Feministischer SGB-Kongress
Sexuelle Belästigung: Nicht alle Männer, aber immer ein Mann

Rechte Angriffe auf die Demokratie werden auch über die Körper der Frauen ausgetragen, heute mehr denn je. Umso wichtiger, dass sich Gewerkschafterinnen zusammenschliessen und sich für frauenspezifischen Gesundheitsschutz starkmachen, gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz und gegen Lohndiskriminierung.

Beitrag vorlesen lassen.
0:00 / 6:36
KONGRESS IN LILA: Der feministische SGB-Kongress legt die Schwerpunkte und Strategie für die nächsten vier Jahre fest. (Foto: asz)

Es klingt wie eine gruselige Sage aus grauer Vorzeit, ist aber gar nicht allzu lange her: Es gab einmal eine Zeit, als verheiratete Frauen ihre Männer um Erlaubnis bitten mussten, bevor sie eine Stelle antreten konnten. Wenn sie dann für ihren Lohn ein Bankkonto eröffnen wollten, mussten sie wiederum ihre Gatten fragen (besser wurde es erst mit der Revision des Eherechts 1988). Seither haben sich die Frauen Fortschritte in Sachen Gleichberechtigung erkämpft. Doch in vielen Bereichen der Gleichberechtigungen steckt die Schweiz noch in den Kinderschuhen, und nichts ist für immer errungen.

Oder wie es Unia-Präsidentin Vania Alleva am 15. Feministischen SGB-Kongress sagt:

Gerade in Zeiten, wo die Rechte von Frauen und Minderheiten weltweit von rechten Kräften angegriffen werden, setzen wir uns kompromisslos für mehr Gleichstellung ein.

Deshalb brauche es den Druck von unten, in den Betrieben, auf der Strasse. «Wir Gewerkschaften setzen uns ein für höhere Frauenlöhne, gute Mindestlöhne und ein wirksames Gleichstellungsgesetz.» 

Alle vier Jahre treffen sich Gewerkschafterinnen aus der ganzen Schweiz, um die feministischen Anliegen voranzutreiben. Unia-Gleichstellungssekretärin Aude Spang sagt es so: «Frauen sind wichtig für die Zukunft der Gewerkschaften. Wenn wir mehr Frauen in der Gewerkschaft wollen, müssen wir ein feministisches Klassenbewusstsein schaffen.»

Schluss mit sexueller Belästigung

Nebst dem Bereich der Lohnungleichheit stellt der feministische SGB-Kongress Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz für Frauen und queere Menschen sowie sexualisierte Gewalt in den Fokus.  Agota Lavoyer, Expertin für sexualisierte Gewalt, liefert in ihrem Vortrag erschreckende Zahlen zur sexuellen Belästigung:

97 Prozent der Frauen werden im öffentlichen Raum belästigt. Fast eine halbe Million Frauen in der Schweiz wurde vergewaltigt.

Auch am Arbeitsplatz ist sexuelle Belästigung weit verbreitet. Die Hälfte alle Arbeitnehmerinnen hat bereits sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erlebt. Die Täter: überwiegend Männer. Dabei geht es nicht um Sexualität, sondern um Dominanz und Macht. Die Erfahrungen der Frauen reichen von alltäglichem Sexismus und Witzen über ungewollte körperliche Berührungen und sexuelle Übergriffe bis hin zu Vergewaltigungen und Femiziden.

Sexuelle Belästigung passiert in allen Berufen: in Büros, in Werkstätten oder auf Baustellen. (Artikel Baufrauen hinterlegen: im Gastgewerbe, im Transport, im Gesundheits- und Sozialbereich. Der feministische Kongress des SGB fordert deshalb unter anderem klare Regeln und Massnahmen in allen Betrieben, Kontrollen der Schutzbestimmungen durch Arbeitsinspektorate, die Anerkennung von sexueller Belästigung als Grund für eine Berufserkrankung und regelmässige Präventionskampagnen.

Die männliche Norm macht krank

Gewalt und Belästigungen am Arbeitsplatz können sich auch negativ auf die Gesundheit von Frauen auswirken, im Extremfall bis zu einer dauerhaften Arbeitsunfähigkeit. Doch damit nicht genug: Frauen sind in der Schweiz an ihrem Arbeitsplatz mit einer Vielzahl von Gesundheitsrisiken konfrontiert, weit stärker als Männer. Und in vielen Lebensbereichen ist der Mann noch immer die Norm, so auch an vielen Arbeitsplätzen.

Zum Beispiel bei den Busfahrerinnen: Sie leiden viel häufiger an Schmerzen als ihre Kollegen, weil Steuer und Pedale nicht an sie angepasst sind.

Auch der Schutz von Schwangeren oder von stillenden Müttern ist nach wie vor ungenügend. So fehlt zum Beispiel – im Unterschied zu unseren Nachbarländern – ein vorgeburtlicher Mutterschaftsurlaub. Mütter sind auch ungenügend vor Kündigungen geschützt: Jede siebte Frau verliert ihre Stelle wegen Mutterschaft. Die schwierige Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist mit ein Grund für die rekordtiefe Geburtenrate in der Schweiz.

Deshalb fordert der SGB-Frauenkongress unter anderem eine Verlängerung des nachgeburtlichen Kündigungsschutzes. Aber auch mehr Gesundheitsschutz für Schwangere, sowie Massnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, wie zum Beispiel ein öffentliches Kinderbetreuungsangebot.

Frauen verdienen mehr!

Ein weiterer Kongress-Schwerpunkt ist die Lohndiskriminierung. Noch immer verdienen Frauen im Schnitt pro Monat 1364 Franken weniger als Männer! Über das ganze Erwerbsleben gesehen betrifft die Lohndifferenz sogar 43,2 Prozent. Weil Frauen den Hauptanteil an unbezahlter Care-Arbeit leisten auf Kosten ihres Einkommens. Und weil Frauen häufiger in Branchen mit Tieflöhnen arbeiten, wie Reinigung, Gastronomie oder Detailhandel.

Die Massnahmen für mehr Lohngleichheit in den Betrieben sind ungenügend. Auch weil nur 0,8 Prozent aller Unternehmen in der Schweiz verpflichtet sind, überhaupt Lohngleichheitsanalysen durchzuführen. Und weil es bei Verstössen keine Sanktionen gibt.

Deshalb fordert der feministische SGB-Kongress unter anderem: mindestens 5000 Franken für Berufstätige mit Lehre, einen 13. Monatslohn für alle, konsequente Massnahmen gegen Lohndiskriminierung in den Unternehmen.  

Und: Unbezahlte Arbeit soll als Arbeitserfahrung für den Wiedereinstig in den Arbeitsmarkt anerkannt werden.

Schreibe einen Kommentar

Bitte fülle alle mit * gekennzeichneten Felder aus.