Public Eye warnt vor Steuergeschenk für die Rohstoffbranche

Tausende Schiffe, von denen (fast) niemand weiss

Christian Egg

Die irre Tonnage-Steuer würde viel mehr kosten als bisher angenommen. Denn jetzt kommt ans Licht: Die Schweizer Rohstoffkonzerne betreiben gewaltige Hochseeflotten. Ideal, um tonnenweise Steuern zu sparen.

PROFITEURE: Grose Reedereien mit Sitz in der Schweiz, wie etwa die MSC, hoffen auf das Steuergeschenk der Bürgerlichen. (Foto: Keystone)

Ausgerechnet das Alpenland Schweiz wird auf hoher See ein immer grösserer Player. Auf der Tonnage-Rangliste der betriebenen Schiffe belegt die Schweiz den achten Platz weltweit, noch vor Deutschland. Dies, weil viele grosse Reedereien ihren Sitz hierher verlegt haben. Darunter die MSC, weltweite Nummer eins im Container-Geschäft.

Doch wie viele Schiffe werden von Schweizer Firmen kreuz und quer durch die Weltmeere geschickt? Bisher kursierten darüber nur Schätzungen, offizielle Zahlen erhebt die Schweiz nicht. Mag sein, dass die Antwort lange nur ein paar Möchtegernseebären und Statistikfans interessiert hat. Jetzt aber wird sie wichtig, denn Bundesrat und Bürgerliche wollen ein irres Steuerprivileg einführen: die Tonnage-Steuer. Schifffahrtsunternehmen sollen nicht mehr ihren Gewinn versteuern, wie dies alle Firmen tun, sondern die Kapazität ihrer Schiffe. Dadurch würden sie nur noch einen Bruchteil der regulären Steuern zahlen, wie das Beispiel der dänischen Reederei Maersk zeigt. Statt des ordentlichen Gewinnsteuersatzes von 22 Prozent musste diese 2021 per Tonnage-Steuer nur noch 4 Prozent des Gewinns an den Staat abliefern.

DER BUNDESRAT WEISS VON NICHTS

Am 19. Februar diskutiert die Wirtschaftskommission des Ständerats die Steuererleichterung. Der Nationalrat hat ihr Ende 2022 bereits zugestimmt, dank einer Mehrheit aus SVP, FDP und Mitte. Obwohl der damalige Finanzminister Ueli Maurer (SVP) die Antwort schuldig blieb, wie viel Steuerertrag durch den Systemwechsel verloren ginge. Es liegt auf der Hand: Je mehr Schiffe die Schweizer Firmen selber betreiben, desto mehr profitieren sie von der Tonnage-Steuer. In der Debatte gab Maurer an, die Schweizer Firmen kontrollierten etwa 900 Seeschiffe. Dieselbe Zahl findet sich in der «Maritimen Strategie», die der Bundesrat letzten Sommer veröffentlicht hat.

Eine Recherche der Organisation Public Eye weist jetzt nach: Sie ist weit höher. Schweizer Firmen verfügen nicht über 900 Schiffe, sondern über mindestens 3600. Und nur etwas mehr als ein Drittel davon steht unter der Kontrolle der Reedereien. Der Grossteil, rund 2200 Tanker und Frachtschiffe, wird von Rohstofffirmen wie Glencore oder Trafigura betrieben.

EINE SKANDALBRANCHE

Da ist etwa die Cargill International mit Sitz in Genf. Sie handelt vor allem mit Getreide und Futtermittel und verfügt über 650 Hochseeschiffe – das ist die grösste Flotte unter den Schweizer Rohstoffhändlern. Das Mutterhaus Cargill, ein Multi mit starkem US-Bezug, geriet vor einigen Jahren in die Kritik, es fördere mit dem Kauf von Sojabohnen in Bolivien die Zerstörung des tropischen Regenwaldes. Die Umweltorganisation Mighty Earth nennt Cargill «das schlimmste Unternehmen der Welt».

Immerhin 250 Schiffe hat der Rohstoffkonzern Vitol, ebenfalls mit Sitz in Genf. Gemessen am Umsatz, ist die wenig bekannte Vitol seit ein paar Jahren die grösste Firma der Schweiz: Sagenhafte 468 Milliarden Franken beträgt der letzte bekannte Jahresumsatz. Das ist fünfmal mehr, als der Nestlé-Konzern umsetzt, und fast 15mal so viel wie bei der Migros. Vitol handelt allerdings nicht mit Nahrungsmitteln: Der Konzern ist nicht weniger als der grösste Erdölhändler der Welt. Er geriet in die Kritik, weil er nach Russlands Annexion der Krim 2014 trotz Sanktionen weiter mit russischem Öl und Gas handelte sowie Milliarden in Russland investierte.

Zwei Beispiele von unzähligen fragwürdigen Geschäften der Schweizer Rohstofffirmen – die überdies an der Krise der Energie- und Rohstoffpreise Milliarden verdient haben. Dank ihren Hochseeflotten würden genau diese Firmen am meisten von der Tonnage-Steuer profitieren. Oder wie es Public Eye formuliert: «Anstatt einer Kriegsgewinnsteuer für die hochprofitable Rohstoffbranche soll es nun Subventionen für diesen Skandalsektor geben.»

Liebe Ständerätinnen und Ständeräte, bitte überlegt genau, was ihr da tut.


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