SGB-Chef Pierre-Yves Maillard zur Rentenpolitik von SVP, FDP, GLP und Mitte

«Sie wollen schlicht keine Solidarität!»

Clemens Studer

Pierre-Yves Maillard hat als SGB-Chef und SP-Nationalrat die Debatte um die BVG-Revision geprägt. Im work-Interview erklärt er, wie die Bürgerlichen aus einer halbwegs sozialverträglichen Revisionsvorlage eine milliardenteure Abbauvorlage gezimmert haben. Und warum.

PIERRE-YVES MAILLARD: «Banken und Versicherungen machen mit unseren Altersguthaben ernome Profite.» (Foto: Marco Zanoni)

work: Pierre-Yves Maillard, statt wenigstens die grössten Fehlentwicklungen im BVG zu korrigieren, hat die Mehrheit des Parlaments eine Vorlage verabschiedet, bei der alle mehr bezahlen und weniger erhalten. Wie ist es so weit gekommen?

Pierre-Yves Maillard: Auf den Punkt gebracht: SVP, FDP, GLP und Mitte haben dem Kompromiss der Gewerkschaften und der Arbeitgeber, den der Bundesrat zu seiner Vorlage gemacht hat, den Kern rausoperiert. Sie haben die Umlage- und Solidaritätskomponente eliminiert. Nun stehen wir vor einer Senkung der Renten und einer Erhöhung der Beiträge. Das ist inakzeptabel.

BVG-Fakten

work hat die BVG-Revision von Anfang an journalistisch begleitet und aufgearbeitet. Vertiefte Informationen und noch mehr Zahlen gibt es hier: workzeitung.ch/bvg-revision.

Was heisst das konkret?

Wir haben die Senkung des Umwandlungssatzes im BVG-Obligatorium immer für falsch gehalten. Aber wir haben mit den Arbeitgebern einen Kompromiss ausgehandelt. Dieser hätte ein bisschen Solidarität in der zweiten Säule eingeführt. Er hätte die Senkung des Umwandlungssatzes im Obligatorium ausgeglichen und kleine Renten sofort verbessert. Finanziert worden wäre dies durch
0,5 Prozent der Lohnsumme bis zu einem Jahreslohn von 860 000 Franken. Das haben SVP, FDP, GLP und Mitte bekämpft. Für sie ist undenkbar, dass die Reichen ein bisschen mehr bezahlen. Ihr Prinzip lautet: «Alle zahlen, nur die Reichen nicht!» Sie wollen keine Solidarität. So einfach ist das.

Bisher griffen die Rechten «nur» die AHV an. Jetzt scheinen sie auch die zweite Säule ins Visier zu nehmen. Was ist da geschehen?

Für Banken und Versicherungen und die Wirtschaftsverbände war die AHV schon immer des Teufels. Darum haben sie schon immer versucht, sie zu schwächen. Jetzt gehen sie einen Schritt weiter und schwächen auch die Pensionskassen. Der Grund ist einfach: Mit der privaten dritten Säule können sie noch mehr verdienen. Mit ihrem Fundamentalwiderstand, in der zweiten Säule einen Solidaritätsanteil einzuführen, wollen SVP, FDP, GLP, und Mitte die Gewinnspannen der Finanz­industrie sichern.

Aber das BVG ist doch für die Finanzindus­trie bereits heute eine Milliardengeschäft.

Ja, und das wird es bei einer Annahme der vorliegenden Vorlage auch weiterhin bleiben. Banken und Versicherungen machen mit unseren Altersguthaben enorme Profite. Jährlich sollen jetzt noch weitere 2,2 Milliarden Franken an Lohnbeiträgen in das System fliessen. Und das – man kann es nicht genug betonen – für schlechtere Renten. Die Rechte versucht also, die BVG-Leistungen weiter zu schwächen, die Menschen sollen Dritte-Säule-Produkte erwerben.

Was bedeutet das für die Lohnabhängigen?

SGB-Expertinnen haben schon 2021 die gesamten Beiträge an die AHV verglichen mit den Summen, die Lohnabhängige in einen Fonds der privaten Vorsorge einbezahlen müssten, um die gleiche Rente wie in der AHV zu erhalten. Resultat: 90 Prozent der Bevölkerung haben dank der AHV viel mehr Geld zum Leben als bei einer privaten Vorsorge. Weil ein Franken für die AHV mehr Rente generiert als ein Franken für die private Vorsorge. Konkretes Beispiel: Ein Ehepaar mit zwei Kindern, er Lagerist, sie Fachfrau Gesundheit, müsste während seines Arbeitslebens jeden Monat zusätzlich 1006 Franken einzahlen, um eine Rente aus einem privaten Fonds in AHV-Höhe zu erhalten (Preise 2020). Solche Beiträge sind für Normalverdienende illusorisch. Erst recht in Zeiten steigender Inflation, steigender Wohnkosten und steigenden Krankenkassen­prämien.

Die rechten Parteien behaupten, die Gewerkschaften würden die Menschen unnötig verunsichern und die Rentensenkungen übertreiben, schliesslich seien «nur» 15 Prozent der Arbeitnehmenden ausschliesslich im BVG-Obligatorium versichert.

Gegenfrage: Wenn diese Reform keine Auswirkungen hat, warum wollen die Bürgerlichen sie denn machen? Die Senkung des Umwandlungssatzes soll laut ihren Aussagen den ungerechtfertigten Transfer von den Erwerbstätigen zu den Rentnerinnen und Rentnern stoppen. Die bürgerlichen Parteien schätzen diesen selber auf mehrere Milliarden. Das zeigt doch, dass die Senkung des Umwandlungssatzes massive Auswirkungen auf die Renten haben wird. Die Hälfte des Kapitals der Pensionskassen stammt aus dem obligatorischen Teil des BVG. Darum sind alle Versicherten von dieser Reform be­troffen.

Nach der BVG-Reform werden wir im März 2024 auch über die gewerkschaftliche Initiative für eine 13. AHV-Rente abstimmen.

Das werden spannende Abstimmungstage – und ganz entscheidende für das Leben der Mehrheit der Menschen in diesem Land! Es wird darum gehen, ob alle, die ein Leben lang hart gearbeitet haben, auch im Alter ein Leben in Würde führen können. Oder ob ein gutes Leben im Alter noch mehr zum Privileg der oberen Zehntausend wird, die dank Abzockerlöhnen und steuerfreien Millionenerbschaften frühzeitig in Rente gehen können.

BVG-Referendum: Jetzt gleich unterschreiben!

Seit dem 31. März sammeln Gewerkschaften und fortschrittliche Parteien Unterschriften gegen den BVG-Rentenabbau. Dieser work-Ausgabe liegt ein Unterschriftenbogen bei. Am besten gleich unterzeichnen und auch noch Familie, Freundinnen und Nachbarn unterschreiben lassen. Und ab die Post. Unterschreiben können Sie übrigens auch unter diesem Link: rebrand.ly/rentenabbau-nein


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