Muss man Mitleid mit Abzocker-Managern haben, weil die mehr in die AHV einzahlen, als sie zurückbekommen? Natürlich nicht! Ausser man schreibt für die Verlage Tamedia und Ringier.
EINES DER «OPFER»: Ja, Roche-Chef Severin Schwan bezahlt mehr in die AHV ein als der Durchschnitt. Muss man mit dem Mann, der einen Jahressalär von 15 Millionen Franken bezog, deshalb Bedauern haben? Nein, sicher nicht. (Foto: Keystone)
Die AHV hat ein geniales Finanzierungssystem. Alle bezahlen den gleichen Prozentsatz ihres Lohnes ein, aber die Höhe der Renten ist gedeckelt. Das verteilt um, von den Reichen zu den Gering- und Normalverdienenden. Und das ärgert die Abzocker-Manager. Und das ärgert Banken und Versicherungen. Denn sie machen mit der AHV – der 1. Säule der Altersvorsorge – keinen Profit. Ganz im Unterschied zur 2. und zur 3. Säule. Allein bei den Pensionskassen zwacken sie am Altersguthaben der Versicherten jedes Jahr Milliarden ab. Die landen dann bei den Managern und beim Aktionariat.
NEUE IDEE
Die grosse Sympathie, die eine 13. AHV-Rente bei den Stimmberechtigten geniesst, macht die Finanzindustrie nervös. Sie wirft Millionen auf, um das Land mit Angstmacherpropaganda und Heuchlervorschlägen zu überziehen. Und jetzt zum Schluss des Abstimmungskampfs wird’s richtig schräg. Gleich bei zwei Zürcher Verlagshäusern fand sie willfährige Schreibende für ihre neuste Idee: Mitleid mit den Abzocker-Managern, die mehr in die AHV einzahlen müssen, als sie später als Rente bekommen. Also den obersten 8 Prozent. Den Anfang machte die «Sonntagszeitung», die aber die neuste Idee der AHV-Gegnerinnen und -Gegner so schnell umsetzte, dass die Zahlen durcheinandergerieten. Das rechnete tags darauf das Online-Medium infosperber.ch genüsslich und genau vor. Bei Ringier liess man sich ein bisschen mehr Zeit. Die mit der Geste der Enthüllung vorgetragene Tatsache: Wer Millionen verdient, finanziert die Renten der Gering- und Normalverdienenden. Also genau, wie es sein soll.
307 MAL, 187 MAL, 44 MAL
Besonders hart getroffen von dieser «gewaltigen Umverteilungsmaschine» (so «Handelszeitung»/«Blick») sei zum Beispiel Severin Schwan. Der war im Jahr 2022 (Stand der Zahlen) Konzernchef des Pharmakonzerns Roche. Er kassierte im letzten Jahr, bevor er in den Verwaltungsrat wechselte, 15 Millionen Franken. Das war 307 Mal so viel, wie die schlechtestbezahlte Roche-Büezerin erhielt. Oder 187 Mal der Medianlohn (die Hälfte verdient mehr, die andere weniger). «Tages-Anzeiger», «Handelszeitung» und blick.ch meinen jetzt, wir sollen Mitleid haben, weil die AHV-Beiträge auf Schwans Bezügen 44 Durchschnittsrenten bezahlen helfen? Bei anderen von den Zürcher Redaktionen angeführten «Opfern» der AHV sehen die Zahlen ähnlich aus, wie die Lohnschere-Studie der Unia Jahr für Jahr belegt.
Seit 2005 untersuchen die Expertinnen und Experten der Unia die Lohnschere in grossen Schweizer Unternehmen. Für die Ausgabe 2023 (Geschäftsjahr 2022) waren es 37 Firmen, 34 davon an der Schweizer Börse Six kotiert. Das entspricht rund einem Sechstel aller börsenkotierten Unternehmen in der Schweiz. Die Ergebnisse sind repräsentativ. Im Schnitt betrug die Lohnschere 1:139. Bei den zehn Unternehmen mit der grössten Lohnschere hat sich diese weiter geöffnet. Die Ausschüttungen an die Aktionärinnen und Aktionäre erreichen beinahe die Höhe des Rekordjahres 2021. Gesunken sind dagegen die Tieflöhne. Nominal stiegen sie zwar um knapp 1 Prozent. Doch bei einer Jahresteuerung von 2,8 Prozent entspricht das einem Reallohnverlust von 1,9 Prozent.
AHV x 13 GEGEN KAUFKRAFTVERLUST
Der Kaufkraftverlust in der Schweiz trifft Werktätige und Pensionierte. Für die Rentnerinnen und Rentner ist die Lage besonders dramatisch bis weit in die Mittelschicht hinein. Denn weil die Pensionskassenrenten seit Jahren sinken und die bestehenden nicht an die Teuerung angepasst werden, haben in den letzten zwei Jahren Teuerung und gestiegene Krankenkassenprämien eine ganze Monatsrente weggefressen.
Eine 13. AHV-Rente würde diesen Verlust ausgleichen helfen. Die Sensation ist möglich. Aber es geht um jede Stimme bis zum 3. März.