Menschenhandel in der Schweiz
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Menschenhandel ist in der Schweiz Realität. Das zeigen auch die neusten Zahlen: Allein für das Jahr 2024 hat die Plateforme Traite 201 Opfer registriert. Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs.

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MODERNE SKLAVEREI: Auch in der Schweiz gibt es Opfer von Menschenhandel. (Foto: Plateforme Traite, Sabine Rock)

Dutzende Gipser lockt ein Bauunternehmer mit falschen Versprechen in die Schweiz. Wohnen müssen sie in einer schimmligen Abbruchbude, für ihre Arbeit erhalten sie zwischen 80 Rappen und 9 Franken pro Stunde. Der Chef lebt in Saus und Braus. Seiner Frau sagt er, er wolle die Arbeiter am liebsten «vergasen». Doch dann macht ein Polier zusammen mit der Unia Druck – bis zum historischen Urteil: Im März 2023 wurde erstmals in der Deutschschweiz ein Bauunternehmen wegen Menschenhandels verurteilt (work berichtete).

Oder: Selim Öztürk* (41). Er wurde von seinem Chef schamlos ausgenutzt. Dieser liess ihn fast pausenlos in seinem Restaurant chrampfen. Und verdonnerte ihn auch noch dazu, sein Haus zu putzen. Zu work sagte Öztürk: «Ich hatte das Gefühl: Jetzt bist du kein Mensch mehr» (zum Artikel).

Oder das Ehepaar aus Vietnam, das in den Tamedia-Zeitungen über jahrelange Ausbeutung in Nagelstudios berichtete. Gerade mal 2000 Franken Monatslohn, abzüglich Kost und Logis. Für die Reise in die Schweiz musste das Paar über 30'000 Franken bezahlen. Schulden, die es jetzt abarbeiten muss.

Tendenz steigend

Moderne Sklaverei ist in der reichen Schweiz zwar wenig sichtbar, doch durchaus verbreitet. Die Plateforme Traite, die Schweizer Plattform gegen Menschenhandel, hat kürzlich die neusten Zahlen veröffentlicht: Allein für das Jahr 2024 hat die Organisation in der Schweiz 201 neue Opfer von Menschenhandel identifiziert. Diese Zahlen sind seit Jahren stabil, Tendenz leicht steigend. Im letzten Jahr stammten die Betroffenen – mehrheitlich Frauen – hauptsächlich aus Nigeria, Kolumbien und Ungarn. Sie waren Opfer von sexueller Ausbeutung, aber auch von Ausbeutung der Arbeitskraft, Zwang zu kriminellen Handlungen und Bettelei.

Plateforme Traite

Die Plateforme Traite ist die Schweizer Plattform gegen Menschenhandel und fungiert als Dachorganisation für spezialisierte, regional tätige Organisationen wie die Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration (FIZ) in Zürich, Astrée in Lausanne, das Centre social protestant (CSP) in Genf und Mayday aus dem Tessin. 

Diese Zahlen seien nur die Spitze des Eisberges, schreibt die Plateforme Traite. Denn: Ob die Opfer überhaupt zu den Anlaufstellen kommen, hängt stark von der Branche ab, vom Herkunftsland, vom Geschlecht und von der Sensibilisierung der Behörden und der Zusammenarbeit mit den Opferschutzstellen. Bei den Kantonen sieht Plateforme Traite Fortschritte, vom Bund fordert sie hingegen mehr Geld zur Unterstützung des Engagements in den Kantonen und der spezialisierten Opferschutzorganisationen.

*Name geändert

Schweizer Recht: Indizien für Menschenhandel

Wann handelt es sich um Menschenhandel? Nach internationaler Definition müssen drei Merkmale erfüllt sein:

  1. Eine aktive Anwerbung, Beförderung oder Unterbringung von Personen.
  2. Androhungen oder die Anwendung von physischer oder psychischer Gewalt.
  3. Ziel sind sexuelle Ausbeutung, Arbeitsausbeutung, Sklaverei oder Organentnahmen.

DIE UNIA SETZT SICH EIN: Um diese Straftat hierzulande zu bekämpfen, wurde der dritte Nationale Aktionsplan (NAP) gegen Menschenhandel verabschiedet. Auch die Unia setzt sich gegen dieses Verbrechen ein und veröffentlichte eine ausführliche Broschüre zum Thema. Zu finden unter rebrand.ly/Unia-gegen-Menschenhandel.

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