Ein Jahr nach der Frauensession: Es geht vorwärts – aber langsam

Darum braucht’s einen neuen Streik

Anne-Sophie Zbinden

23 Forderungen haben die Teilnehmerinnen der Frauensession ans Parlament gestellt. Ein Jahr später sind viele auf Erfolgskurs – aber an den Arbeitsplätzen und im Alltag der Frauen noch lange nicht angekommen.

ZIEHT BILANZ: Emine Sariaslan (Foto: Franziska Scheidegger)

Im Oktober 2021 taten Frauen zwei Tage lang das, was Männer im Parlament zuvor 123 Jahre lang getan hatten: Sie blieben unter sich. Und das sehr effi­zient: Die Frauensession hat 77 Geschäfte beraten und insgesamt 23 Petitionen verabschiedet. Davon wurden 5 bereits im National- und im Ständerat angenommen, weitere 6 in den Kom­missionen oder in einem der beiden Räte.

 «Jeder Schritt, den wir vorwärts gehen, macht Mut.»

NUR JA HEISST JA!

Zum Beispiel muss der Bund künftig regelmässig schweizweite Präventionskampagnen gegen häusliche, sexuelle und geschlechtsbezogene Gewalt durchführen. Zudem hat sich die Rechtskommission des Na­tionalrates bei der Revision des Sexualstrafrechts für die auch von der Frauensession geforderte «Nur Ja heisst Ja»-Regelung ausgesprochen. Und auch in der Medizin soll’s vorwärts­gehen: Der Nationalrat will mehr Gendermedizin-Forschung. Damit sollen Wissenslücken geschlossen werden, die Ärztinnen und Ärzte bei der Frauengesundheit noch immer haben. Sozialarbeiterin Emine Sariaslan (58) war an der Frauensession dabei (work berichtete).

Ein Jahr danach zieht sie eine durchmischte Bilanz: «Wir konnten unsere Anliegen einbringen. Aber die Verbesserungen sind noch nicht an den Arbeitsplätzen und im Alltag der Frauen angekommen.» Und schon während der Frauensession habe sich abgezeichnet: Bürgerliche Politik ist nicht unbedingt Frauenpolitik. «Das hat das enttäuschende Resultat der Abstimmung über die Erhöhung des Frauenrentenalters bestätigt.» Auch enttäuschend: Mit nur einer Stimme Differenz hat der Ständerat entschieden, dass Angestellte in Privathaushalten nicht unter das Arbeitsgesetz fallen sollen. Gewerkschafterin Sariaslan: «Diese wichtige Arbeit leisten meist Frauen unter prekären Bedingungen. Die Schweiz verstösst nun weiterhin gegen das Abkommen, das sie mit der Internationalen Arbeitsorganisation in Bezug auf menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte abgeschlossen hat.»

REIN IN DIE BETRIEBE

Neun Forderung der Frauensession sind noch hängig: darunter die Schaffung einer unabhängigen Bundesbehörde zur Durchsetzung der Lohngleichheit und die Revision des Gleichstellungsgesetzes. Für Sariaslan ist klar: Die Frauensession war ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. «Und jeder Schritt macht uns Mut!» Aber: Reinigerinnen, Pflegerinnen oder Industriearbeiterinnen seien ganz klar untervertreten gewesen. «Ich hoffe, dass das am 14. Juni 2023, am nächsten Frauenstreik, anders sein wird. Ich hoffe, dass die Frauen ihre Forderungen mit einem Streik in ihre Betriebe bringen werden! Dafür setzen wir uns als Unia-Frauen ein.»

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