Gewerkschaftsumfrage und offizielle Zahlen des Bundes belegen sinkende Reallöhne
Die Baumeister sind Batzenklemmer

In fast allen Branchen gab es auf 2024 hin generelle Lohnerhöhungen. Viele lagen sogar über der Teuerung. Doch die Baumeister verweigerten sich und versprachen «individuelle Erhöhungen». Eine Umfrage der Gewerkschaften zeigt: Das war ein leeres Versprechen.

ÜBERGANGEN: Viele Bauarbeiterinnen und Bauarbeiter haben immer weniger Geld zum Leben. (Foto: Keystone)

Die Auftragsbücher sind voll. Die Umsätze auf Rekordhöhe. Die erzielten Preise auf dem Bau steigen, und es mangelt an Fachkräften. Doch die realen Löhne im Bauhauptgewerbe stagnieren oder sinken sogar. Kurz: Die Baumeister sind Batzenklemmer. Sie mögen den Büezern immer weniger der von jenen erarbeiteten Gewinnen abgeben.

Das zeigt eine grosse Umfrage der Gewerkschaften Unia und Syna. Sie haben in den vergangenen Wochen 34’000 Lohninformationen aus rund 700 verschiedenen Firmen aus der ganzen Schweiz zusammengetragen, die auf Lohnausweisen, Firmeninformationen über generelle Lohnerhöhungen und individuelle Befragungen abstellen.

Nico Lutz, Sektorleiter Bau der Gewerkschaft Unia, fasst das erschreckende Resultat so zusammen: «48 Prozent der Bauarbeiter haben keinen einzigen Franken Lohnerhöhung erhalten. Sie erleiden dieses Jahr eine Reallohnsenkung von über 2 Prozent. Mehr als 90 Prozent der Bauarbeiter haben – bezogen auf den Durchschnittslohn – weniger als die Teuerung erhalten. Nur wenige haben eine moderate Reallohnerhöhung bekommen.»

UNIA-MANN NICO LUTZ SAGT: «Mit seiner Politik schadet der Baumeisterverband auch den korrekten Firmen.» (Foto: Keystone)

Auf die rund 700 untersuchten Firmen bezogen sind die Ergebnisse so: Bei 73 Prozent (inklusive Subunternehmer und Temporärfirmen) gab es keine Lohnerhöhungen, bei 18 Prozent gab es nur individuelle Lohnerhöhungen, bei 2 Prozent ausschliesslich generelle Lohnerhöhungen und bei 7 Prozent der Firmen sowohl individuelle als auch generelle Lohnerhöhungen.

SCHUSS INS EIGENE BEIN

Das Resultat der Umfrage zeigt eindrücklich, dass das Versprechen des Baumeisterverbandes (SBV), die Firmen sähen das Problem der sinkenden Kaufkraft ihrer Büezer, wollten es aber individuell angehen, ein leeres war. Besonders unverständlich: Die SBV-Politik führt auch dazu, dass korrekte Firmen, welche die Kaufkraft ihrer Mitarbeitenden erhalten oder die Büezer gar richtigerweise auch an den wachsenden Erträgen beteiligen und eine Reallohnerhöhung gewähren, bei Auftragsausschreibungen benachteiligt sind. Denn Betriebe, welche die Reallöhne drücken, haben dann tiefere Lohnkosten. Wenn die Löhne hingegen generell erhöht werden, fällt dieser marktverzerrende Effekt weg. Unia-Mann Nico Lutz: «Mit seiner Politik schadet der Baumeisterverband also auch den korrekten Firmen, die Lohnerhöhungen gewähren.»

«SIEBEN VERLORENE JAHRE»

Die aktuelle Batzenklemmerei der Baumeister ist kein Ausrutscher. Im Gegenteil, wie die offiziellen Bundeszahlen zeigen. Im März hat das Bundesamt für Statistik die ersten Ergebnisse der Lohnstrukturerhebung 2022 veröffentlicht. Gemeinsam mit dem Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB) hat die Unia eine Auswertung für das Bauhauptgewerbe erstellt. Auch hier sind die Ergebnisse erschreckend: Zwischen 2016 und 2022 sind die Löhne teuerungsbereinigt in fast allen Kategorien gesunken. Unia-Bau-Chef Nico Lutz bringt es so auf den Punkt: «Die letzten sieben Jahre waren für die Bauarbeiter trotz harter Arbeit und grossem Einsatz sieben verlorene Jahre.»

FACHKRÄFTE-FLUCHT

Die Baukonjunktur kennt seit Jahren nur eine Richtung, und zwar immer weiter nach oben. Die Unternehmen des Bauhauptgewerbes verzeichneten in den letzten Jahren rekordhohe Umsätze und konnten trotz allen Herausforderungen das hohe Niveau auch im vergangenen Jahr halten und teilweise sogar steigern. Auch die Perspektiven im Hochbau und im Infrastrukturbau sind vielversprechend. Die nun wieder sinkenden Zinsen dürften eine zusätzliche positive Wirkung haben. Umso mehr sind oder wären die Firmen auf zufriedene Büezer angewiesen.

Doch, so Chris Kelley, Co-Leiter Sektor Bau der Unia: «Die Zukunftsaussichten für den schönen und stolzen Maurerberuf trüben sich zunehmend ein.» Kelley berichtet von einer «regelrechte Flucht» aus der Branche.

BESORGT: Chris Kelley, Co-Leiter Sektor Bau bei der Unia, prangert an, dass viele Baubüezer in der Branche keine Zukunft sehen. (Foto: Unia)

Konkret: Im Lauf der Karriere wird sich jeder zweite Maurer dazu entscheiden, die Baubranche zu verlassen. Besonders beunruhigend sei, so Kelly weiter, dass viele bereits in den ersten Jahren nach Lehrabschluss keine Zukunft mehr in der Branche sehen. Die Anzahl Personen, die innerhalb von viereinhalb Jahren ihren gelernten Beruf verlassen und sich umschulen, ist bei Maurerabsolventen mehr als drei Mal so hoch wie im gesamtschweizerischen Durchschnitt. Bereits heute fehlen tausende Fachkräfte. Bis im Jahr 2040 wird bei den eigentlich benötigten Maurern und Vorarbeitern jede dritte Stelle unbesetzt sein.

Warum ist es so weit gekommen? Chris Kelly sagt: «Der Lohn ist nicht der einzige Grund für den Branchenexodus. Der steigende Druck, die langen Tage und viele Überstunden sowie unbezahlte Reisezeiten tragen ebenfalls dazu bei. Doch wenn das Bauhauptgewerbe als einzige grosse Branche nicht mal die Teuerung ausgleicht, ist dies für viele ein weiterer Grund, der Branche den Rücken zu kehren.»

IM HERBST MUSS WAS GEHEN

Simon Constantin ist Mitglied der Sektorleitung Bau der Unia. Er sagt zu den Ergebnissen der Lohnumfrage und der Auswertung der offiziellen Zahlen des Bundes: «In den Lohnverhandlungen diesen Herbst braucht es eine Lohnerhöhung für alle. Sie muss mehr als die Teuerung betragen und auch dem Lohnrückstand der letzten Jahre Rechnung tragen.» Wie hoch die Lohnforderung exakt sein wird, werden die Unia-Mitglieder im Juni festlegen, sobald eine konsolidierte Teuerungsprognose für 2024 vorliegt.

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