Lohndumping am Ceneri: Schlag gegen Italiens Gleisbau-Mafia

Baut die ‘Ndrangheta auch für die SBB?

Jonas Komposch

Am Monte Ceneri ­platzte 2019 einer der grössten Lohndumpingskandale der Schweiz. Seither ermittelt die Tessiner Staatsanwaltschaft gegen den Gleisbaukonzern GCF. Jetzt doppelt die Mai­länder Anti-Mafia-Behörde nach – und wie!

FAMILIEN-KONZERN GCF: Vater Attilio Rossi (2020 verstorben), umgeben von seinen Söhnen Alessandro (links) und Edoardo. (Foto: GCF)

Für die Mailänder Staatsanwältin Bruna Albertini war der 11. Februar ein Freudentag. Schliesslich hatten ihre Leute von der Anti-Mafia-Direktion DDA bereits in den frühen Morgenstunden ergiebige Razzien durchgeführt: In der ganzen Lombardei waren Wohnungen und Liegenschaften von 35 Verdächtigen durchsucht, stapelweise ­Dokumente gesichert und über 6,5 Millionen Euro beschlagnahmt worden. 15 Beschuldigte waren ausserdem direkt in Untersuchungshaft abgeführt worden. Sie sollen der kalabrischen Mafia ‘Ndrangheta geholfen haben, das italienische Eisenbahnnetz zu unterwandern. Konkret sollen sie Gleisbau-Unteraufträge an solche Subunternehmen vergeben haben, die von der Mafia kontrolliert würden. Die kalabrischen Clans hätten so inhaftierte Mitglieder unterstützt, schwarze Kassen angelegt, Arbeitsverträge gefälscht und Steuern hinterzogen. Vier grosse Gleisbaufirmen hätten sich zudem fast den gesamten heimischen Markt monopolartig untereinander aufgeteilt. In Italien schlug die Meldung ein wie ein Bombe – nicht aber hierzulande. Das erstaunt.

Die ausstehenden Löhne schätzt die Unia auf 3,5 Millionen Franken.

HAFTANTRAG FÜR CENERI-DUMPER

Staatsanwältin Albertini wollte nämlich auch Edoardo und Alessandro Rossi hinter Gitter bringen. work berichtete: Die Rossi-Brüder leiten den Römer Gleisbaukonzern Generali Costruzioni ­Ferroviarie (GCF), einen Branchenriesen mit Aufträgen in der halben Welt – und einer heiss umstrittenen Präsenz in der Schweiz. Es war Konzernpräsident Edoardo Rossi persönlich, der vor sechs Jahren in Bellinzona eine GCF-Niederlassung eröffnete. Schliesslich hatte der Mann Grosses vor: den Schienenbau im 15 Kilometer langen Ceneri-Basistunnel, dem letzten Stück des Neat-Alpendurchstichs. Ergattert hatte Rossi diesen Prestigeauftrag am bekanntesten Tessiner Berg mit einem wundersamen Angebot. Im Preis lag es satte 30 Prozent unter der österreichisch-schweizerischen Konkurrenz! Da konnte die Bauherrin, die SBB-Tochter Alptransit Gotthard AG, nicht widerstehen. Die unterbotenen Parteien aber legten Beschwerde ein – zunächst mit Erfolg. Doch das Bundesgericht gab dann der Alptransit recht. Die GCF konnte ihren Billig-Zuschlag behalten. Allerdings dauerte es nicht lange, bis verschiedene Arbeiter mit schweren Vorwürfen an die Öffentlichkeit traten.

LOHNRAUB AM BANCOMATEN

Etwa Gleisbauer Fouad Zerroudi. Über seine Zeit im Ceneri sagte er zum Tessiner Fernsehen RSI: «Das war wie Sklaverei!» Häufig hätten er und seine Kollegen gleich zwei Schichten pro Tag leisten müssen. Deshalb seien sie oft bis zu 17 Stunden im Tunnel gewesen, teils ohne die vorgeschriebenen Pausen und Ruhezeiten. Auch die Löhne entsprachen oft nicht dem verbindlichen Minimum gemäss Gesamtarbeitsvertrag. So galt damals ein Mindestlohn von 4624 Franken für ­Ungelernte. Doch die Unia stellte fest: Viele Gleisbauer wurden mit weniger als der Hälfte abgespeist. Und die Lohnklau-Methoden waren offenbar vielfältig.

So sagten andere Arbeiter, ihr Lohn sei zwar auf dem Papier korrekt gewesen. Doch am Monatsende habe ihnen ein Vorarbeiter jeweils 700 Franken in bar abgeknöpft. Hierzu seien sie extra an einen Bancomaten gefahren worden. Da für GCF bis zu 170 Arbeiter im Ceneri tätig waren, schätzt die Unia und das Tessiner Arbeitsinspektorat die ausstehenden Löhne auf 3,5 Millionen Franken. In der Folge erstattete die Gewerkschaft Strafanzeige. Doch nach drei Jahren ist die Untersuchung noch immer hängig. Und über den genauen Stand will sich der zuständige Staatsanwalt Andrea Gianini nicht äussern. Nur so viel: «Ein Ende des Verfahrens ist nicht absehbar.» Das ist kein gutes Zeichen – zumal GCF in der Schweiz nach wie vor tätig ist.

Monatlich knöpfte ein Vorarbeiter den Arbeitern je 700 Franken ab.

SBB WARTET AB

Im Erdreich unter Lausanne entsteht der neue Tunnel der LEB-Bahn. Im Mai soll die 140 Millionen Franken teure Strecke eröffnet werden. An der Einweihungsfeier wird dann nicht nur die kantonale und städtische Bauherrschaft die Korken knallen lassen, sondern auch die CGF. Sie ­bildet mit Implenia, Cablex und Siemens das ausführende Baukonsortium. Zudem ist der Römer Konzern im Grossraum Basel tätig. Dies im Rahmen eines fast 20 Millionen Franken schweren Gleisunterhaltsvertrags mit den SBB. Die Bundesbahnen vergaben diesen Auftrag im Jahr 2016, also bevor der Ceneri-Skandal aufflog. Doch auch danach blieb der 2025 auslaufende Vertrag in Kraft. Und auch nach den neusten Vorwürfen gegen die GCF werde die SBB AG am Vertrag festhalten. Hierzu sei man «grundsätzlich verpflichtet», schreibt Sprecher Reto Schärli auf Anfrage. Er fügt aber an: «Natürlich wird die SBB AG bei allfälliger Bestätigung von Vorwürfen gegen einen Vertreter von GCF die Sachlage noch einmal überprüfen.»

Ob aber die Mailänder Staatsanwältin Bruna Albertini gegen die Rossi-Brüder Erfolg haben wird, scheint ungewiss. Ihrem Haftantrag gab der zuständige Untersuchungsrichter nicht statt. Mit den vorgebrachten Beweisen könne nicht bestätigt werden, dass die Rossis «Teil einer kriminellen Vereinigung zwischen Varese und Mailand» gewesen seien. GCF selbst bestreitet sowohl die Vorwürfe im Zusammenhang mit dem Ceneri-Skandal als auch jene von Mafiajägerin Albertini. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Dänemark: Kokain­drehscheibe Gleisbau

Die ‘Ndrangheta benutze Gleisbauprojekte für den Kokainschmuggel. Davon ist die dänische Gewerkschaft 3 F überzeugt. Sie bemerkte 2016, dass auf Baustellen in Kopenhagen und Århus an ­Wochenenden Maschinenteile angeliefert wurden. In den Paketen habe sich auch Kokain befunden. Von den Bauplätzen sei das Pulver an Pizzerie im Besitz der Mafia weitergeleitet worden. Pikant: Ausgerechnet auf den betreffenden Baustellen deckte 3 F wenig später massives Lohndumping auf. Mittendrin: die Römer GCF. Doch keiner der geprellten Arbeiter traute sich, vor Gericht auszusagen. Immerhin sah sich GCF-Boss Edoardo Rossi gezwungen, einen Vergleich zu ­unterzeichnen und umgerechnet 1,8 Millionen Franken nachzuzahlen.


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