Millionen-Lohnklau durch italienische Gleisbau-Skandalfirma

Wildwest am Monte Ceneri

Ralph Hug

Am bekanntesten Tessiner Berg platzte einer der bisher grössten Lohndumpingskandale der Schweiz.

GEFÄHRLICHE BÜEZ: Gleisbauer im Monte-Ceneri-Basistunnel. (Foto: Keystone)

«Es war wie Sklaverei»: Das gab Fouad Zerroudi dem Tessiner Fernsehen zu Protokoll. Zerroudi war beim italienischen Gleisbau­unternehmen GCF/Gefer angestellt. Bis er genug hatte und er nicht mehr schweigen wollte und konnte. Der Konzern aus Rom ist einer der Grossen im europäischen Gleisbau mit 400 Millionen Euro Umsatz und 1100 Angestellten. Er baut die Anlagen im neuen Ceneri-Basistunnel, dem letzten Stück des Neat-Alpendurchstichs. Der Tunnel soll Ende 2020 betriebsbereit ein. Zerroudi berichtet Haarsträubendes: Die Arbeiter hätten bis zu 16 Stunden am Tag durchgearbeitet. Die vorgeschriebenen Pausen seien nicht eingehalten worden, und als Verpflegung habe es oft bloss Sandwiches gegeben. Laut Gesamtarbeitsvertrag gilt eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von 45 Stunden.

ANZEIGE DER UNIA

Auch Lohnklau gehörte zum Geschäftsmodell der GCF/Gefer. Der Mindestlohn für Ungelernte beträgt 4624 Franken. Doch die Unia stellte fest: Viele Gleisbauer haben weniger als die Hälfte erhalten. Da für GCF/Gefer bis zu 170 Arbeiter im Ceneri tätig waren, schätzt die Unia die geprellten Löhne auf mehrere Millionen Franken. Damit wäre dieser Bschiss einer der schlimmsten Dumpingfälle der Schweiz. Inzwischen hat sich die paritätische Kommission Untertagbau eingeschaltet. Sie führt eine Entsendekontrolle durch. Dank einer Anzeige der Unia ist auch die Tessiner Staatsanwaltschaft aktiv. Möglicherweise war Urkundenfälschung im Spiel, wohl auch Nötigung. Etliche Betroffene wollten den TV-Kameras nur anonym Auskunft geben. Sie haben Angst vor Repressalien.

Die Firma weist alle Vorwürfe zurück: «Tutto in ordine!» Haben wir das nicht schon mal gehört? Der Römer Baukonzern Condotte prellte letztes Jahr seine Büezer am Albula-Tunnel um einen Teil des Lohns. Pikant: Condotte war ebenfalls am Ceneri-Tunnel beteiligt (work berichtete). Von Anfang an machten dort wilde Gerüchte über unqualifizierte Arbeitskräfte und Sicherheitsmängel die Runde.

Der Bund glaubte, was auf dem Papier stand, anstatt die Löhne zu kontrollieren.

BAUHERR BUND

Ein Arbeiter starb infolge herunterfallender Felsbrocken. Der Condotte-CEO kam wegen mutmasslicher Mafia-Verbindungen unter Hausarrest, und der Konzern musste vom Staat vor der Pleite ­gerettet werden. Die jahrelange Skandalspur italienischer Baukonzerne in der Schweiz ist bei der paritätischen Kommission wohlbekannt. Trotzdem kommt es immer wieder zu Dumping­skandalen. Beim Ceneri-Tunnel ist der Bund mit seiner SBB-Tochter Alptransit AG der Bauherr. Er hätte vorgewarnt sein müssen. Doch wie bei Condotte reagiert er naiv: Man glaubt, was auf dem Papier steht, statt Kontrolleure loszuschicken, und schiebt ansonsten alle Schuld ab. Alptransit-Chef Dieter Schwank sagt, die Arbeitsgemeinschaft habe sich vertraglich verpflichtet, die Arbeitsbedingungen gemäss GAV einzuhalten. Tut sie aber eben nicht. Genau diese lasche Haltung ermöglicht Wildwestzustände.

UND JETZT IN DER WAADT?

Nun sind auch die Waadtländer Behörden alarmiert. Denn ausgerechnet GCF/Gefer hat unlängst zusammen mit anderen Firmen den Zuschlag für den Einbau der Bahntechnik in einem neuen Tunnel der Trambahnlinie Lausanne–Echallens–Bercher erhalten. Die Unia hat sofort interveniert. Die Frage ist, ob der 18-Millionen-Auftrag widerrufen werden kann – oder was die Stadt Lausanne und der Kanton Waadt als Bauherren tun, damit ein Lohnbschiss wie im Tessin verunmöglicht wird.

GCF/Gefer scheint eine notorische Skandalfirma zu sein. Sie hat vor anderthalb Jahren auch in Dänemark massiv Löhne manipuliert. So in Kopenhagen beim Bau der U-Bahn «Cityringen» und bei einem Schienenbau in Århus. Dank der Intervention der grössten dänischen Gewerkschaft 3 F musste sie insgesamt 2,2 Millionen Franken an vorenthaltenen Löhnen zahlen. Dabei zeigte sich, dass viele Arbeiter eingeschüchtert worden waren. Die Gewerkschaft 3 F wirft Subunternehmen, mit denen GCF arbeitete, Mafia-Verbindungen vor.


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