Editorial

13 mal Grandios

Anne-Sophie Zbinden

Anne-Sophie Zbinden, Chefredaktorin

Ja, sie können es, die linken und fortschrittlichen Kräfte in diesem Land: Ja zu einer 13. AHV-Rente,

Ja zu einer sozialeren Schweiz! Das ist mindestens 13 x gut. Nämlich mega, grandios, wunderbar, historisch, deutlich, klar, konkret, überwältigend, unglaublich, phantastisch, sensationell, über­raschend und erstaunlich. Letzteres vor allem für die Gegnerinnen und Gegner der Initiative. Wenn sich die Gemüter etwas abgekühlt haben, werden sie vielleicht sehen, was an diesem Abstimmungsresultat wirklich erstaunlich ist.

ERSTAUNEN I: Es geht um eine 13. AHV-Rente. Nicht mehr, aber natürlich auch nicht weniger. Bemerkenswert, dass sich die Wirtschaftsverbände und ihre Parteien so wahnsinnig dagegen sträubten, einen Schritt in Richtung Einhaltung der Verfassung zu tun, die eine Rente verlangt, die zum Leben reicht.

ERSTAUNEN II: Die Schweizer Stimmberechtigten haben zum ersten Mal eine Initiative angenommen, die ihren eigenen Interessen dient (wir erinnern uns nur ungern daran, dass wir 2012 gegen mehr Ferien für alle gestimmt haben, im «Interesse der Wirtschaft»). Dass dies als Egoismus abgetan wird, ist erstaunlich, wenn nicht sogar erbärmlich. Notabene von jenen, die an den schamlosen Bereicherungen in den Chefetagen nichts auszusetzen haben.

ERSTAUNEN III: Wieso genau wurden die Bürger­lichen derart von diesem Ja überrascht, so dass sie sich auch Tage danach noch nicht erholt haben? Sie hätten schon vor dem 3. März wissen können, dass sich das neoliberale Versprechen nicht erfüllt, wonach es allen bessergehe, wenn es nur den Reichen gutgeht.

ERSTAUNEN IV: Die NZZ sieht durch das Abstimmungsresultat den «stummen Pakt mit der Wirtschaft aufgelöst, der besagt, dass sich die Bevölkerung mit Forderungen an den Staat zurückhält, solange die Unternehmen ihre soziale Verantwortung übernehmen». Aber dieser Pakt, wenn es ihn denn je gab, wurde doch nicht erst am 3. März aufgelöst, und schon gar nicht von der Bevölkerung!

ERSTAUNEN V: Die Verliererinnen und Verlierer sind überzeugt, die Alten hätten über die Jungen bestimmt. Es war wohl eher die Grösse des Portemonnaies. Zum Beispiel: wuchtiges Nein im Steuerparadies Wollerau SZ, kräftiges Ja im Luzerner Vorort Emmen. Und natürlich ist der Volksentscheid auch ein Zeichen des Vertrauens von Jung und Alt in die AHV. Das muss sich bei der bröckelnden zweiten Säule erst noch zeigen.

ERSTAUNEN VI: Bei den jetzt heiss entbrannten Diskussionen über die Finanzierung kommen den Parteien rechts der Mitte plötzlich die Frauen, Familien und Jungen in den Sinn (wir erinnern uns nur ungern an den kurzen Moment, als die SVP die Rechte der Frauen entdeckte, weil es um die Einführung des Burkaverbots ging). Wo sind diese Par­teien, wenn es um bezahlbare Kita-Plätze geht? Um Löhne, die für Familien zum Leben reichen? Um Stimmrechtsalter 16?

Fakt ist: Der 3. März 2024 wird in die Geschichte eingehen als Tag des grossen Gewerkschaftssieges. Als Tag, an dem die Schweiz Ja sagte zum sozialen Fortschritt für den Mittelstand und für Geringverdienende, für die Jungen, für die Alten und besonders für die Frauen. Denn sie sind nach wie vor jene, die den Löwinnenanteil leisten an unbezahlter Betreuungsarbeit zugunsten von bezahlter Arbeit. Und deshalb umso mehr auf die AHV angewiesen sind.

Erstaunlich, dass dies auch im Jahr 2024 noch so ist. Dass Frauen in der Arbeitswelt noch immer mit Abwertungen und Belästigungen zu kämpfen haben. Und bis in die 1970er Jahre zu Zwangsarbeit genötigt wurden, auch weil alle wegschauten. Der 3. März war ganz besonders für die Frauen ein Freudentag. Aber am 8. März, dem Weltfrauentag, kämpfen wir weiter.

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