5 Jahre Stillstand im Ceneri-Mafia-Prozess!

Gleisbauer gegen Tessiner Schlendrian-Justiz

Jonas Komposch

Schon seit fünf Jahren wartet eine Gruppe italienischer Gleisbauer auf Gerechtigkeit. Sie wurden im Ceneri-Basistunnel auf übelste Weise ausgebeutet. Nun wollen sie der Tessiner Justiz Beine machen.

LANGES WARTEN AUF GERECHTIGKEIT: Baubüezer verlegen Schienen im Ceneri-Basistunnel. (Foto: Keystone)

Vor fünf Jahren flog im Tessin einer der grössten Dumping-Skandale der Schweiz auf – dank einer Gruppe italienischer Gleisbauer. Sie waren im Ceneri-Basistunnel massiv ausgebeutet worden, mussten teils Doppelschichten von bis zu 16 Stunden leisten, wurden bedroht und gezwungen, am Monatsende 700 Franken ihres Lohnes an die Vorarbeiter abzudrücken. Das Tessiner Arbeitsinspektorat schätzte die mutmassliche Deliktsumme damals auf rund 3,5 Millionen Franken. Mit Hilfe der Unia brachten einige der Geprellten die Sache zur Anzeige.

Doch seither herrscht Stillstand bei der Tessiner Justiz. Jetzt haben die Betroffenen genug!

VON JUSTIZ IM STICH GELASSEN

Am vergangenen Dienstag haben sie vor dem Strafgericht Lugano ihrem Ärger Luft gemacht. Auch Unia-Regiosekretär Giangiorgio Gargantini war am Protest dabei. Er sagt: «Seit fünf Jahren schlummert diese Untersuchung in den Schubladen der Staatsanwaltschaft. Das ist inakzeptabel! Denn es braucht viel Mut, um Missstände am Arbeitsplatz anzuzeigen. Und wenn dann die Kläger von der Justiz im Stich gelassen werden, wird dieser Mut sie verlassen!»

Mit einer chronischen Überlastung der Staatsanwaltschaft könne diese Wartezeit nicht erklärt werden. Offensichtlich kenne die Tessiner Justiz zwei verschiedene Geschwindigkeiten, sagt Gargantini weiter. «Ein hohes Tempo für die Starken, die gegen die Schwachen klagen. Und ein ganz anderes Tempo, wenn sich Schwache gegen Starke wehren.»

GLEISBAUKONZERN UNTER MAFIA-VERDACHT

Die Starken sind in diesem Fall die Hintermänner des italienischen Gleisbaukonzerns GCF. Sie hatten damals von der SBB-Tochter Alptransit den Prestige-Grossauftrag für den Ceneri erhalten. Ausschlaggebend war ihre Billigofferte, die unglaubliche 30 Prozent unter jener des konkurrierenden schweizerisch-österreichischen Konsortiums lag.

Es dauerte nicht lange, bis erste Ungereimtheiten auftauchten. Im Februar 2022 dann der Knall: Die Mailänder Anti-Mafia-Behörde holte zum grossen Schlag gegen die GCF aus. Sie führte Razzien gegen 36 Verdächtige durch, beschlagnahmte 6,5 Millionen Euro und setzte 15 Personen unverzüglich in Untersuchungshaft. Die Beschuldigten sollen der kalabrischen Mafia ‘Ndrangheta geholfen haben, das italienische Eisenbahnnetz zu unterwandern. Im Visier der Justiz standen insbesondere auch die GCF-Bosse Edoardo und Alessandro Rossi. Vor gut einem Jahr wurden die Rossi-Brüder in Mailand angeklagt. Ein Urteil dürfte demnächst fallen. Ganz anders im Tessin.

STAATSANWALT LÄSST ZEUGEN WARTEN

Im Südkanton ist es laut Unia-Mann Gargantini zu einer ganzen Reihe von Verfahrensfehlern gekommen. Zum Beispiel sei die digitale Aufzeichnung der Arbeitszeiten im Ceneri-Tunnel nicht einmal angefordert worden. Dabei liesse sich damit ohne weiteres belegen, dass die Gleisbauer tatsächlich illegale Marathonschichten leisten mussten. Stattdessen stellte der zuständige Staatsanwalt Andrea Gianini Forderungen an die Unia! Sie solle ihm noch mehr Zeugen auftreiben, verlangte Gianini zuletzt. Nur mit viel Mühe gelang es der Gewerkschaft, zwei weitere Büezer zu finden, die bereit sind, gegen einen mutmasslichen Mafia-Komplex auszusagen. Doch bisher war es eine vergebliche Mühe: Seit Monaten warten die Arbeiter darauf, von der Staatsanwaltschaft befragt zu werden.

Kein Wunder herrschte beim Protest vor dem Luganeser Justizpalast eine wutgeladene Stimmung. Ein Arbeiter sagte: «Es scheint fast, als wolle der Staatsanwalt keine Gerechtigkeit walten lassen.» Ein anderer äusserte sich besorgt um die Sicherheit seiner Familie: «Sie wurden bedroht, damit ich meine Anzeige zurückziehe.»

Die Unia wird jedenfalls nicht lockerlassen. Bereits der Regionalkongress vom 9. März in Bellinzona wird eine Protestresolution verabschieden und die nächsten Schritte beschliessen.


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