Nicht «die Ausländer» sind schuld an explodierenden Prämien
Dumm gelaufen für SVP-Aeschi

Menschen ohne Schweizer Pass kosten die Krankenkassen nicht mehr, sondern weniger als Schweizerinnen und Schweizer. Im Schnitt rund 1000 Franken pro Jahr. Warum wir das wissen? Weil sich SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi von der Bundesverwaltung Munition für fremdenfeindliche Hetze liefern lassen wollte.

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SEIN VORSTOSS WAR EIN BEINSCHUSS: SVP-Mann Thomas Aeschi. (Foto: Keystone)

Heute zahlen wir alle zweieinhalbmal so viel Krankenkassenprämie wie vor 25 Jahren – und zwar teuerungsbereinigt. Das heisst, die Prämienkosten sind in diesem Zeitraum dreizehnmal mehr gestiegen als die Löhne und sogar fünfzigmal mehr als die AHV-Renten! Und ­Besserung ist nicht in Sicht. Schuld daran ist die unsoziale Kopf­prämie. In keinem anderen Land ­Europas bezahlt die Verkäuferin oder der Elektriker gleich viel für die Krankenkasse wie der Milliardär. Und nirgendwo sonst in Europa ist der Anteil der Gesundheitskosten an den individuellen Haushaltsbudgets höher als hier. 

Die bürgerlichen Mehrheiten in Parlament und Bundesrat hätten es längst in der Hand, die Belastung für die Mehrheit der Bevölkerung zu ändern. Wollen sie aber nicht. Zu einträglich sind die Mandate der Lobbys jener, die das grosse Geld machen. Lieber führen die rechten und bürgerlichen Politikerinnen und Politiker Scheindebatten. Zu den rechten Dauerbrennern gehört:

Die Ausländer sind schuld.

Mal argumentiert der manchmal ziemlich kranke «gesunde Menschenverstand» mit den «Ausländern, die wegen jedem Bobo zum Arzt rennen», mal die vermeintlich streng wissenschaftlichen marktradikalen Voodoo-Priester, die «nachweisen», dass Zuwandernde eigentlich einen «Eintrittspreis in die Krankenkassen» bezahlen müssten. SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi verbindet im Herbst 2024 beides und fordert Zahlen, die das beweisen. Der Bundesrat müsse die Verwaltung anweisen, zusätzlich zu allen relevanten Zahlen auch die Nationalität der Kranken zu erfassen. Die Absicht ist klar: Munition für die nächste Welle rassistischer Hetze geliefert zu bekommen. Aeschi damals:

Ausländerinnen und Ausländer sollen sich künftig in unser Gesundheitssystem einkaufen, wenn sie es schon verteuern.

Der «Tages-Anzeiger» findet: «Ein Detail in Aeschis Ausführung ist falsch.» Aber: «Im Grundsatz stimmt die Argumentation der SVP.»

Beifahrerinnen FDP und GLP

Hätte Aeschi es beim Behaupten im «Tages-Anzeiger» gelassen, hätte er zufrieden sein können. Doch er wird übermütig und verlangt vom Bund ultimativ Zahlen. FDP und GLP sitzen blitzartig im Seitenwagen, und ein Drittel der Mitte ist auch dabei. Mit 105 zu 81 Stimmen folgte der Nationalrat Aeschi. Die Waadtländer Ärztin und SP-Vertreterin Brigitte Crottaz brachte es so auf den Punkt:

Unter dem Deckmantel der Transparenz fordern sie eine absurde, zeitfressende und rein diskriminierende bürokratische Übung, die darauf abzielt, Personen anderer Nationalität zu diskreditieren – in der Hoffnung, belegen zu können, dass ausländische Versicherte die Krankenkassen mehr kosten.

Jetzt liegt ein Bericht vor. Und Aeschi steht blöd da.

Langer Titel, kurze Antwort

Der Bericht trägt den sperrigen Titel «Kosten zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung nach Staatsangehörigkeit der Versicherten», kann über diesen Link heruntergeladen werden und zeigt ein klares Resultat:

Schweizer Staatsangehörige kosten die Krankenkassen im Jahr durchschnittlich 3554 Franken, Versicherte ohne Schweizer Pass 2569 Franken.

Analysiert wurden die Nettokosten der Grundversicherung. Ausgewertet wurden die Daten von 2019 bis 2022. Die Nettokosten sind die Gesamtkosten minus die von den Versicherten bezahlten Franchisen und Selbstbehalte.

Schweiz exportiert Gesundheitskosten

Das Ergebnis ist natürlich ärgerlich für Aeschi & Co. Hilflos, aber nicht unschlau bemängelt er, der Bericht «vergesse die Auswertung nach Alterskategorien». Die steht zwar tatsächlich nicht explizit im Bericht. Doch das BFS hat auch diese erfasst. Und auch prompt nachgeliefert. Denn selbstverständlich fanden sich Journalisten, die sich von Aeschi auf die Spur eines Skandals gesetzt fühlten und nachfragten. Resultat:

Auch unter Berücksichtigung der Alterskategorien sind Menschen ohne Schweizer Pass günstiger.

Berücksichtigt man Geschlecht, Alter und Wohnkanton, so betrugen die durchschnittlichen Kosten für Versicherte ohne Schweizer Pass 21.10 Franken pro Jahr weniger als für Schweizer Staatsangehörige. Das erstaunt nicht, denn die teuersten Jahre sind die drei Jahre vor dem Tod. Rund 1000 Franken durchschnittliche Differenz bedeuten: Zugewanderte zahlen gesund in die Krankenkasse ein und verbringen ihre tendenziell teuersten letzten Lebensjahre in ihrem Herkunftsland.

Oder andersrum formuliert: Die Altersstrukturen der beiden Gruppen sind, wie sie sind. Eine Altersbereinigung der Zahlen ändert nichts daran: Es findet ein nicht geringer Transfer von Versicherten ohne Schweizer Pass zu jenen mit statt. Ohne die Zugewanderten müssten alle in der Schweiz noch höhere Krankenkassenprämien zahlen.

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