Editorial

Totgesagte leben länger

Anne-Sophie Zbinden

Anne-Sophie Zbinden, Chefredaktorin

Sie sind in den Weiten des Internets zurzeit fast nicht zu übersehen, diese schwarzweissen Bilder mit dem Pöstler, der die AHV überreicht, daneben die zufriedenen Gesichter der Rentnerinnen und Rentner. Die Schweiz ist stolz auf die AHV, auf diese wahrlich geniale soziale Institution. Die AHV ist mit ihren 76 Jahren nach wie vor rüstig, fit und munter. Obwohl sie seit fast ebenso vielen Jahren totgesagt wird. Mit den ewiggleichen Argumenten, die work bereits 2017 aufgelistet hat und die bis heute bemüht werden:

FINANZIELLER RUIN: 1947 warnten die Handelskammer und die Arbeitgeberverbände, dass die AHV keine sichere finanzielle Grundlage habe. Die Deckung sei unvollständig. Eine Abgabe von vier Prozent auf die Löhne genüge nicht. Heute warnen die Geg­nerinnen und Gegner der 13. AHV-Rente vor nichts Geringerem als ihrem Untergang. «Die Initiative treibt die AHV in den Ruin», schreibt die FDP. Sie sei ein «Raubzug», so die SVP. Dabei ist die AHV kerngesund. Die Prognosen zu ihrem finanziellen Untergang lagen immer daneben. Und ausserdem: Wo waren diese rechten Stimmen, als es um die Erhöhung des Militärbudgets ging? Wie, bitte schön, soll diese finanziert werden?

AUF DEM BUCKEL DER JUNGEN: Die 13. AHV-Rente verschärfe den Verteilkampf zwischen Jung und Alt, die zusätzliche Rente bedrohe die Kaufkraft der Jungen, vertiefe den Generationen­konflikt – lauter Angstszenarien der Anti-AHV-Propa­ganda. Wie bereits vor über 75 Jahren: «An die Jungen» hiess damals ein anonymes Flugblatt. Es redete den Jungen ein, sie müssten für die Alten bezahlen, ohne selber zu profitieren. Nonsens.

GIESSKANNENPRINZIP: Das am häufigsten verwendete Wort in diesem Abstimmungskampf ist wohl die Giesskanne. Dieses altehrwürdige Gartengerät kommt jedoch zu Unrecht in Verruf. Ohne Wasser kein Leben, so einfach ist das. Klar, auch die Reichen erhalten eine Rente (sie könnten auch verzichten, selbstverständlich). Doch sie zahlen viel mehr ein, als sie bekommen. Das ist der Clou der AHV. Doch Solidarität und Gleichbehandlung im Sozialwerk sahen die AHV-­Feinde von Anfang an als wild um sich sprit­zende «Giess­kanne». Nur hiess sie damals noch nicht so. Man sprach unverhohlen von «Verschleuderung von Geldern». Wenigstens ehrlich.

SOZIALISMUS: Auf einem Flugblatt von 1947 stand, die AHV erniedrige die Menschen zu «wohlgefütterten Staatssklaven». Und sie sei eine Etappe auf dem Weg zum Sozialismus. Die AHV brachte weder Sklaven noch Sozialismus. «Schweiz, wie sozialistisch willst du noch werden?» titelt die NZZ 2024. Und zieht über die «masslose» Initiative der Gewerkschaften her, über das masslose Geldausgeben des Bundes. Bereits die seit Anfang Jahr geltende Er­höhung der Mehrwertsteuer zur Finanzierung der AHV sei nichts anderes als schleichender Sozialismus, denn dieses Geld komme nie mehr zurück. ­

Doch, klar, in Form einer höheren AHV-Rente. Für alle!

Und hier noch aus dem Fundus, liebe Feindinnen und Feinde der AHV, falls euch die Argumente gegen den sozialen Fortschritt ausgehen sollten:

BÜROKRATIEMONSTER: Schon 1947 riefen die AHV-Gegner aus, es gebe eine «kostenverschlingende, aufgeblähte Bürokratie» und einen «Mammutfonds». Dabei ist die erste Säule im Vergleich mit Pensionskasse und Privatvorsorge die mit Abstand günstigste Versicherung.

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