Generalstreik in Portugal
100 Verschlechterungen für die Arbeitenden

Gewerkschaften und eine breite Bewegung der portugiesischen Gesellschaft versuchen, den brutalen sozialen Abriss durch eine rechte Koalition zu stoppen.

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DER WIDERSTAND: 3 Millionen Menschen beteiligten sich in Portugal am Generalstreik. (Foto: Keystone)

Nie wieder? Eine verbreitete Irrmeinung plappert, dass Nationen, die unter faschistischen Diktaturen geknechtet waren, dauerhaft gegen Faschismus geimpft seien.        
         
Doch nun regieren in Italien Mussolinis Enkelinnen und Enkel. Chile hat am 14. Dezember den Sohn eines deutschen Nazis zum Präsidenten gemacht. Er versteht sich als der «Erbe» von Diktator Pinochet. In Deutschland führen Hitler-Nostalgiker von der AfD alle Umfragen an. Spaniens Franco-Verehrer inszenieren auf Madrids Boulevards militärische Fackelzüge. Und in Portugal ist seit dem 18. Mai die rechtsextreme Chega die zweitstärkste, aber entscheidende Kraft des Landes – nur 51 Jahre nachdem die Nelkenrevolution die Salazar-Diktatur und ihre afrikanischen Kolonialkriege (Angola, Moçambique, Guinea-Bissau, Kapverden) beendet hatte.

«Krieg gegen die Arbeiterklasse»

Seit 2024 regiert in Portugal die bürgerliche Rechte (Mitte-Rechts) unter Luis Montenegro, mit duldender Beihilfe der neoliberal gewendeten «Sozialisten». Doch der Wirtschaftsanwalt Montenegro aus Porto hatte brutalere Pläne im Dienste des Kapitals: Mit einem neuen Arbeitsrecht will er jeden Schutz der Arbeitenden schleifen und die Gewerkschaften eliminieren. Und ein radikaler Sparhaushalt soll die letzten Reste des Service public zerschlagen.

WILL DIE GEWERKSCHAFTEN ELIMINIEREN: Portugals Regierungschef Luis Montenegro. (Foto: Keystone)

Montenegros Gesetzesentwurf «Trabalho XXI» bringt über 100 Verschlechterungen für die Arbeitenden. Faktische Abschaffung des Kündigungsschutzes (Firmen dürfen Gerichtsurteile ignorieren), keine Mindestlöhne und keine kollektiven Vertragsverhandlungen mehr, totale Flexibilisierung der Arbeitszeiten 24/7 (allein die Firmen kontrollieren die Arbeitszeit), Abbau von Elternurlaub, Förderung von prekären Arbeitsverträgen (Arbeit auf Abruf, Zeitverträge usw.) und Auslagerungen (Unterakkordanz), Beschränkung des Streikrechts, kein gewerkschaftlicher Zutritt zum Arbeitsplatz mehr und so weiter. Alles, was das Kapitalistenherz begehrt. Catarina Martins vom «Block der Linken» nennt es «frontalen Angriff auf alle Generationen, die kommunistische Partei einen «Krieg gegen die Arbeiterklasse».

Explosive Konstellation

Für sein Programm braucht Montenegro die Neofaschisten. Darum die Neuwahlen im Mai. Die erst 2019 gegründete Chega («Gott, Vaterland, Familie, Arbeit») holte, wie prognostiziert, 22,8 Prozent der Wahlstimmen. Seither sind Mitte-Rechts und die Neofaschisten in einem faktischen Regierungsbündnis vereint, das seinen Namen nicht sagt.

Als Pfand verschärfte Luis Montenegro die Ausländer- und Migrationsgesetze. Bizarr, für ein Auswanderungsland wie Portugal. Chega-Chef André Ventura, der gerne in rassistisch-kolonialistischer Nostalgie schwelgt, jubilierte. Der Faschismus kommt durch die Mitte zur Macht.

Und eine zweite Konstante beweist sich: Die Rechtsextremen, die sich gerne als Anti-System-Parteien tarnen, sind in Wahrheit die Frontsoldaten des verschärften Kapitalismus.

Eine explosive Konstellation. Die Pläne der rechten Regierung stiessen sofort auf Widerstand. Dutzende von Belegschaften eröffneten den Reigen im frühen Herbst mit Arbeitskämpfen. Nach Streiks in einzelnen Branchen fanden sich am 8. November 100'000 zum Protest in Lissabon und vielen anderen Städten. Am 24. November ging der Service public in den Ausstand.

Front der Ablehnung

AUFRUF ZUM GENERALSTREIK: Für den 11. Dezember spannten alle zusammen. (Foto: Keystone)

Es geschah, was in der Regierung kaum jemand auf dem Schirm hatte: In wenigen Wochen fand sich eine breite «Front der Ablehnung». Die beiden konkurrierenden Gewerkschaftsverbände CGTP und UGT riefen zum ersten Mal seit 12 Jahren gemeinsam zum Generalstreik; ihnen folgten viele kleinere Verbände, etwa der Pflegenden. Die linken Parteien (sogar Teile der Sozialisten) zogen mit, angetrieben von den Bewegungen gegen die horrende Wohnungsnot, den wachsenden Rassismus, die Klimaleugner, die neue Frauenfeindlichkeit, gegen den Genozid in Gaza, den Übertourismus im Süden und die Armut in Zentralportugal, gegen Landflucht, Emigration der Jungen und der besten Köpfe.

Am Ende der Geduld

Tatsächlich legte am 11. Dezember der Generalstreik weite Teile des Landes lahm. 200 Flüge mussten gestrichen werden, Häfen, Bahn und Busse standen still, die Schulen blieben zu, Spitäler verrichteten nur Notdienst. Aber auch private Konzerne wurden bestreikt, etwa das grosse Volkswagenwerk. Nach Zählung der Gewerkschaften verweigerten 3 Millionen Menschen ihre Arbeit.

ALLES STEHT STILL: Am Tag des Generalstreiks bleiben die Züge in Lissabon am Bahnhof. (Foto: Keystone)

Luis Montenegro versuchte den Aufstand kleinzureden. Doch 61 Prozent der Bevölkerung gaben an, den Generalstreik zu unterstützen.

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