Erstes hochalpines Solarkraftwerk

Hier entsteht Grengiols Solar

Jonas Komposch

Grengiols Solar schreitet rasend voran – neuerdings auch mit Hilfe aus Bundes­bern. Das kommt an im Bergdorf, aber nicht nur des Geldes wegen. work war auf Pick-up-Tour mit Armin Zeiter, dem gefragtesten Gemeindepräsidenten der Schweiz.

ARMIN ZEITER, GEMEINDEPRÄSIDENT DER WALLISER GEMEINDE GRENGIOLS, steht am steilen Südhang des Saflischtals, dort, wo das solare Megakraftwerk entstehen soll. (Fotos: Matthias Luggen)

Zeit ist ein rares Gut geworden für Armin Zeiter (57), Gemeindepräsident von Grengiols VS. Nicht, weil in seinem beschaulichen 450-Seelen-Dorf plötzlich die Hölle los wäre. Und auch nicht, weil Zeiter im Hauptberuf noch Anlageberater bei der Raiffeisenbank ist. Nein, schuld allein ist der Briger Ex-SP-Chef und work-Kolumnist Peter Bodenmann (70). Mit einem Überraschungscoup in der Walliser Oppositionszeitung «Rote Anneliese» hat er im Februar «Grengiols Solar» lanciert – ein Projekt für eine gigan­tische hochalpine Pho­tovoltaikanlage. In Art und Dimension wäre sie einzigartig in Europa: Auf einer Fläche so gross wie 700 Fussball­felder (5,6 Quadratkilometer) will Bodenmann bifa­ziale Solarzellen mon­tieren. Solche Panels nutzen nicht nur das Sonnenlicht auf ihrer Vorderseite, sondern auch jenes, das an ihre Rückseite reflektiert – ein besonderer Vorteil bei liegendem Schnee. Zu stehen kommen soll die Anlage am steilen Südhang des unbewohnten Saflischtals. Und dieses gehört eben zu «Grängelsch», wie Zeiters Gemeinde im Walliser Dialekt heisst.

BODENMANNS SOLAR-BOMBE

Als Bodenmann seine Solar-Bombe platzen liess, fiel Zeiter aus allen Wolken: «Ich habe von einem Kollegen erfahren, dass wir in der ‹Roten Anneliese› stehen – mit einem Riesenprojekt. Ich bin dann sofort nach Brig gefahren, um mir die Ausgabe zu besorgen.» Und seither laufen die Drähte heiss beim obersten «Grängijer».

«Das Interesse ist immens!» sagt Zeiter heute. Stromversorger und Investoren hätten das grosse Geschäft gerochen, Bürgerinnen und Politgrössen verschiedener Parteien das enorme Potential erkannt. Zu den prominentesten Grengiols-Fürsprechern gehören FDP-alt-Bundesrat Pascal Couchepin (80), der Zürcher FDP-Ständerat Ruedi Noser (61) und sein Walliser Mitte-Kollege Beat Rieder (59). Und plötzlich wollen Medienschaffende aus dem ganzen Land den Zeiter Armin vor der Kamera. Für work fährt der gefragte Mann im Gemeinde-Pick-up vor – direkt auf den Briger Bahnhofsplatz.

BASLER IWB IM BOOT

Von da geht’s mit Tempo talaufwärts. Und Zeiter sagt: «Ich bin selbst überrascht, wie schnell jetzt alles geht.» Am frühesten gemeldet habe sich ­Alpiq, jener Energiekonzern, der auf dem Sim­plon schon das Pionierprojekt «Gondosolar» vorantreibt. Doch bald war Alpiq nicht mehr allein. «Angerufen haben alle», lacht Zeiter. So auch die Industriellen Werke Basel (IWB). Ruedi Rechsteiner (63), IWB-Verwaltungsrat und alt SP-Nationalrat, bestätigt sogar Verhandlungen: Der Kanton Basel-Stadt sei bereit, «einen Pachtzins in Höhe der Wasserzinsen zu zahlen». Und Rechsteiner frohlockt: «Dieses Projekt wird für Ökologie, Versorgungssicherheit und in puncto Preis ein Gewinn für die ganze Schweiz.» Tatsächlich rechnet der vorliegende Entwurf verlockend.

BEGEISTERTE «GRÄNGIJER»

2,4 Milliarden Kilowattstunden Strom könnten auf der vorgesehenen Fläche erzeugt werden. Das entspricht der Leistung der Grande-Dixence, der höchsten Staumauer der Welt, die 400’000 Haushalte mit Strom versorgt. Kommt diese Power bald auch aus dem kleinen Grengiols? Zeiter lenkt den Pick-up um eine scharfe Kurve, beschleunigt und sagt: «Alles spricht dafür!» Das Dorf hat er jedenfalls längst hinter sich: Nein 0, Enthaltungen 8, Ja 56. So lautete das Abstimmungsresultat der rekordverdächtig gut besuchten «Urversammlung» vom 8. Juni. «Ein so klares Resultat hätte ich nie erwartet», sagt Zeiter. Doch es zeige, dass die Leute sich im Klaren seien über den dringenden Handlungsbedarf bei den Erneuerbaren. Oder ist es nicht doch eher der üppige Geldregen, der zu erwarten ist?

GELD UND ÄRGER

Prognosen gehen von jährlichen Solarzinsen in der Höhe von 20 Millionen Franken aus – allein für die Gemeinde Grengiols. Das wären rund 40’000 Franken pro Einwohnerin und Einwohner. Zeiter winkt ab: «Solche Zahlen höre ich nicht gerne.» Dafür sei es viel zu früh. Überhaupt gehe es ihm nicht um einen Haufen Geld. «Das gibt nur Ärger», weiss der Banker. Viel wichtiger sei es, in der Energiewende endlich weiterzukommen. «Und da sind wir im Wallis schon sehr sensibilisiert», sagt Zeiter und stoppt am Wasserkraftwerk Heiligkreuz. Dieses liegt im Binntal, zwischen den Stauseen Ze Binne und Chumme, nur 2 Kilometer Luftdistanz von der geplanten Solaranlage entfernt. Zeiter schwärmt: «Solar- und Wasserkraft könnten sich hier auf engstem Raum ergänzen. Das ist sensationell!» Konkret soll der Wasserstand im Chummensee mit der künftigen Solarenergie laufend und kostengünstig optimiert werden.

Plötzlich kommt Zeiter ins Schwitzen – der Allrad beim Pick-up hat versagt. Doch der Bergler kann’s auch ohne und kurvt einfach weiter die enge Schotterpiste hinauf. Nach einem idyllischen Waldstück erreichen wir das sonnige Saflischtal. Fette Murmeltiere huschen davon, Falken sind unterwegs, und auch ein Adler kreist über den steilen Grasflanken. «Da ist unsere Jägerhütte!» ruft Zeiter und zeigt den Hang hinauf. Sie liegt auf knapp 2000 Metern über Meer. «Höher kommt der Nebel hier nie», sagt er. Für ein Solarprojekt ist das ein entscheidender Vorteil. Und dies sei nicht der einzige, wie Zeiter meint und nun auf eine immense Bergflanke zeigt: «Hier könnten wir wahrscheinlich schon im Winter 23/24 Strom pro­duzieren.» Möglich mache dieses ambitionierte Tempo die bereits bestehen­­de Strasse, die vom Binntal durch das Saflischtal über den 2451 Meter hohen Furggen-Gipfel bis hinunter nach Grengiols führt. Dass bereits heute eine Strasse durch das Gebiet führt, stimmt auch Umweltverbände milder.

«Ich bin selbst überrascht, wie schnell jetzt alles geht.»

GRÜNE MÜHEN

Etwa die Alpenschutzorganisation Mountain Wilderness. Geschäftsleiterin Maren Kern sagt: «Solare Freiflächenanlagen in ungenutztem Gebiet sehen wir sehr kritisch, für Grengiols spricht nur, dass das Gebiet bereits erschlossen ist.» Tatsächlich wird die holprige Piste rege genutzt. Zum Beispiel von Bikern oder von Offroad-Liebhabern. Letztere erhalten für wenig Geld eine Tagesfahrbewilligung und können den Pass so per 4 x 4 überqueren. Aber auch im Dorf ist die Strasse beliebt. Bei Töfffahrerin Madlen Agden (63) etwa.

Sie ist heute mit ihrer 250er «Tricker» unterwegs und will noch das herrliche Panorama fotografieren. Bevor die letzten Gletscher verschwunden sind? Oder bevor die Bifazialen da sind? Ja, was, wenn hier bald ein gigantischer Solarpark steht? «Dann sind wir saniert!» lacht Agden. Und ergänzt dann mit ernster Miene: «Etwas machen müssen wir ja in der heutigen Zeit. Gerade auch für die junge Generation.» Mit den Grünen habe sie jedoch etwas Mühe. Immer überall dagegen sein, gehe nicht an. Es sitzt tief, das Image der grünen Verhinderer-Partei, auch im Wallis. In Sachen Solarenergie trifft es allerdings nicht zu. So schreiben die Schweizer Grünen in einem neuen Positionspapier: «Der Alpenraum kann dafür verwendet werden, Freiflächensolaranlagen zu realisieren.» Daneben müsse die Solaroffensive aber auch auf den Hausdächern vorangetrieben werden. Viel schwerer tut sich da eine andere Partei mit reichlich Grün im Logo.

«Plötzlich stehen wir an der Spitze der Energiewende.»

SÜNNELIPARTEI POLTERT

Wie immer an vorderster Front ist der SVP-Chefpolterer Roger Köppel (57). In seinem Weltwoche-Daily-Kanal kommentierte er sich jüngst in Rage: «Meine Damen und Herren, ich bin entsetzt, ich bin dagegen!» Köppel schwadronierte von «zugepflasterten Alpen», «verspiegelten Riesensonnenbrillen» und von «grössenwahnsinnigem Solar-Populismus». Etwas gelassener nimmt es da Christian Gasser (44). Er ist Präsident der SVP-Fraktion im Walliser Kantonsparlament und von Beruf Elektromeister. Gasser sagt zu work: «Ich habe grosse Zweifel an Bodenmanns Zahlen. Aber grundsätzlich muss man was machen, das ist klar. Solange wir aber keine Fakten auf dem Tisch haben, wird die SVP das Projekt nicht unterstützen.» Das Sünneli strahlt bei den Rechten also immer noch nur fürs Parteiwappen.

Auf dem Furggen-Gipfel zieht jetzt eine kühle Brise. Und Zeiter zieht’s bergabwärts. Er hat schliesslich noch Termine. Also runter die Serpentinen Richtung Grengiols. Doch für einen Stop hat er noch Zeit. Zeiter hält direkt unter einem nigelnagelneuen Höchstspannungsmast der Swissgrid AG. Drei bestehende Stromleitungen werden hier bald auf eine einzige Führung der «Stromautobahn» vereint. Eröffnet wird der Abschnitt im Herbst 2023. Und Zeiter ist schon wieder happy: «Von hier bis zur Solaranlage sind es nur drei Kilometer. Das vereinfacht die Stromeinspeisung massiv.»

GRENGIOLS HOCH IM KURS: Mit 56 Ja, 0 Nein und 8 Enthaltungen haben sich die «Grängijer» für den Bau des Solarkraftwerks ausgesprochen.

IN DER «GRÄNGIERSTUBA»

Ein paar weitere Kurven, und das Ziel ist erreicht: Grengiols, einst ein reiches Getreidebauerndorf, wurde es 1799 von den verbündeten Österreichern komplett abgefackelt. Sie wollten dem heranrückenden französischen Revolutionsheer nur verbrannte Erde hinter­lassen. Heute strahlt das Dorf wieder – und es kommt gerade rechtzeitig, denn der Gemeindepräsident, der ­Fotograf und der Reporter haben Hunger. Noch vor ein paar Jahren hätte das Trio die Wahl gehabt zwischen drei Dorfbeizen in direkter Nachbarschaft. Die Einheimischen nannten sie bloss «Obere», «Mittlere» und «Untere». Überlebt hat nur die untere, die «Grängierstuba» von Wirtepaar Sophie und Waldemar Schön. Letzterer ist auch der Koch im Haus. Gazpacho serviert er, dann Bratkartoffeln und eine phantastische Schweinsbratwurst. Schnell kommt Schön auf den Gemeindeobersten zu sprechen: «Wir nennen ihn hier nur noch So­larmin», scherzt er. Auch Schön ist ein Solar-Befürworter. Und als Dorfwirt weiss er: «All das tut den Leuten hier gut. Sie erkennen die Bedeutung, die ein kleines Bergnest einnehmen kann. Plötzlich stehen wir an der Spitze der Energiewende.» Zugleich warnt er: «Beim Bau der Wasserkraftwerke hat das Wallis viel zu spät begriffen, dass es vom Mittelland über den Tisch gezogen wurde.» Tatsächlich sind bloss 20 Prozent der lokalen Stromproduktion in Walliser Hand. Da seien die Leute jetzt schon mehr auf der Hut, sagt Schön. Das sieht auch Lehrer Dominique Follonier (57) so. Sogar in der Schule sei das Projekt zum Gespräch geworden. Auch er sei dabei, denn: «Das Ganze ist innovativ und am Puls der Zeit.» Wirt Schön, der lange Lokaljournalist war, ist noch von einer anderen Sache fasziniert. Grengiols Solar zeige nämlich, wie sich das Wallis gewandelt habe: «Noch vor zehn Jahren wäre es undenkbar gewesen, dass ein Konservativer auf die Idee eines Roten aufspringt.» Doch genau das ist passiert.

UMWELTPRÜFUNG KOMMT

Mitte-Mann Beat Rieder hat in Bundesbern zünftig geweibelt. Und so beschloss die Umweltkommission des Ständerates (Urek-S) einstimmig: Es sei eine rechtliche Grundlage für die «schnelle Realisierung von Frei­flächen-Photovoltaikanlagen zu schaffen». Und: Die Pflicht zur Planungs- und Umweltverträglichkeitsprüfung solle für solare Grossprojekte abgeschafft werden. Zudem will die Kommission eine Solarpflicht für alle Neubauten ab 2024. Damit ist Armin Zeiter seinem Ziel ein gutes Stück näher gekommen. Er sagt: «Jetzt starten wir Vollgas in die Planung: Machbarkeitsstudie, Rentabilitätsstudie, geologische Untersuchungen und eine Umweltverträglichkeitsprüfung. Die machen wir so oder so!»


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1 Kommentar

  1. Toni Stadelmann

    Warum die Installationen nicht direkt beim Verbraucher platzieren (v.a. Dächer, Hausfronten, Abdeckungen in den Cities)? Solche hochalpinen Mammutprojekte wie Grengiols zerstören das Bild der Natur. Schrecklich. Zudem muss die Energie in die Zentren gebracht werden (immense Kosten für Leitungen, Energieverluste bei der Übertragung). Solche Gebilde rechnen sich nicht!

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