SGB: Frauenstreik-Ikone Christiane Brunner (71) fordert ein starkes Frauenministerium:

«Ob Gysi oder Maillard, ist nicht der springende Punkt»

Marie-Josée Kuhn

Sie war die erste und bisher letzte Frau an der Spitze des Gewerkschaftsbundes. Und sie organisierte den ersten Frauenstreik von 1991. Jetzt fordert Christiane Brunner vom SGB: mehr Geld und Ressourcen für den zweiten Frauenstreik.

PIONIERIN. Christiane Brunner war oberste Gewerkschafterin und Anführerin des historischen Frauenstreiks von 1991. (Foto: Franziska Scheidegger)

work: Christiane Brunner, Sie waren von 1994 bis 1998 Co-Präsidentin des Gewerkschaftsbundes. Wie ­hatten Sie das damals geschafft?
Christiane Brunner: Ach wissen Sie, das war eine ganz andere Zeit. Ich war ­Co-Präsidentin, zusammen mit Vasco Pedrina. Ich als Chefin der Gewerkschaft Smuv, er als Chef der Gewerkschaft GBI. Und es ging damals um eine historische Zusammenführung der beiden Antipoden-Gewerkschaften, auch im Hinblick auf die geplante Fusion zur grossen Unia. Vasco und ich beendeten die langjährigen Kriegereien: Ich habe die Phantasie in die Gewerkschaftsarbeit gebracht. Und Vasco kennt sich mit der Theorie aus und wusste, wie man die Ideen umsetzt. Wir beide ergänzten uns perfekt. Das war der politische Hintergrund dieses Co-Präsidiums – und nicht, dass ich als Frau dem SGB vorstehen sollte.

Am SGB-Kongress vom 30. November / 1. Dezember tritt der oberste Gewerkschaftschef Paul Rechsteiner zurück. Seine Nachfolge antreten möchten die St. Galler SP-Politikerin und Gewerkschafterin Barbara Gysi und der Waadt­länder ­SP-Regierungsrat und Gewerkschafter Pierre-Yves Maillard. Sind Sie mit der Auswahl zufrieden?
Wir haben zwei gute Kandidaturen, beide bringen sie politische Erfahrung, Engagement und den Willen mit, sich für die Arbeitnehmenden in der Schweiz einzusetzen. Gysi hat zudem den Frauenbonus. Die Ausgangslage ist also völlig transparent und muss sich nicht auf die Geschlechterfrage beschränken.

«Der SGB muss das Frauen­sekretariat ausbauen.»

Viele Frauen und Männer ­sagen jetzt aber, es brauche nach so ­vielen Jahren der Männer­herrschaft unbedingt eine Frau an der SGB-Spitze.
Paul Rechsteiner wird häufig als der Big Boss der Gewerkschaften dargestellt. Ich finde jedoch, die Macht des SGB-Präsidiums wird überschätzt, denn es ist nicht das Machtzentrum der Gewerkschaften. Viel gewichtiger sind die Spitzen der Verbände. Dort braucht es vor allem Frauen. Und dort hat es ja auch schon Frauen: Vania Alleva als Unia-Chefin, Katharina Prelicz-­Huber als VPOD-Chefin, ­Barbara Gysi als Chefin des Personalverbandes sowie Barbara Spalinger als SEV-Vizepräsidentin und Stephanie Vonarburg als Vizepräsidentin der Syndicom. Wie ­gesagt: Ich hatte damals Macht und Gewicht, weil ich Smuv-Chefin war. Und nicht, weil ich SGB-Co-­Präsidentin war.

Trotzdem, wäre es denn nicht ein falsches Signal, wenn knapp ein Jahr vor dem zweiten ­Frauenstreik ein Mann an die SGB-Spitze gewählt würde?
Das ist nicht der springende Punkt, viel wichtiger ist doch, ob der SGB ­genügend Geld und Ressourcen freimacht für die Mobilisierung dieses zweiten Frauenstreiks. Wenn der SGB diesen ernst nimmt, muss er ein Streiksekretariat aufbauen, das sich voll und ganz um die Organisation und Mobilisation kümmert. So wie der SGB das auch 1991 beim ersten Frauenstreik getan hat. Zusätzlich muss der SGB aber auch sein Frauensekretariat personell ausbauen, um längerfristig den Forderungen der Frauen zum Durchbruch zu verhelfen. Vor allem dann, wenn der Kongress einen Mann als SGB-Präsidenten wählt. Die Frauen an der Spitze der Verbände hätten so mehr Mittel, um gemeinsame, konkrete Aktionen zu machen.

Was halten Sie eigentlich von ­einem zweiten Frauenstreik im 2019?
Ich finde das prima und bitter nötig. Ich sage immer, Frauen, ihr müsst kämpfen! Denkt nie, dass etwas erreicht ist. Kaum ist es nämlich gewonnen, muss es schon verteidigt werden. So ist das in der Politik, in der Gewerkschaft und auch im Leben. Seid wachsam auf der ganzen Linie. Auch im ­Privaten, ihr müsst dranbleiben, wenn die Kinder kommen. Ihr müsst die Männer in die Pflicht nehmen, gar nichts wird euch geschenkt. Und ganz wichtig: Bleibt ihr selber. Seid mutig und phantasievoll. Und habt neue Ideen!

Christiane Brunner: Pionierin

Christiane Brunner war 1991 Mitinitiantin des ersten Frauenstreiks. Sie war die erste Frau an der Spitze einer grossen Gewerkschaft – und des Gewerkschaftsbundes. 1992–2000 war sie Chefin bei der Gewerkschaft Smuv, einer Vorgänger­organisation der Unia. Und von 1994 bis 1998 teilte sie sich das SGB-Präsidium mit GBI-Chef Vasco Pedrina.

NICHTWAHL. 1993 kandidierte die Sozial­demokratin als ­Bundesrätin. Bereits im Vorfeld ihrer ­Kandidatur bewarfen Politiker sie mit Schlamm und Dreck, weil sie nicht ins ­traditionelle Frauenbild passte. Das ­Parlament zog ihr den SP-Nobody Francis Matthey vor. Die Nichtwahl von ­Brunner löste breite Empörung und ­massive Frauen­proteste aus. Matthey musste sich zurückziehen, und schliesslich ­wurde Ruth Dreifuss gewählt.


SGB-Präsidium: Nachfolge Rechsteiner Der Kongress wählt

BARBARA GYSI ODER PIERRE-YVES MAILLARD: Wer wird neueR Rechsteiner? (Fotos: PD)

Am SGB-Kongress vom 30. November und 1. Dezember tritt Paul Rechsteiner nach zwanzig Jahren an der Spitze des Gewerkschaftsbundes zurück. Und die 237 stimmberechtigten Delegierten werden entscheiden, wer seine Nachfolge antreten soll: die Chefin des Bundespersonalverbandes und SP-Nationalrätin Barbara Gysi (54) aus St. Gallen oder der Unia-Gewerkschafter und Waadtländer SP-­Regierungsrat Pierre-Yves Maillard (50). Gysi wird vom Personalverband portiert, Maillard ist der offizielle Kandidat der Unia und der Gewerkschaft des Verkehrspersonals SEV. work berichtete (rebrand.ly/SGB-Kanditaturen).

HOCHSPANNUNG. In den grossen Verbänden sind nach der Anhörung von Maillard und Gysi schon Vorentscheide gefallen. ­Neben der Unia haben sich auch die Gremien des SEV und der Syndicom für Maillard ausgesprochen. Der VPOD und die SGB-Frauenkommission hingegen entschieden sich für Gysi. Unia, SEV und Syndicom hätten am SGB-Kongress zusammen 125 Stimmen, sofern alle Delegierten anwesend sind. Der VPOD und der Personalverband deren 25. Doch das Rennen ist offen, denn die Delegierten können im Prinzip stimmen, was sie wollen. Zudem ist die Wahl geheim. Und selbst noch am ersten Kongresstag können sie neue Namen ins Spiel bringen oder sich gleich selber fürs SGB-Präsidium empfehlen. Für Hochspannung ist also gesorgt.

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