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Generalstreik in Belgien: Rien ne va plus!

Andreas Rieger

Andreas Rieger

Nichts geht mehr! Am 9. November legt ein Generalstreik in Belgien einen Grossteil der Wirtschaft lahm. Der öffentliche Verkehr steht still, ebenso die Häfen. Streikposten stehen vor Shoppingcentern, wo ausser den Chefs niemand arbeitet. Industrieunternehmen wie Arcelor Mittal sind blockiert. In den Spitälern garantieren die Pflegenden nur noch einen Minimaldienst.

Die Streikenden fordern einen Preisdeckel für Energie.

PREIS-EXPLOSIONEN. Die Gewerkschaften griffen zu ihrem stärksten Hebel – dem Generalstreik – wegen des galoppierenden Kaufkraftverlusts. Der Index der Preisentwicklung steht in Belgien bei 12 Prozent. Aber darin spiegeln sich explodierende Energiepreise nur zum Teil. Für kleine Einkommen verteuern sich Gas, Strom und Heizung überproportional. Deshalb verlangen die Gewerkschaften einen Preisdeckel für Energie. Und eine Sondersteuer für die Profiteure der Energiekrise.

Schon längere Zeit verlieren die Löhne in Belgien an Wert. Zwar gibt es einen allgemeinen Teuerungsausgleich. Aber dieser hinkt der Inflation hinterher. Die Regierung will den Ausgleich jetzt gar aussetzen, da es sich um «ausserordentliche» Teuerung handle. Schlimmer noch: Die belgischen Löhne sind seit Jahren zurückgeblieben, denn ein Knebelgesetz deckelt seit 2009 die Reallohnerhöhungen. Deshalb mussten die Belgierinnen und Belgier in den letzten Jahren Reallohnverluste hinnehmen, während in den Nachbarländern die Löhne leicht stiegen. Dagegen kämpfen die Gewerkschaften mit dem Generalstreik an.

HERVORRAGEND. Es ist ein seltenes Ereignis in Europa. Nur in wenigen Ländern sind die Gewerkschaften in der Lage, einen branchenübergreifenden Streik in die Tat umzusetzen. Denn dazu braucht es Abertausende Vertrauensleute, welche die Aktion in den Betrieben vorbereiten und am Streiktag vor den Unternehmenstoren stehen. Neben Italien und Spanien sind die Belgierinnen und Belgier fast die einzigen, die das schaffen.

Belgiens Gewerkschaften gehören zu den bestorganisierten: Jede zweite Beschäftigte ist Mitglied – bei uns nur jeder sechste. Zwei grosse Gewerkschaftsbünde, die sozialistische Fédération Générale du Travail de Belgique (FGTB) und die Confédération des Syndicats Chrétiens (CSC) wetteifern um Mitglieder. Beide sind von Frauen geführt. Statt gegeneinander kämpfen sie meist miteinander. So wie am 9. November.

Andreas Rieger war Co-Präsident der Unia. Er ist in der europäischen Gewerkschafts­bewegung aktiv.

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