Klimakrise: Lena Bühler (20) und Eric Ducrey (47) im grossen work-Interview über Klima, Kleber und Kohle

«Wir brauchen ein neues Verständnis von Radikalität»

Anne-Sophie Zbinden und Iwan Schauwecker

Von der Gotthard-Autobahn bis zum Golfplatz von Crans-Montana, vom Wankdorf­stadion bis zum Bundesplatz: das ist der Aktions­radius ­von Klimaaktivistin Lena Bühler und von Eric Ducrey, «Renovate»-Mitglied und Ex-Baubüezer.

EIN GENERATIONENPROJEKT: Die 20jährige Lena Bühler und den 47jährigen Eric Ducrey eint die brennende Sorge um die Zukunft des Planeten. (Fotos: Isabelle Haklar)

work: Eric Ducrey, wir treffen Sie, kurz nachdem Sie sich ans Loch 18 auf dem Golfplatz in Crans-Montana geklebt haben. Was war das Ziel dieser Aktion?

Eric Ducrey: Ich bin in Crans-Montana aufgewachsen, als Jugendlicher habe ich auf dem Golfplatz als Caddy gearbeitet. Doch bei der Aktion ging es um etwas anderes: «Renovate Switzerland» fordert die Ausrufung des Klimanotstandes und eine bessere Sanierung aller Gebäude in der Schweiz. Damit wären die Häuser im Sommer kühler, wir könnten die Heizkosten halbieren und 15 Prozent der Emissionen im Inland einsparen.

«Wir werden trotz Repressionen weitermachen – denn wir haben keine andere Wahl.»

War die Aktion ein Erfolg?

Eric Ducrey: Bei all unseren Aktionen wollen wir Aufmerksamkeit und ein Bewusstsein für die Klimakrise schaffen. Wir hatten in Crans-Montana ein gutes Medienecho. Die Gesellschaft kann unser Anliegen nicht länger ignorieren. Obwohl in der Sportpresse leider wenig über unsere inhalt­lichen Anliegen zu lesen war.

Lena Bühler, lange vor den Klebeaktionen ­waren Sie Klimaflitzerin am Cupfinal im ­Berner Wankdorfstadion. Setzen Sie heute noch auf zivilen Ungehorsam?

Lena Bühler: Ich finde es sehr wichtig, dass wir diese verschiedenen Formen von Aktivismus haben. Wir brauchen die Demos zur Sichtbarkeit der Breite der Bewegung und für die politische Veränderung. Die Aktionen des zivilen Ungehorsams sind ein Zeichen dafür, dass wir in einer Notlage sind. Aber mir ist es wichtig, dass wir nicht nur auf diese spektakulären Aktionen schauen. Wir brauchen ein neues Verständnis von Radikalität: Es kann auch sehr radikal sein, bei der Arbeit oder in einer Schule eine Klimagruppe zu gründen. Bei Aktionen des zivilen Ungehorsams finde ich es wichtig, dass sie direkt auf die Emissionsquellen wie Kohle, Öl und Gas abzielen.

Eric Ducrey, Sie waren auch bei der Gotthard-Blockade an Ostern dabei. Viele Autofahrer und Autofahrerinnen waren ausser sich. Wieso setzten Sie sich dieser Wut aus?

Eric Ducrey: Unsere Aktion am Gotthard fand weltweites Echo, sogar in Australien gab es Zeitungsberichte. Wir setzen uns der Wut der Menschen aus. Und den Medien, die berichten, dass wir alle verärgerten. Aber sie schreiben auch über unsere Gründe und Forderungen. Und auch viele Urnerinnen und Urner fanden unsere Aktion gut. Was mich besonders motiviert, ist mein Sohn. Die Generation der jungen Menschen wie Lena. Wir müssen die Verfassung endlich respektieren: Wir haben die Pflicht, den kommenden Generationen eine Welt zu hinterlassen, in der Leben möglich ist.

SVP-Nationalrat Mike Egger bezeichnete Sie nach der Gotthard-Aktion als Terroristen. Sind Sie ein Terrorist?

Eric Ducrey: Nein, ich bin kein Terrorist, denn ein Terrorist ist gewalttätig. Im Gegenteil: Michel Forst, UN-Sonderberichterstatter für Umweltschützende, betont, dass die zunehmende staatliche Gewalt gegen Klimaaktivistinnen und -aktivisten ein Problem sei. In der Schweiz leben wir im Vergleich zu anderen Ländern zum Glück noch relativ sicher. Aber es kann sich mit einem solchen Diskurs schnell ändern. Wir werden aber trotz Repression weitermachen – denn wir haben keine andere Wahl.

«Bei der jetzigen Ungleichheit müssen ganz viele Menschen ganz grosse Abstriche machen.»

Rechte Parteien behaupten, die Schweiz stehe international punkto Klimaschutz mustergültig da und könne als kleines Land ohnehin nicht viel bewirken …

Lena Bühler: Ganz im Gegenteil. Die Schweiz spielt international eine zentrale Rolle als Finanz- und Rohstoffhandelsplatz. Wenn Schweizer Banken in fossile Konzerne wie Total Energie investieren, verursacht das enorme Schäden. Deshalb müssen wir diese Branchen regulieren. Und dann braucht es im Inland natürlich auch deshalb Veränderungen, weil wir hier im globalen Schnitt immer noch weit über den Verhältnissen leben.

Eric Ducrey: Unser Energiehunger ist grenzenlos. Wir importieren extrem viel. Warum braucht China so viel Kohle für seine Industrie? Weil die ganze Welt Produkte aus China kauft, auch in der Schweiz. Wir Schweizerinnen und Schweizer tragen eine enorme Verantwortung. Und diese Verantwortung übernehme ich heute, in dem ich zivilen Widerstand leiste.

Lena Bühler, Sie sind seit über fünf Jahren in der Klimabewegung aktiv. Was hat sich in dieser Zeit verändert?

Lena Bühler: Die Systemfrage ist in den Vordergrund gerückt. Ich selbst nehme die Klimakrise und ihre Ursachen viel stärker systemisch wahr. Wir müssen die planetaren Grenzen akzeptieren und dabei auch die Verteilungsfrage stellen. Wenn Ressourcen gerecht verteilt sind, reichen sie für ein gutes Leben für alle. Aber bei der jetzigen Ungleichheit müssen ganz viele Menschen grosse Abstriche machen. Und ich musste lernen, dass die fossile Lobby sehr, sehr stark ist und wir deshalb eine massive Gegenbewegung brauchen.

Rekordhitze und Rekordüberschwemmungen wechseln sich in diesem Sommer ab. Immer mehr Menschen spüren die Klimakrise am eigenen Körper. Zum Beispiel auf dem Bau.

Eric Ducrey: Es ist heftig! In den Baugruben haben wir manchmal über 50 Grad gemessen. Die Arbeiter sind draussen und arbeiten oft an Orten, wo es wenig Schatten hat. Das ist unmenschlich.

Momentan wird alles teurer, besonders auch die Energiepreise. Noch höhere Kosten ­können viele Haushalte nicht mehr ­stemmen, manche fürchten gar um ihren Job. Was ­sagen Sie diesen Menschen?

Eric Ducrey: Die Wärmedämmung von Gebäuden wird sehr viel Arbeit generieren: beim Gerüstbau, bei den Gipserinnen, bei den Malern. Die Politik muss sicherstellen, dass die Menschen eine Arbeit haben, die ihnen ein gutes Leben ermöglicht, das heisst mehr Lebensqualität, mehr Zeit. Zum Beispiel auf dem Bau sind die Arbeitstage sehr lang. Deswegen sind die Bauarbeiter auf ein Auto angewiesen. Sie mögen ihre Arbeit, aber die Politik und die Gewerkschaften müssten die Voraussetzungen schaffen, dass die Arbeiter auf verantwortungsvolle Weise leben können. Deshalb ist die Reduktion der Arbeitszeit und der Arbeitswege auch wichtig.

Lena Bühler: Wenn man bequeme Arbeitsbedingungen hat und viel an der Zerstörung des Klimas verdient, hingegen die Jobs für die Energiewende schlecht bezahlt und diese unattraktiv sind, dann klappt die Klimawende natürlich nicht. Das müsste ja genau umgekehrt sein. Da haben wir als Klimabewegung und Gewerkschaften ein gemeinsames Aktionsfeld.

Was erwarten Sie von den Gewerkschaften?

Lena Bühler: Die Arbeitszeitverkürzung ist eine sehr gute Schnittstelle für feministische Anliegen, für soziale Anliegen, aber auch für den Klimaschutz. Die Gewerkschaften tragen eine Verantwortung und müssen sich konsequent für Klimagerechtigkeit einsetzen, auch weil sie andere Zielgruppen erreichen. Alle müssen über sich hin­auswachsen, aus der Komfortzone raus und mutig sein. Das trifft auf Organisationen und auch auf Einzelpersonen zu.

Eric Ducrey: Dass sich die Gewerkschaften mit der Klimakrise auseinandersetzen und mit uns zivilen Widerstand leisten – für den Schutz der Arbeiterinnen und Arbeiter.

ERIC DUCREY (47) lebt mit seinem 16jährigen Sohn seit kurzem im Wallis. Er ist Vollzeit engagiert bei «Renovate Switzerland». Zuvor hat er zwei Jahre für die Gewerkschaft Unia und während zehn Jahren als Bauarbeiter im Kanton Freiburg gearbeitet. Er ist Unia-Mitglied und Mitglied der Grünen Partei.

LENA BÜHLER (20) studiert Rechtswissenschaften in Freiburg und organisiert für die Klimaallianz die nationale Klimademo vom 30. September in Bern. Sie ist seit 2019 bei «Klimastreik Schweiz» involviert und hat am Klimaaktionsplan und «Strike For Future» mitgewirkt.

Gibt es noch weitere Schnittpunkte?

Lena Bühler: Zum Beispiel die Arbeitsplätze, die verloren gehen, in der Flugbranche, in der Stahl- oder auch Zementproduktion. Da fordern wir bezahlte Umschulungen, so dass diese Menschen in zukunftsfähigen Branchen arbeiten können.

Was haben Sie an der nationalen Klimademo am 30. September vor?

Lena Bühler: Ich freue mich, Menschen aus der ganzen Schweiz an der Demo zu treffen. Sie kommen mit dem Zug, dem Velo oder auch zu Fuss nach Bern.

Eric Ducrey, werden Sie auch in Bern sein?

Eric Ducrey: Ja, sicher!

Mit oder ohne Kleber?

Eric Ducrey: (lacht) Ohne Kleber!


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