Immer weniger Büezerinnen können sich Ferien leisten
Hausarrest für 42 Millionen

Das Europäische Gewerkschaftsinstitut hat die neuesten EU-Ferien-Statistiken ausgewertet. Das Resultat ist erschreckend: 41,5 Millionen Büezerinnen und Büezer konnten sich 2023 keine einzige Woche Ferien leisten – eine Million mehr als im Jahr davor.

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GRÜSSE AUS BALKONIEN. Immer mehr Arbeitende können sich keine Auswärtsferien mehr leisten. Foto: Kellie Green.

Ferien mit der Familie, ein paar Tage Erholung, vielleicht am Meer oder in den Bergen – für viele in Europa ist das ein unerfüllbarer Traum. Und es werden immer mehr: Über 41,5 Millionen Erwerbstätige in der EU konnten sich laut einer aktuellen Analyse des Europäischen Gewerkschaftsinstituts (EGI) im Jahr 2023 keine Woche Ferien leisten. Das sind eine Million Menschen mehr als im Jahr zuvor. Und es ist das dritte Jahr in Folge, in dem die Zahl steigt. Die Ursachen sind klar: steigende Lebenshaltungskosten bei auf breiter Front sinkenden Reallöhnen.

Die Gefälle

Am höchsten ist der Anteil der Büezerinnen und Büezer ohne Auswärtsferien in Rumänien – 2023 konnten sich dort rund 32 Prozent der Arbeitnehmenden keine einwöchige Ferienreise leisten. Es folgen Ungarn (26 Prozent), Bulgarien (24 Prozent) sowie Portugal und Zypern (je 23 Prozent), die Slowakei (22 Prozent) und Griechenland (ebenfalls um 22 bis 23 Prozent). Am niedrigsten ist die Quote in den Ländern Nordeuropas: In Schweden konnten sich «nur» rund 5 Prozent der Beschäftigten keine Ferien leisten, in Finnland und Dänemark rund 6 bis 7 Prozent. Geringe Werte verzeichnen auch Luxemburg, die Niederlande und Slowenien (je ca. 5 bis 7 Prozent). In Österreich, Belgien und Tschechien liegt die Urlaubsarmutsquote der Arbeitnehmenden bei rund 10 Prozent oder darunter. Von den vier bevölkerungsreichsten EU-Ländern liegen Spanien (18 Prozent der Arbeitnehmenden betroffen) und Italien (17 Prozent) über dem EU-Schnitt, während Frankreich (12 Prozent) und Deutschland (11 Prozent) ihn unterschreiten.

Schweiz nicht erfasst

Und wie ist die Lage in der Schweiz? Die spezifische Frage danach, ob man sich eine «einwöchige Reise leisten» könnte, wird in der Schweiz nicht regelmässig und vergleichbar über die gesamte Bevölkerung erhoben. Ältere Daten von 2014 ergaben einen Prozentsatz von rund 10 Prozent «Urlaubsarmen» in der Schweiz. Diese Zahl dürfte seither nicht gesunken sein, eher im Gegenteil: Explodierende Krankenkassenprämien und stark steigende Wohnkosten bei stagnierenden bis sinkenden Reallöhnen haben im vergangenen Jahrzehnt die Kaufkraft der Gering- und Normalverdienenden auch in der Schweiz geschwächt.

Verteilungsfrage

Bezahlte Ferien sind eine zentrale Errungenschaft der Arbeiterbewegung: In den 1930er Jahren vereinigten sich französische Linksparteien und Gewerkschaften zum Front populaire. Als dieser 1936 an die Macht kam, führte er einen gesetzlichen Ferienanspruch ein. Die Schweiz machte es Frankreich in den 1940er Jahren nach.

Doch der Neoliberalismus greift die Rechte der Arbeitenden an, wo er nur kann. Esther Lynch ist Generalsekretärin des Europäischen Gewerkschaftsbundes und sagt zu den neusten Zahlen: «Die zeigen: Europa steckt in einer Krise schlechter Arbeitsbedingungen, und unser Sozialmodell bröckelt weiter – angetrieben von wachsender wirtschaftlicher Ungleichheit. Es ist leider keine Überraschung, dass sich immer weniger Menschen Ferien leisten können, wenn Dividenden bis zu 13mal schneller steigen als Löhne und Konzernchefs sich über das 100fache eines Durchschnittslohns auszahlen lassen.»

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