überzeugt, dass der ­Autounfall eigentlich ein Mord war. Denn ­Hagelin junior soll gegen den Verkauf an die CIA gewesen sein und vor allem: er wollte nach der Übernahme der Geschäftsleitung keine manipulierten Geräte mehr verkaufen. Das erzählt auch Peter Frutiger, der bis 1977 Chef der Crypto-Entwicklungsabteilung war. Frutiger: «Das war kein Unfall, das war ein Attentat.»

1970
CIA und BND übernehmen die Crypto AG über eine Liechtensteiner Tarnfirma. Lustig: Diese intransparenten Besitzverhältnisse begründeten Firmenverantwortliche bis 2018 gerne immer damit, man wolle «nicht erpressbar sein».

1977
Entwicklungsleiter Frutiger verlässt die Crypto. Zuvor dokumentiert er die Manipulationen. Sie sind seine Lebensversicherung. Und: Frutiger informiert den mit ihm befreundeten Korpskommandanten Kurt Bolliger. Dieser schaltet die Bundesanwaltschaft ein. Es kommt zu mehreren Treffen. Bis die Untersuchung auf Druck des damaligen Bundesanwaltes eingestellt wurde.

HANS BÜHLER: Der Crypto-Verkäufer sass
in Iran in Haft. (Foto: Keystone)

1992
Der iranische Geheimdienst verhaftet am 18. März in Teheran den Schweizer Hans Bühler. Er ist der beste Verkäufer der Crypto AG. Vorwurf: Spionage. Er sitzt über 9 Monate in Haft. Für eine Kaution von 1 Million Franken kommt er am 4. Januar 1993 frei. Bühlers Tochter Chris ­Blumer sagt heute: Die Iraner hätten Bühler schon nach drei Monaten freigelassen. Doch die Crypto kann nicht zahlen, und die CIA will nicht. Schliesslich kommt das Geld vom BND. Die Deutschen fürchten, dass bei einem Tod Bühlers im Gefängnis das Crypto-Konstrukt auffliegen könnte. Ein paar Monate nach seiner Freilassung wird Bühler von der Crypto AG entlassen.

1993
Der BND steigt aus der Crypto aus. Die ist jetzt eine reine CIA-Firma. Und bleibt es mindestens bis zu Aufspaltung und Verkauf 2018.

1994
Bühler hat nach seiner Entlassung durch die ­Crypto recherchiert. Unterstützt vom Journalisten Res Strehle, der ein Buch zum Fall veröffentlicht. Zusammen mit Peter Frutiger tritt Bühler in der «Rundschau» von SRF auf. Bühler und Frutiger, der bis vergangene Woche anonym blieb, schildern das Hintertür-Geschäft der Crypto. Der ­damalige Crypto-Chef dementiert in der Sendung alles.

2015
Im Oberwalliser Opposi­tionsmagazin «Rote Anneliese» macht Journalist und Geheimdienstexperte Frank Garbely den Fall Crypto bis in die heute ­aktuellen Verästelungen publik. Er stützt sich dabei auf 52 000 Seiten (bis dahin) geheimer ­Dokumente, die der US-Geheimdienst NSA freigegeben hatte. Garbely war bereits an der Recherche der «Rundschau» in den 1990er Jahren beteiligt und ist ­einer der besten Kenner des Crypto-Komplexes.

2018
Das Interesse der US-Dienste an der Crypto ist in den vergangenen Jahren gesunken. Die technische Entwicklung (Stichwort digitale NSA-Abhörkapazitäten) hat die Bedeutung der Crypto schwinden lassen. Die CIA verkauft die Crypto. Die Firma wird aufgeteilt. Den Schweizer Markt übernimmt CyOne Security. Sie wird von ehe­maligen Crypto-Managern geführt. Das internationale Geschäft, den Namen und den Internetauftritt übernimmt der schwedische Unternehmer ­Andreas Linde.

Sommer 2019
Dem deutschen Journalisten Peter F. Müller werden die heute unter Cryptoleaks bekannten ­Dokumente zugespielt. Er teilt sie mit der «Rundschau» und der «Washington Post» Aufgeschreckt durch die Recherchen, informiert der Nachrichtendienst des Bundes den Bundesrat.

November 2019
Der Bundesrat befasst sich drei Mal mit der ­Affäre. Und informiert die Geschäftsprüfungs­delegation (GPDel). Sie ist für die Aufsicht über die ­Geheimdienste zuständig. Und macht zuerst einmal: nichts.

Januar 2020
Der Bundesrat beauftragt alt Bundesrichter ­Niklaus Oberholzer mit einem Bericht zur Affäre. Oberholzer hat im Bundesarchiv nicht mehr ­Rechte als alle Benutzenden. Will er gesperrte ­Akten einsehen, muss er bei der jeweils zustän­digen Behörde ein Gesuch stellen. Die Nachrichtendienste stellen sich grundsätzlich quer.

Februar 2020
Am 12. Februar strahlen die «Rundschau» ­(rebrand.ly/crypto-rundschau) und das ZDF ihre Recherchen aus. Die «Washington Post» schreibt vom «Geheimdienst-Coup des Jahrhunderts». ­Weitere Medien ­recherchieren. SP und Grüne ­verlangen eine parlamentarische Unter­suchungskommission (PUK). Die Rechten von der SVP bis zur GLP möchten eher oder sicher keine. Die ­GPDel will jetzt – ein rundes Vierteljahr nachdem sie zum ersten Mal informiert wurden – doch noch untersuchen.


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