Editorial

So vergeht die Zeit

Marie-Josée Kuhn

Marie-Josée Kuhn, Chefredaktorin work

Nicaraguas Staatschef Daniel Ortega am Fernsehen. Der ist aber alt geworden, denke ich. Dann bringen sie Kuba. Erstmals seit der Revolution 1959 soll auf der roten Zucker-Insel kein Castro mehr führen, sondern ein Canel, Diaz-Canel. Hoppla, schiesst es mir durch den Kopf: 1959, das ist ja mein Jahrgang. Und nochmals hoppla: Uns gehen definitiv die Revolutionäre aus. Dabei waren sie Fixsterne am linken Firmament. Fidel Castro tot, Nelson Mandela tot, Karl Marx schon länger tot. Am 5. Mai würde der wichtigste Denker der kommunistischen Bewegung 200 Jahre alt. work hat mit ihm gesprochen. Und publiziert ein weiteres Juwel in seiner losen Serie «Exklusiv-Interviews mit Toten». Pikant: Der bedeutendste Denker der kommunistischen Bewegung redet sogar über seinen Karbunkel.

LINKENFRESSER. Nicht nur die Revolutionäre kommen uns abhanden, sondern auch die liebsten Feindbilder. Furgler (Kurt) und Fischer (Otto), beide stramm rechts und beide schon lange weg. Das waren noch Linkenfresser: Moskau einfach! Auch Eisenbeisserin Maggie Thatcher verschwunden. Nur Blocher (Christoph) bleibt. Der sieht aber alt aus, denke ich, schon wieder vor der Glotze, als der SVP-Führer im bündnerischen Klosters fast vom Podest fällt. Und seine Partei, die fällt auch. Verliert und verliert und verliert und verliert und verliert und verliert und verliert Sitze. «Ohrfeigenwetter für die SVP», nennt das work-Autor Clemens Studer. Warnt aber davor, sich zu früh zu freuen.

Den wievielten 1. Mai habe
ich am 1. Mai?

HOFFNUNG BESTEHT. Den wievielten 1. Mai habe ich am 1. Mai eigentlich? So wandern meine Gedanken weiter. Immer noch mit der Zeit beschäftigt, wie sie so vergeht. Den 37.? Sogar den 38.? Ist das vielleicht der Grund, warum ich die Druckerschwärze der NZZ heute weniger schwarz sehe als früher? Dies, obschon das Blatt in den letzten Jahren mächtig nach rechts gerutscht ist? Ist es Altersmilde oder Altersweitsichtigkeit? Fragen über Fragen. Jedenfalls: Geht es im bisherigen Schneckentempo weiter, müssen wir in der Schweiz noch 61 Jahre auf Lohngleichheit warten. Gut, ich wäre dann 120.

Das ist ja noch kein Alter, schiesst es mir durch den Kopf. Aber vielleicht geht’s ja ein bisschen schneller. Hoffnung besteht. Sie heisst Sólrún Kristjánsdóttir und ist Personal­chefin beim grössten Elektrizitätswerk von Island. Im Gespräch mit work sagt sie, es sei gar keine Hexerei, in einer Firma Lohngleichheit herzustellen. Frau Kristjánsdóttir muss es wissen. Denn sie hat sie gemacht.


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