Energiekrise:

Geht der Schweiz ein Licht auf?

Marie-Josée Kuhn

Steuern wir direkt auf eine Energie-Katastrophe zu? Oder schaffen wir den Kampf gegen den Klimawandel und die Abzockerei bei Strom, Gas und Öl doch noch?

DUNKLE SZENARIEN: Überall wird gerade der Strom-Super-GAU beschworen. Ob zu recht, wird sich zeigen. (Foto: TNT)

Schon 2007 war für work-Kolumnist Peter Bodenmann klar: «Der ökologische Umbau der Schweiz braucht anstelle von Öl und Gas Solarstrom.» So schrieb er in der Rubrik «Rosa Zukunft». Das war lange bevor Ex-Bundesrätin Doris Leuthard die Energiewende in der Schweiz einleitete und das Volk beschloss, auf den Bau neuer AKW zu verzichten. Lange vor der Atomkatastrophe von Fukushima. Und trotzdem frohlockte Bodenmann damals schon: Der fossile Kapitalismus ist am Ende. Es lebe das neue Wind- und Solarzeitalter!

Seither berichtete work regelmässig über diese sich rasant drehende technologische Revolution. Luft-Wasser-Wärmepumpen, bifaziale Solarzellen, Sandbatterien usw. Die «Rosa Zukunft» blieb allerdings eine einsame Ruferin in der ökologischen Wüste.

Doch dann kam Grengiols Solar. Lanciert hat die Idee im letzten Februar die Walliser Oppositionszeitung «Rote Anneliese». Genauer: Autor Peter Bodenmann. An den Sonnenhängen des Walliser Saflischtals soll auf rund fünf Quadratkilometern der grösste bifaziale Solarpark der Schweiz entstehen. Und punkto Output und Effizienz alles Bisherige schlagen. Auch solare Dachaufbauten in der Ebene.

Grengiols hat dem Megaprojekt Anfang Juni begeistert zugestimmt. Seither überstürzen sich die Ereignisse. Im Wallis herrscht heisse Solar- und Goldgräberstimmung (siehe Hier entsteht Grengiols Solar). Und nicht nur dort.

Sensantionell: Wenn der ständeratliche Beschluss durch beide Räte kommt…

DER BEWUSSTSEINSSCHUB

Plötzlich weibeln ein Mitte-Ständerat und ein FDP-Nationalrat für den schnellen Bau von Solaranlagen in den Schweizer Alpen. Beat Rieder (VS) und Ruedi Noser (ZH): als wär’s ein Kind von ihnen. Plötzlich gehen die grossen Stromunternehmen in Stellung und wollen im Wallis investieren. Und plötzlich finden 85 Prozent der Befragten in Umfragen, wir dürften keine Zeit mehr verlieren. Und müssten alle «verfügbaren Flächen nutzen, um Solarenergie auszubauen» («Tages-Anzeiger»).

Die Meinungen sind gekippt. Und plötzlich wird denk- und machbar, was es jahrzehntelang nicht war. Plus zahlbar: «Wind- und Sonnenkraft sind heute günstiger als alles andere», sagt etwa Energieexperte und Unternehmer Anton Gunzinger. Günstiger als Atomstrom sowieso: auch kostenmässig sind AKW ein Horror. Seit Fukushima ging in Europa nur gerade ein neues Werk ans Netz, 2021 in Finnland. Mit 13 Jahren Verspätung und dreifacher Kostenüberschreitung!

Den solaren Bewusstseinsschub beschleunigt hat Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine. Er zeigt deutlich: Die Abhängigkeit von Öl und Gas ist mehr als ungemütlich. Und Atomkraftwerke sind quasi die Atombomben im eigenen Land: Das ukrainische AKW Saporischschja lässt grüssen! Nur die ewigverstrahlten Nuklearfreunde aus FDP und SVP wollen auch jetzt noch mehr Atomstrom. Und haben eben eine Initiative lanciert. In einer Energiekrise könnten wir es uns nicht leisten, auf Atomstrom zu verzichten, hyperventilieren sie. Weil Horror: Lichterlöschen schon im kommenden Winter!

…kann Grengiols ab 2023 gebaut werden.

DAS TOHUWABOHU

Gas- und Öl-Versiegen, Stromengpässe und Energiekrise: plötzlich sind alle unter (Not-)Strom. Grosse Panik auf der Titanic. Müssen wir im nächsten Winter bei Kerzenlicht schlottern? Die Strassenbeleuchtung ausschalten? Die Rolltreppen stilllegen? Elektroöfeli, Kerzen und Holz hamstern? Das Arbeitsgesetz flexibler machen und andere Arbeits- und Schichtmodelle einführen?

Schon wittern die Arbeitgeber Morgenluft für die Realisierung alter kapitalistischer Träume. Alles ist möglich, alles erlaubt. Tohuwabohu.

Derweil steigen die Gas- Strom- und Ölpreise unkontrolliert. Für die kleinen und mittleren Einkommen kann das schon bald zur ­Katastrophe werden. Für all jene privaten Unternehmen, die sich nicht mit mehrjährigen Stromverträgen abgesichert haben, ebenfalls. Ganz zu schweigen von den Zehntausenden Mitarbeitenden. Nur die Eigentümerinnen und Eigentümer von Wasserkraftanlagen und Atomkraftwerken legen zu. Sie sind die eigentlichen Krisen- und Kriegsgewinnler.

Geht gar nicht, sagen sich die Regierungen mehrerer Nachbarländer. In Deutschland und Österreich wird der Ruf nach einer Übergewinnsteuer immer lauter. Krisengewinnler-Unternehmen sollen zur Kasse gebeten werden. Bereits hat Italien eine solche Steuer beschlossen, wenn auch nur als einmalige Solidaritätsabgabe. In Deutschland wird ein anderes Übergewinnsteuer-Modell diskutiert. Das neue Steuergeld soll an kleine und mittlere Einkommen rückverteilt werden. Peter Bodenmann findet das eine prima Idee und rechnet vor: «Eine solche Steuer könnte bereits 2024 15 Milliarden Franken in die Bundeskasse spülen. Pro Kopf und Monat ergäbe dies 100 Franken.» Doch so weit sind wir noch lange nicht.

LEX BODENMANN

Noch lanciert SVP-Wirtschaftsminister Guy Parmelin nur Stromspar-Appelle an die Bevölkerung. Vielleicht komme es im Winter ja gar nicht zum Schlimmsten, tröstet er. Damit hat der Waadtländer vielleicht nicht mal so unrecht. Vielleicht gehen uns die Lichter tatsächlich nicht aus. Weil viele grössere und kleinere Schweizer Unternehmen auf Notstromaggregaten hocken. Und diese könnten in der Not angeworfen werden. Mit dieser Idee überraschte kürzlich der CEO der Ems Dottikon AG, Blocher-Sohn Markus Blocher, im «Ecotalk» auf SRF. Die Aggregate hätten eine Leistung von 4000 Megawatt, sagte er. Das entspräche der Leistung von vier Atomkraftwerken à la Gösgen. Wenn das stimmt, hätte die Schweiz Glück. Jedenfalls mehr Glück als Verstand.

Doch Notstromaggregate sind – wie der Name sagt – Notbrücken auf dem Weg in die solare Zukunft. Das sieht offenbar auch die ständerätliche Energiekommission so. Soeben hat sie einstimmig beschlossen, eine rechtliche Grundlage für die schnelle Realisierung von Freiflächen-Photovoltaikanlagen zu schaffen. Dies betrifft ­Anlagen mit einem hohen Anteil von Winterstromproduktion, wie sie insbesondere im alpinen Gelände denkbar sind. Zudem hat die Kommission einstimmig entschieden, die geeigneten Oberflächen von Infrastrukturanlagen des Bundes bestmöglich zur Nutzung von Sonnenenergie zu verwenden. Das ist sensationell! Nur einer reagiert ­erbittert: Raimund Rodewald, der Chef der Stiftung Landschaftsschutz. Mit dem ständerätlichen Beschluss würden Raumplanungs-, Umweltschutz-, Natur- und Heimatschutzgesetz ausgehebelt, sagt er. Tatsächlich geht der Beschluss bei der Beschneidung der Mitspracherechte sehr weit. Das wird bestimmt noch zu heftigen Diskussionen führen. Vielleicht wird die entsprechende Formulierung noch revidiert.

Rodewald jedenfalls giesst schon jetzt Öl ins Feuer und nennt den Ständeratsbeschluss eine «Lex Bodenmann», was zwar viel Ehr ist, aber wohl abschreckend wirken soll. Wie auch immer, wenn der Beschluss so durch die beiden Räte kommt, kann Grengiols ab 2023 gebaut werden. Und in den Alpen und Voralpen wird sich unheimlich viel bewegen.

Klima und Arbeit: Das will die Unia

Die Gletscher verschwinden, die Böden vertrocknen, und auf den Baustellen ächzen die Bauarbeiter. Deshalb brauchen wir eine nachhaltige Wirtschaft, die unsere Lebensgrundlage nicht zerstört und gleichzeitig auch sozialer ist. Das fordert die Unia in ihrem Klima-Positionspapier.

VOLL ERNEUERBAR. Denn Klima und Arbeit hängen eng zusammen. Schon jetzt braucht es für die Mirarbeitenden gewisser klimabelastender Branchen wie etwa der Luftfahrt oder emissions-intensiver Industrien Alternativen und Perspektiven. Die Unia verlangt, dass der ökosoziale Umbau im Arbeitsrecht und in GAV verankert wird.

Heisst: ausgebauter Gesundheitsschutz, ein Recht auf Weiterbildung und mehr Mitapracherechte. Generell fordert die Unia, dass die Energeieversorgung in der Schweiz zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien bestehen soll. Und zwar bis 2030. Und auch die Unia setzt vor allen auf neue erneuerbare Energien. (mjk)


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