1x1 der Wirtschaft

Arbeitszeit: sie muss kürzer werden, nicht länger

Daniel Lampart

In jüngerer Zeit sind die Arbeitnehmenden und die Arbeitsbedingungen immer wieder politischen Angriffen ausgesetzt. Mit ­Parlamentsvorstössen versuchen die Arbeitgeberkreise, die Erholungs- und Ruhezeiten im Arbeitsgesetz zu verkürzen. Sie wollen Nacht- und Sonntagsarbeit ausweiten – neuerdings auch mit dem Vorwand der Energiemangellage.

ZUNEHMENDER DRUCK. Tatsächlich müsste es aber in die Gegenrichtung gehen. Denn die Lage der Arbeitnehmenden gibt immer mehr Anlass zur Sorge. Das geben selbst die Arbeitgeber zu. Knapp 30 Prozent der Schweizer Firmen sagten im Rahmen der Esener-Umfrage, dass bei ihnen lange und irreguläre Arbeitszeiten ein Gesundheitsrisiko seien. Tendenz steigend. Und rund 60 Prozent der Firmen machen sich Sorgen über den Zeitdruck bei ihren Mitarbeitenden. Viele Berufstätige reduzieren deswegen nämlich ihr Arbeitspensum – sofern sie es sich finanziell leisten können. Ein anderer, wichtiger Grund für Teilzeitarbeit sind Kinder oder andere Betreuungspflichten. Eine Vollzeitstelle zu haben ist in der Schweiz für viele Berufstätige mit Betreuungsaufgaben schlicht nicht möglich angesichts der hohen Arbeitszeiten und der ungenügenden finan­ziellen Unterstützung von Kita-Plätzen.

UNFREIWILLIGE TEILZEIT. In den letzten 30 Jahren haben sich die Arbeitgeber kaum mehr an der Arbeitszeitverkürzung beteiligt. Bis 1990 reduzierten sie die betriebsübliche Arbeitszeit alle zehn Jahre um eine bis zwei Stunden – und zwar bei gleichem Lohn. Seither müssen die Arbeitenden die Arbeitszeitverkürzungen selber bezahlen – mit Teilzeit und weniger Lohn. Von 1991 bis 2020 ist die Teilzeitarbeit von 25 auf 37 Prozent gestiegen. Bei den Männern hat sich der Anteil sogar verdoppelt. Arbeitgeberkreise argumentieren, dass die Verkürzung der Erholungs- und Ruhezeiten im ­Arbeitsgesetz – oder anders gesagt: die Verlängerung der Arbeitszeiten – die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erleichtern würde. Indem Eltern beispielsweise nach einem strengen Tag erneut am Computer arbeiten, wenn die Kinder endlich im Bett sind. Eine ziemlich weltfremde Vorstellung angesichts der strengen 70-Stunden-Wochen, die Eltern von Kindern bis zu 14 Jahren heute leisten. Die meisten Eltern sind froh, wenn sie endlich einmal eine Stunde für sich haben.

Daniel Lampart ist Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds (SGB).

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