Editorial

Nein und doppelt nein!

Anne-Sophie Zbinden

Anne-Sophie Zbinden, Chefredaktorin

Sie war eine grossartige Frau, eine Kämpferin mit Stil und Haltung. Und sie verstarb drei Tage vor der Queen, mit weit weniger Medienrummel: Margrith Bigler-Eggenberger, die erste Schweizer Bundesrichterin und mutige Vorreiterin für die Gleichstellung von Frau und Mann. Nur drei Jahre nach der Einführung des Frauenstimmrechts wurde die SP-Frau 1974 ins Amt gewählt. Und sorgte für Aufruhr: Jemand hatte Teile ihres Bewerbungsdossiers verschwinden lassen, und so wurde die Anwältin und Richterin dem Parlament als Praktikantin und Hausfrau präsentiert. In einem Interview sagte sie später: «Mir wurden alle Fähigkeiten abgesprochen.» Es habe Kollegen gegeben, die sich weigerten, mit ihr zu sprechen. Die Zeitung «Ostschweiz» machte sie sogar zur «Mörderin im Bundesgericht», weil sie sich für einen straffreien Schwangerschaftsabbruch einsetzte.

WUT I. Ein Höhepunkt ihrer Karriere – sie war 17 Jahre lang die einzige Frau am Bundes­gericht – war der erste Lohngleichheitsprozess der Schweiz 1977: Eine Neuenburger Lehrerin hatte eine Beschwerde wegen Lohndiskriminierung erhoben, und das Bundesgericht gab ihr recht. Vier Jahre später wurde der Gleichstellungsartikel in der Verfassung verankert. Im Jahr des zweiten grossen Frauenstreiks, 2019, blickte sie zurück: «Wenn ich daran denke, dass ich mich bereits im ersten Lohngleichheitsprozess vor Bundesgericht erfolgreich für die Frau ausgesprochen habe und wir heute immer noch keine Lohngleichheit haben, dann macht mich das sehr wütend.»

FREUDE. Bigler-Eggenberger wurde in einen politischen Haushalt geboren. Der Vater war SP-Ständerat, die Mutter gründete die sozial­demokratische Frauengruppe in Uzwil SG. Und dann war da noch die Grossmutter: Die Freude der Witwe, als diese 1948 erstmals ihre eigenen 40 Franken AHV-Rente erhielt, prägte Margrith Bigler-Eggenberger ein Leben lang. Sie wurde zu einer Expertin für Sozialversicherungsrecht. Als Vorstandsmitglied des Bunds Schweizerischer Frauenorganisationen (heute Alliance F) vertrat sie diesen in der Schweizerischen AHV- und IV-Kommission. Ab 1974 unterrichtete sie Sozialversicherungsrecht als eine der ersten Dozentinnen überhaupt an der Universität St. Gallen.

Über die 10. AHV-Revision, in der das Frauen­rentenalter von 62 auf 64 Jahre heraufgesetzt wurde, sagte sie 1995: «Alle waren sich einig, dass die Gleichstellung der Frauen heute noch nicht so weit fortgeschritten ist, dass sich die Erhöhung aufdrängte. Und dann kommt die bürgerliche Mehrheit im letzten Moment und erhöht noch rasch das Alter auf 64. Für mich war das so zu verstehen: Ihr bösen Frauen, bezahlt jetzt für eure Gleichstellung.»

WUT II. Heute sind wir nicht viel weiter. Die Lohngleichheit bleibt in weiter Ferne: Das Einkommen von Frauen, bezogen auf alle im Erwerbsalter geleisteten bezahlten und unbezahlten Arbeitsstunden, ist im Durchschnitt 43,2 Prozent tiefer als das der Männer. Das sagt jetzt sogar der Bundesrat (siehe So klein sind die Frauenrenten). Die Ungleichheit setzt sich im Rentenalter fort: Frauen erhalten einen Drittel weniger Rente als Männer. Und trotzdem will eine bürgerliche Mehrheit (schon wieder) das Rentenalter der Frauen erhöhen und damit die Renten der Frauen senken. Dies, obwohl sich viele Frauen nur auf die AHV verlassen können, weil fast ein Drittel der erwerbstätigen Frauen gar nicht in einer Pensionskasse versichert ist. Deshalb: Nein und nochmals Nein zur AHV 21!

1 Kommentar

  1. Disler Urs

    Werte Anne-Sophie Zbinden
    Vielen Dank für Deinen Kommentar und Deine Meinung!
    Alles 3mal durchlesen und aufnehmen….!!!!
    VIELEN HERZLICHEN Dank!!!!!

    Danke Ihr Frauen!!!!!

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