Die Fussball-Weltmeisterschaft in Katar: Im Land der extremen Gegensätze

Hinter der glitzernden Skyline von Doha liegen Ausbeutung und Tod

Oliver Fahrni

Mit der Fussball-WM will sich Katar einen Platz auf der Weltkarte erobern. Ein pharaonisches Projekt. Rund 2,7 Millionen Arbeitsmigrantinnen und -migranten bezahlen dafür mit Ausbeutung. Und manche sogar mit dem Leben.

PRUNK-BAUTEN. Die glitzernde Skyline von Doha. Alles gebaut von Arbeitsmigrantinnen und -migranten. (Foto: Getty)

Der Nabel der Welt ist dieser Tage ein Stück arabische Wüste am Persischen Golf, kaum grösser als Korsika. Neun Beduinenstämme siedeln auf der Halbinsel von Katar, 290’000 Seelen, dirigiert durch den Clan der Al Thani. Und bedient von 2,7 Millionen asiatischen, afrikanischen und europäischen Arbeitenden, die das Land bauen, am Laufen halten und verteidigen.

Politisch ist Katar längst ein wichtiger Akteur. Ein widersprüchliches Land. Als Autokratie, in der Gewerkschaften und Parteien verboten sind, Frauen Bürgerinnen zweiter Klasse bleiben und Homosexualität als Verbrechen gilt (siehe Text links unten), war Katar 2011 die lauteste Fürsprecherin des Arabischen Frühlings. Vorab über seinen Nachrichtensender al-Jazeera, der die Diktaturen und die westlichen Interventionen hart anpackte. Was die Dauerfeindschaft mit dem grossen Nachbarn Saudiarabien und mit den Vereinigten Arabischen Emiraten (die Katar 1971 gerne geschluckt hätten) befeuerte. Kein Zufall, ermordete die israelische Armee im Mai 2022 al-Jazeera-Starjournalistin Shireen Abu Akleh.

Sämtliche Lieblingsschurken der USA – die afghanischen Taliban, Palästinas Hamas oder die Muslimbrüder – fanden in Doha offene Türen. Mit Iran teilt sich Katar das riesige Gasvorkommen «North Field» im Persischen Golf. Gleichzeitig aber beherbergt Katar die riesige US-Militärbasis al-Udeid, von wo aus die USA ihre Kriege im Nahen und Mittleren Osten führen.

Die ganze Last der Ökonomie liegt auf den importierten Arbeitenden.

BEDUINEN-MONARCHIE

Wie die Familienmonarchie intern genau funktioniert, ist schwer zu ermitteln. Sichtbar ist: Muss das Regime seine Politik ändern, wechselt es seine Emire aus. Unblutig putschte Prinz Hamad Al Thani 1995 seinen Cousin, Emir Khalifa Al Thani, weg. 2013, als saudisches Geld den Arabischen Frühling erstickt hatte, überliess Hamad die Macht Tamim Al Thani, einem seiner 23 Kinder.

Der heutige Staatschef wurde in der britischen Militärakademie Sandhurst gedrillt. Von seinen Mitbürgerinnen und Mitbürgern hat er wenig zu befürchten. Opposition ist untersagt. Alle sind vollversorgt, Ausbildung, Wohnung, Medizin usw. sind gratis. Reichlich Hauspersonal aus Asien und Afrika besorgt die täglichen Verrichtungen. Die ganze Last der Ökonomie liegt auf den importierten Arbeitenden aus Nepal, Bangladesh, dem Sudan, den Philippinen …

UNTER DER WÜSTENSONNE: Hunderttausende Arbeitsmigranten bauen Katars goldene Zukunft. Im Sommer bei höllischen Temparaturen. (Foto: Keystone)

Staatschef Tamim Al Thani beschleunigte die Bauorgie für die Fussballweltmeisterschaft . Heute ist Dohas Skyline eine futuristische Sammlung wildester Architektenträume. Ein Eldorado für westliche Baukonzerne, Designer, Planer, IT-Leute. Neue Städte schiessen aus dem Boden, etwa um das neue Lusail-Stadion (80’000 Plätze), wo das Endspiel der WM angesagt ist. Wer die «Golden Class» der modernsten selbstfahrenden Metro der Welt benutzt, sitzt auf feinem Leder. Die Metro hat vier Klassen.

EDELTOURISMUS

Für die globale Aufmerksamkeit und ihre Zukunft als Edeltourismus-Destination investieren die Katarer zwischen 150 und 220 Milliarden Dollar. Nicht sicher, ob sich das rechnet. Internationale Gewerkschaften, die Uno-Organisation für Arbeit (ILO) und Menschenrechtsorganisationen interessieren sich für die vielen Toten auf den Baustellen, die Arbeitsbedingungen des Hauspersonals und die Grundrechte. Sie haben fürchterliche Missbräuche und Diskriminierungen aufgedeckt, teilweise sogar Formen von Zwangsarbeit («moderne Sklaverei», ILO).

Auf die massive Kritik reagierte das Emirat mit neuen Arbeitsgesetzen. Die Bedingungen auf den Stadionbaustellen wurden verbessert, das menschenunwürdige Kafala-System 2020 offiziell abgeschafft (work berichtete: rebrand.ly/erste-schritte).

Staatschef Al Thani behauptet, es sei nur zu 3 tödlichen Arbeitsunfällen gekommen. Selbst vorsichtige Schätzungen melden 5000 Tote im landesweiten Infrastrukturbau seit der WM-Vergabe. Und ob Katar nach der WM bereit ist, die Arbeitsbedingungen der 2,7 Millionen Migrantinnen und Migranten tatsächlich zu verbessern und etwa Gewerkschaften zuzulassen, hängt wohl vom internationalen Druck nach dem Schlusspfiff ab.


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