200 Jahre nach seiner Geburt:

Marx lebt wieder auf

Ralph Hug

Karl Marx, der wichtigste Theoretiker der kommunistischen Bewegung, lebt. Und gewinnt wieder an Aufmerksamkeit.

BADESPASS: Trier, die Geburtsstadt von Marx, feiert und verdealt ihn, etwa als Badeentlein. (Foto: dpa)

Karl Marx wurde am 5. Mai 1818 im preussischen Trier als Sohn eines Anwalts geboren. Die deutsche Stadt macht jetzt aus ihm ein grosses Geschäft. Es gibt Ausstellungen, Tagungen und Events. Auch gab sie eine «Null-Euro-Note» mit dem Konterfei des bärtigen Philosophen heraus. Für 3 Euro. Im Nu waren alle Nötli weg. Trier hat für die Feierlichkeiten auch eine vier Meter hohe Marx-Statue aufgestellt. Sie ist ein Geschenk von China, der neuen Supermacht, die sich immer noch Volksrepublik nennt. Der ganze Marx-Rummel beweist ungewollt die Aktualität der Kapitalismuskritik von Marx: Der Kapitalismus macht aus allem eine Ware und schlägt daraus Gewinn. Sogar aus seinen grössten Feinden.

FINANZKRISE ALS JUNGBRUNNEN

Marx ging davon aus, dass die Geschichte eine Geschichte der Klassenkämpfe sei – und die Revolutionen ­wären ihre Lokomotiven. Vom idealistischen Philosophen Georg Friedrich Wilhelm Hegel übernahm er die Idee, dass die Geschichte ein Ziel habe. Für ihn war es die klassenlose Gesellschaft. Diese wird erreicht, indem sich das ausgebeutete Proletariat erhebt, den Kapitalismus stürzt und eine neue sozialistische Ordnung installiert. Das Fernziel wäre die freie Gesellschaft, also der Kommunismus.

Marx analysierte die Ursachen für die Ungleichheit.

Doch der Tod des Kapitalismus lässt auf sich warten. Immerhin stand der Turbokapitalismus in der Finanzkrise von 2008 nahe am Abgrund. Und bürgerliche Ökonomen vor einem Rätsel, wie das geschehen konnte. Marx wusste es und beschrieb es in seiner Politökonomie: Der Kapitalismus kann sich nur krisenhaft entwickeln. Deshalb verhalf die Finanzkrise der Krisentheorie von Marx zu einem neuen Boom. Die «Grundrisse zur Kritik der politischen Ökonomie» und «Das Kapital» stehen wieder im Lehrplan der Universitäten. Eine Menge neuer Bücher über den Marxismus und seinen Gründer kommen derzeit auf den Markt. (siehe Box).

Die Diskussion läuft heiss: Was sah Marx richtig, was falsch? Im 21. Jahrhundert ist Marx 2.0 angesagt. Er selbst hätte wohl Freude daran. Als unermüdlichen Forscher hätte ihn die Umwandlung des alten Industrie- in den neuen Finanzkapitalismus herausgefordert. Aber wohl nicht überrascht. Schon im «Kommunistischen Manifest» von 1848 sah er die Globalisierung glasklar voraus: «Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Absatz für ihre Produkte jagt die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel.»

POLEMIK, GELD UND FURUNKEL

Marx war ein radikaler Denker. Einer, der den Sachen an die Wurzel ging mit Sätzen, die wehtun. «Die Gewalt ist der Geburtshelfer jeder alten Gesellschaft, die mit einer neuen schwanger geht» ist so ein Satz. Das ertragen nicht alle. Zur tiefgründigen Analyse kam bei ihm immer ein kräftiger Schuss Polemik. Diese konnte ätzend sein. Seinen frühanarchistischen Philosophenkollegen und Konkurrenten Max Stirner tat Marx als den «dürftigsten Schädel unter den Philosophen» ab. Und den Komponisten Richard Wagner nannte er verächtlich einen «neudeutsch-preussischen Reichsmusikanten».

Marx war ein intellektueller Übervater, der wichtigste Theoretiker der kommunistischen Bewegung. Zusammen mit seinem Freund Friedrich ­Engels, einem reichen Fabrikantensohn, analysierte er die Ursachen für die Ungleichheit. Engels war es auch, der nach dem Tod von Marx die nicht beendeten Bände 2 und 3 des «Kapitals» herausbrachte. Zeit seines Lebens schnorrte Marx bei Engels auch um Geld. Denn meistens war er knapp bei Kasse. Sobald er wieder liquid war, gab er das Geld aus. Mit seiner Frau Jenny hatte Marx sieben Kinder, vier verstarben früh. Ein uneheliches achtes stammte von der Haushälterin, mit der Marx ein heimliches Verhältnis hatte. Jahrelang plagten ihn auch Geschwüre. Lungenleiden und Rheuma legten ihn lahm, er musste oft zur Kur.

Marx wollte die Welt nicht nur interpretieren, sondern verändern. Paradoxerweise hatte er persönlich damit wenig Erfolg. Er dominierte zwar die Erste Internationale, einen weltweiten Zusammenschluss von revolutionär gesinnten Arbeitervereinen. Aber als Sekretär der Organisation trug er auch zur Spaltung und zu ihrem Untergang im Jahr 1872 bei, indem er einen verbissenen Kleinkrieg gegen seinen Widersacher führte, den Anarchisten Michail Bakunin. Danach kehrte Marx wieder an den Schreibtisch zurück. Die grosse Weltveränderung durch den Marxismus begann erst nach seinem Tod.

Neuerscheinungen: Bücher über Marx

  • Gareth Stedman Jones:
    Karl Marx. Die Biographie.
     Fischer, Frankfurt 2017
  • Jürgen Neffe:
    Der Unvollendete.
    Bertelsmann, München 2017
  • Wolfgang Schieder:
    Karl Marx. Politik in eigener Sache.
    Theiss, Darmstadt 2018
  • Christoph Henning:
    Marx und die Folgen.
    Verlag J. B. Metzler, Stuttgart 2017
  • Florian Butollo, Oliver Nachtwey (Hg.):
    Karl Marx. Kritik des Kapitalismus. Schriften zur Philosophie, Ökonomie, Politik und Soziologie.
    Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2018
  • Thomas Steinfeld:
    Herr der Gespenster. Die Gedanken des Karl Marx.
    Hanser, München 2018
  • Urs Marti-Brander:
    Die Freiheit des Karl Marx. Ein Aufklärer im bürgerlichen Zeitalter.
    Rowohlt, Berlin 2018
  • Timm Grassmann (Hg.):
    Kapitales von Karl Marx.
    Insel, Berlin 2018
  • Autor*innenkollektiv:
    Mythen über Marx. Die populärsten Kritiken, Fehlurteile und Missverständnisse.
    Bertz + Fischer, 2018
  • Beat Ringger, Cédric Wermuth (Hg):
    33 prominente Linke zur Frage, wie das Werk von Marx von heute fruchtbar gemacht werden kann.
    Edition 8, Zürich (erscheint im Juni)

Veranstaltung Denknetz:

Was hat Marx uns noch zu sagen?
Mit Min Li Marti, Beat Ringger, Andreas Rieger, Urs Marti, Cédric Wermuth, Pascal Zwicky und weiteren.

Sonntag, 29. April, 16 Uhr, Kunstraum Walcheturm, Kanonengasse 20, Zürich


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